Louis Klamroth von Schulleiterin gemaßregelt: "Sie sprechen mit einer Lehrerin!"
Kurzvideos von Babykatzen in einem eingeschalteten Mixer oder Szenen einer Kastration: Was Kinder und Jugendliche im Internet zu sehen bekommen, weiß Silke Müller als Schulleiterin einer Oberschule in Niedersachsen nur allzu gut. "Wie kriegen Sie das denn mit?", wunderte sich Moderator Louis Klamroth, der die Buchautorin zum Thema "Wie gefährlich sind soziale Medien?" zu "Hart aber fair" (ARD) eingeladen hatte. Denn "wenn ich mich erinnere, hätte ich als Schüler den Teufel getan, meiner Lehrerin zu zeigen, was ich auf meinem Handy habe." Müllers Schützlinge tun das sehr wohl: Bei Social-Media-Sprechstunden berichten sie nicht nur von diesen viralen Videos, sondern fragen auch um Rat, wie sie auf zugeschickte Nacktfotos reagieren sollen.
Für eine "intensive Aufklärung der jungen Menschen, wie soziale Medien und Internet funktionieren", sprach sich Digitalexperte Sascha Lobo aus: "Seit 20 Jahren fordere ich ein Schulfach Interneterziehung und wie die deutsche Bildungspolitik unterwegs ist, wird 2085 sicher etwas passieren." YouTuber und Autor Alexander Prinz ging das nicht weit genug: "Wenn wir die Entwicklung von KI anschauen, was mit ZORA auf uns zukommt [...], müssen wir grundlegend bei den Menschen ansetzen, die die Kinder im Unterricht haben und damit bei der Lehrerbildung", plädierte der ehemalige Lehramtsstudent.

Lauterbach: "Will mich nicht zum Gespött der Zuschauer machen"
"Das Schulsystem - ich nenne es charmante Ruinenverwaltung - funktioniert für die Herausforderungen von heute nicht mehr", kritisierte Müller. Als Angriff auf die Lehrkräfte wollte sie das allerdings nicht verstanden wissen. Vielmehr müsse man "über die heilige Kuh des Föderalismus" sprechen, holte sie aus und ließ sich von Klamroths Unterbrechungsversuchen nicht aus der Ruhe bringen: "Ich möchte den Satz zu Ende sprechen. Sie reden ja mit einer Lehrerin", kam die gestrenge Pädagogin durch. Klamroth fühlte sich offenbar ebenfalls ins Klassenzimmer zurückversetzt: "Genau, ich habe schon früher gerne dazwischen gequatscht", konterte er.
"Um Interneterziehung, Medienbildung oder Ethik in Schulen - und eigentlich schon in der Kita - vermitteln zu können, braucht es einerseits Richtlinien, die für alle in Europa gelten", übte Müller "klare Kritik an der Politik", den Kinder- und Jugendschutz nicht in den Fokus zu rücken. Gleichzeitig brauche es "gesellschaftliche Kompetenzbildung" und damit das Bewusstsein von Eltern, aber auch Ärzten, der Polizei sowie Lehrkräften darüber, in welcher Welt sich Kinder bewegen. Denn: "Ich kann nicht über TikTok reden, wenn ich niemals auf dieser Plattform war."
Karl Lauterbach (SPD) ist auf TikTok. Sein erstes Video war bereits zu Beginn der Sendung mehrfach zur Sprache gekommen. Als erstes Regierungsmitglied hatte der Bundesgesundheitsminister kürzlich auf der Plattform gepostet, um ein "Gegengewicht zur AfD zu bilden". Deren Videos würden mehr als doppelt so oft geklickt, wie die von anderen Parteien, wie Louis Klamroth zeigte. Mit Aussagen wie der des AfD-Europa-Spitzenkandidaten Maximilian Krah ("echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin.") dürfe man bei Lauterbach allerdings nichts rechnen: "So will ich nicht auftreten, ich möchte mich nicht zum Gespött der Zuschauer machen", kommentierte er trocken.

Karl Lauterbach: "Überall ist Hass"
Populismus funktioniere auf TikTok, notwendig sei er allerdings laut Lobo aber nicht. Der warnte davor, den Erfolg der AfD in dieser Generation "ausschließlich auf TikTok zu schieben". Eher sei es so, dass "der AfD-Erfolg auf TikTok die Folge des Versagens der Politik in vielen anderen Bereichen" sei und auch die "Folge, dass sich viele Junge von der Parteipolitik in Deutschland nicht ernst genommen fühlen".
Dass jetzt Politiker wie Lauterbach die Plattform als Chance entdeckten, lobte Lobo: "Ich halte es für Meinungsbildung essentiell, dass auch das mit Abstand wichtigste und interessanteste Instrument in den digital-sozialen Medien von der Bundesregierung bespielt wird", betonte er und wies gleichzeitig hin, "dass TikTok Debatten im eigentlichen Sinn verschiebt". Der Algorithmus habe etwa in der Vergangenheit nachweislich den Content von dicken oder queeren Menschen unterdrückt. Da das auch für politische Debatten gelte, sei das seiner Ansicht nach die größere Gefahr als der in den USA diskutierte Datenabfluss nach China.
Um Datenmissbrauch auszuschließen, hatte sich Lauterbach als "Vorsichtsmaßnahme" ein eigenes Handy angeschafft, "auf dem nichts drauf ist, das erspäht werden könnte". Als Legitimation von TikTok wollte der SPD-Mann sein Video ohnehin nicht verstanden wissen. Er sei sehr wohl für eine stärkere Regulierung und empfindliche Strafen gegenüber Konzernen, denn "überall ist Hass, sind Drohungen und Mist wird verbreitet, der dort nicht hingehört". Konzerne verständen "keine andere Sprache, als sechs Prozent des Umsatzes abzuführen in Form von Konventionalstrafen", meinte er und könnte sich auch vorstellen, "drastische Möglichkeiten zu erwägen" wie etwa die App aus deutschen Stores zu verbannen. "An dem Punkt sind wir aber nicht."
Schulleiterin: "Überreglementierungsdebatte hilft nicht weiter"
Dass der Staat sanktionieren sollte, der Meinung seien laut Klamroth 56 Prozent aller Menschen. Sascha Lobo zählt nicht dazu: "Wenn wir über Verbote sprechen, verunsichert das eine ganze Generation", mahnte er. "Die Überreglementierungsdebatte hilft nicht weiter", ergänzte Schulleiterin Müller. Wichtiger sei der Kompetenzaufbau. Immer wieder bekomme sie die gleiche Reaktion: Oh, das haben wir nicht gewusst. "Das darf nicht sein", wiederholte sie: "Das spricht nicht für die Medienkompetenz unseres Landes und den Kinder- und Jugendschutz, den wir dringend brauchen."