Franz Xaver Kroetz: Wahnsinn macht die Welt schön

München - Er war ein Enfant terrible des deutschen Theaters – und er war Baby Schimmerlos in Helmut Dietls „Kir Royal“. Kurz vor seinem 70. Geburtstag am 25. Februar ist er ein Lyriker und Drehbuchautor für einen am vergangenen Freitag vom Bayerischen Rundfunk abgelehnten „Tatort“. Franz Xaver Kroetz ist ein Wandler zwischen den Welten: Theater und Literatur auf der einen, das Fernsehen auf der anderen Seite. Dieser Spagat hat ihm viel Kritik eingebracht, doch die kratzt ihn nicht mehr.
AZ: Herr Kroetz, früher wurde viel Gift gespritzt, heute eher nicht mehr. Vermissen Sie das manchmal?
FRANZ XAVER KROETZ: Nein, das ist anstrengend gewesen. Es gab ja mal eine Zeit, in der die Theaterkritik kein anderes Interesse hatte, als mich als größte Gefahr des deutschen Theaters zu vernichten und das Theater zu schützen vor solchen Leuten wie mir. Es gibt Kollegen, die mit dem Feuilleton immer zurechtgekommen sind, stets geliebt und bewundert wurden – wie Josef Bierbichler oder Christoph Schlingensief. Ich dagegen hatte eigentlich fast mein Leben lang das Gefühl, das Feuilleton ist mein Feind. Ich habe mich nach den Premieren meistens geduckt und gedacht: Jetzt kommen diese zwei Tage Scheiße.
Warum war das so?
Möglicherweise hängt das auch mit „Kir Royal“ zusammen. Da wurde ich für viele abtrünnig und korrupt, weil ich in so einer Scheiß-Serie, wie sie sagten, spiele. Das war für die Ernsthaften ein Affront. Marcel Reich-Ranicki hat damals geschrieben, ich sei ein ernsthafter Anwärter auf den Büchner-Preis gewesen – aber zu jung. Ich glaube nicht, dass es ums Alter ging. Ich glaube, man hat gesagt, man kann doch nicht dem Baby Schimmerlos den Büchner-Preis geben. Ich war also zwischen zwei sehr weit auseinanderstrebenden Welten und habe sehr viele Einschläge ertragen müssen. Die haben mich sehr viel Kraft gekostet.
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Warum haben Sie trotzdem so lange durchgehalten?
Das ist ganz einfach: Ich habe mit 12, 13 Jahren zu schreiben angefangen. Mit 15 bin ich auf die Schauspielschule gegangen. Das waren meine zwei Berufe, und damit musste ich mein Geld verdienen – ich hatte keinen dritten. Also musste ich diesen Beruf bis zur Rente ausüben. Mit fünf Kindern, vielen Frauen, vielen Autos, Häusern, allem möglichen, war es meine Erwerbsquelle. Da kann man nicht aufgeben. Damals gab es noch nicht mal Hartz IV.
Das klingt ein bißchen wie: Ich war jung und brauchte das Geld.
Wenn ich nicht mehr geschrieben hätte – was hätte ich denn dann gemacht? Ich habe nicht geschrieben, um unsterblich zu werden, sondern schlicht und einfach, um Geld zu verdienen. Das war ein Lebenskampf, den ich – wenn ich zurückblicke – gut bewältigt habe. Es gibt viele Autoren, die nicht 70 geworden sind. Dieser Beruf verschleißt. Der schwankt zwischen neurotisch-hysterisch und am Boden liegend. Er hat schon eine manisch-depressive Komponente. Aber ohne geht es nicht.
Sie haben vor mehr als zehn Jahren anscheinend aufgehört, für das Theater zu schreiben.
Das hat sich finanziell nicht mehr rentiert. Meine Bühnenpräsenz, mein Erfolg als Dramatiker auf deutschen Bühnen, hatte so nachgelassen, dass ich mir das Theaterstücke-Schreiben nicht mehr leisten konnte. Da hätte der Schauspieler Kroetz den Dramatiker Kroetz alimentieren müssen. Das klingt jetzt vielleicht sehr profan, aber ich glaube, William Shakespeare hat nicht eine Zeile geschrieben, ohne ans Geld zu denken.
Es ging Ihnen also nur ums Geld?
Nein, natürlich nicht. Jeder Lyriker ist davon überzeugt, mit einem guten Gedicht verändert er die Welt. Diese Überzeugung, etwas Unwiderstehliches, etwas Fantastisches, etwas unbedingt Nötiges in die Welt zu setzen, das ist der eigentliche Antrieb. Dieser Wahnsinn, mein Werk, meine Kreativität, die macht die Welt erträglicher, die macht sie schöner. Ohne mich und mein Werk ist die Welt nichts. Dieser Wahnsinn, dieser weltumfassende Irrsinn, dieser hymnische Schwachsinn, der in uns Künstlern allen drin ist, der muss raus. In jedem von uns steckt ein kleiner Richard Wagner.
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Ist dieser Wahnsinn jetzt verstummt?
Ja, schon. Die Faszination am Schreiben ist weniger geworden. Das ist natürlich ein Verlust. Schreiben hat immer auch Jugend bedeutet.
Was machen Sie denn heute den ganzen Tag?
Natürlich schreibe ich schon noch - Gedichte. Ich hoffe, dass ich im Herbst meinen Band mit neuen Gedichten – „Verwesung schwelgt im Honeymoon“ – endlich veröffentlichen kann. Es ist ein großes Klagelied, und dabei geht es um den Schriftsteller, der nicht mehr schreiben kann. Dazu muss ich noch einen geeigneten Verlag finden, der kein finanzielles Interesse hat. Ein Gedichtband mit 2000 verkauften Exemplaren wäre ja schon ein Weltbestseller. Außerdem sitze ich auch nach wie vor an einem sehr komplizierten Stück, an dem ich schon seit 2011 arbeite.
Doch noch ein Stück?
Es heißt „Alter Mann, was nun?“ und orientiert sich am „Sturm“ von William Shakespeare. An diese starke Wand möchte ich mein Pflänzchen gerne anlehnen. Es dramatisiert ein bisschen die Zeit, in der ich meine jetzige Lebensgefährtin kennengelernt habe, und beschreibt die Verwerfungen in der Familie und was da so passiert ist. Sie ist ja 30 Jahre jünger als ich. Die Arbeit ist schwierig, weil es ja kein Fernsehspiel werden darf, kein Plaudern aus dem Nähkästchen. Das muss großes, episches Theater und unangreifbar sein.
Franz Xaver Kroetz ist am Karfreitag als Schauspieler im ARD-Film „Das Geheimnis der Hebamme“ zu sehen