Doppelbödiges Debüt: Tatortstar Nemec als Krimiautor
München - Er hat oft kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um die mangelnde Qualität von „Tatort“-Drehbüchern ging. „Mach’ es doch besser“, mag mancher Autor geknurrt haben. Tja, und nun hat Miroslav Nemec tatsächlich einen Krimi geschrieben. Vorweg sei gesagt: Man legt „Die Toten von der Falkneralm“ bis zum Ende nicht mehr aus der Hand, das Experiment ist gelungen und eine Überraschung dazu. Denn Nemec wählt als Hauptfigur und Ich-Erzähler den Schauspieler Miroslav Nemec, der schwer übernächtigt vom „Tatort“-Dreh am Wochenende in ein Hotel im Berchtesgadener Land fährt.
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Dort ist eine Lesung aus einem Mankell-Roman geplant, danach ein Gespräch mit einem Journalisten und einem echten Ex-Kommissar über „Mord und Totschlag in Fiktion und Wirklichkeit“. Schauspieler-Alltag für beliebte Stars – und natürlich muss sich Nemec unter die zahlenden Gäste mischen, die allerdings gar nicht so zahlreich wie geplant erschienen sind. Denn ein Unwetter ist heraufgezogen. Nemec hat es gerade noch mit der letzten Seilbahn auf die Falkneralm geschafft.
Wütender Ehemann unterbricht heißen Flirt
Nach dem Essen spendiert die Wirtin freie Getränke für die sturmumtost Eingeschlossenen – und Nemec kommt ins Gespräch mit einer attraktiven Dame, deren wütender Ehemann sich schnell dazu gesellt. Nemec wünscht sich, „diesem Ungustl einfach eine aufs Maul zu hauen“, aber das, so sinniert er, sei doch eher etwas für den hitzigen Ivo Batic, wenn es das Drehbuch wünsche. „Der ebenfalls hitzige, aber sich seiner öffentlichen Rolle durchaus bewusste Miroslav Nemec“, schreibt Nemec, habe aber keinen Bedarf an solchen Schlagzeilen. Und der Autor Nemec hat sowieso ganz andere Möglichkeiten: Wenige Seiten später treibt der Ungustl tot im Hotelpool. Ein Badeunfall?
Als der Ehemann von Nemecs nächstem Bargespräch von Dachziegeln erschlagen im Innenhof gefunden wird, kommen Nemec und der Ex-Kommissar ins Grübeln. War es der Sturm, der die Ziegel löste – oder ist das ein Zufall zu viel? Fall oder Unfall, das ist hier die Frage, witzelt der Autor. Es ist zudem nicht der letzte Tote in dieser Nacht.
Was den ehemaligen Residenztheaterschauspieler Nemec zu diesem doppelbödigen Spiel mit den fiktiven Ebenen bewegt haben mag? Zumindest darauf gibt es einen klaren Hinweis. „Pirandello“, sagt Nemec, „Wer?“ antwortet der Ex-Kommissar. Aber die Personen suchen hier nicht einen Autor, wie in Pirandellos berühmtem Stück, sondern die Überlebenden den Mörder. Die Eingeschlossenen im Berghotel böten ein lupenreines Agatha-Christie-Setting, die Auflösung des Falles hat allerdings mehr mit Hitchcock zu tun – was genau, kann selbstverständlich nicht verraten werden.
Hinter den Tatort-Kulissen: Nemec plaudert aus dem Nähkästchen
„Tatort“-Fans werden sicher auch die Passagen lieben, in denen Nemec über die Schauspielerei sinniert und über Frust und spezielle Freude der Popularität. „Den Glanz im Frauenauge wusste ich sehr wohl zu schätzen, und wenn es sich ergab, dann schlug ich auch kein Angebot aus. Aber das ist lange her. Ich löse die Gutscheine nicht mehr ein.“
Glücklicherweise ist der Autor Nemec klug genug, die Eitelkeit des Schauspielers Nemec auch zu ironisieren – und sei es mit einem Zitat von Helmut Fischer: „Auf gehts’s in die Fußgängerzone, geh ma uns a bissl erkennen lassen.“
Man beißt sich keine Fingernägel ab vor Thrillerspannung, der sympathisch unaufgeregt erzählte Krimi wäre verfilmt aber mindestens so reizvoll, wie das „Wer bin ich“-Identitätsspiel Ulrich Tukurs im gleichnamigem „Tatort“.
„Mein erster Fall“ untertitelt Nemec seine ersten „richtigen“ Ermittlungen außerhalb der Ivo-Batic-Rolle. Es muss ja kein Einzelfall bleiben.
Miroslav Nemec: „Die Toten von der Falkneralm“ (Knaus, 256 Seiten, 19,99 Euro)