Die Kandidaten, die Abstimmung, die "Nicht-Favoriten"
Köln/München - Nach dem Debakel um die ESC-Nominierung von Xavier Naidoo ("Bei meiner Seele"), die der NDR nach Protesten wieder zurückgezogen hatte, greift der Sender nun zum bewährten Vorentscheid. Die Zuschauer können erneut entscheiden, wer Deutschland am 14. Mai beim Eurovision Song Contest in Stockholm vertreten wird.
Das Rennen um das deutsche Ticket ist dabei so offen wie vielleicht selten zuvor. Vor dem Vorentscheid, der von Barbara Schöneberger moderiert wird, rechnen sich mehrere Bands und Musiker Chancen auf die Reise nach Stockholm aus - etwa die "The Voice of Germany"-Siegerin Jamie-Lee Kriewitz. Sie "habe total Bock drauf", sagte die Sängerin am Mittwoch. Ähnlich sah es Sänger und Schauspieler Christian Friedel, der mit seiner Band Woods Of Birnam ins Rennen geht: "Jede Band, die hier antritt, möchte natürlich gewinnen".
Gibt es einen Favoriten?
Allerdings fällt selbst erfahrenen ESC-Beobachtern eine Prognose zu den Siegchancen der insgesamt zehn Kandidaten schwer. "Favoriten gibt es wirklich nicht so richtig klare", sagte ESC-Kommentator Peter Urban, der den Musikwettbewerb seit 1997 kommentiert, der Deutschen Presse-Agentur. Fast die gesamte deutsche Musiklandschaft sei irgendwie vertreten. "Es fehlt eigentlich nur R ’n’ B oder Soul."
Am Mittwoch wurde in Köln geprobt. "Das ist ja, wenn sie so wollen, ein historischer Ort", sagte ARD-Unterhaltungskoordinator Thomas Schreiber zu dem Studio, in dem eine aufwendige Bühne aufgebaut wurde. 2010 sei dort zusammen mit ProSieben "Unser Star für Oslo" entstanden - und in Oslo holte Lena Meyer-Landrut den Sieg.
Einen ähnlichen Vorfall wie 2015 wollen die Macher in diesem Jahr allerdings vermeiden. Damals hatte Andreas Kümmert den deutschen Vorentscheid gewonnen, dann aber überraschend doch nicht zum ESC fahren wollen. 2016 sei mit allen Künstlern ausgiebig gesprochen worden, sagte Schreiber. "Natürlich haben wir allen gesagt: Wir wollten jetzt nicht in Serie das Andreas-Kümmert-Ergebnis haben."
Andreas Kümmert: Das war der Grund für die ESC-Absage
Vorentscheid in der ARD und im Livestream
Der Vorentscheid wird heute (25. Februar) um 20:15 Uhr live im Ersten und Einsfestival sowie im Stream auf "eurovision.de" übertragen. Auf Einsfestival läuft im Anschluss die Sondersendung "Nachglühen vom ESC-Vorentscheid". Um 22:30 Uhr wird die Pressekonferenz mit dem Sieger auf Einsfestival und "eurovision.de" übertragen.
Abstimmung per Telefon, SMS und App
Nach dem gescheiterten NDR-Alleingang darf nun wieder allein der Zuschauer über den deutschen ESC-Teilnehmer entscheiden. Im Vorentscheid treten die Kandidaten dazu in zwei Runden an. Zuerst stellen alle zehn Acts ihren Song vor. Im zweiten Durchlauf treten die drei Kandidaten mit den meisten Zuschauerstimmen erneut an. Abgestimmt werden kann wie gewohnt per Anruf und SMS aus dem deutschen Festnetz oder mit einem deutschen Mobilfunkvertrag. Handy-Nutzer mit deutschem Vertrag müssen sich zur Abstimmung auch in Deutschland aufhalten. Erstmals ist zudem das Voting mit der offiziellen Eurovision-App möglich. Dazu muss der User in Deutschland registriert sein und über eine funktionierende deutsche SIM-Karte verfügen.
Die zehn Kandidaten
Alex Diehl
Bayerischer Singer-Songwriter, der mit seinem Beitrag "Nur ein Lied" in guter deutscher ESC-Friedenslied-Tradition steht - man erinnere sich an Nicole ("Ein bisschen Frieden"). Diehl schrieb das Lied im Eindruck des Terrors von Paris. Auf Facebook war es ein Hit und per Online-Petition forderten Fans: Schickt Diehl zum ESC.
Avantasia
Rock-Projekt um den in Metal-Kreisen bekannten Musiker Tobias Sammet ("Edguy"). Das Lied "Mystery Of A Blood Red Rose" erinnert weniger an die finnischen ESC-Gewinner und Hardrocker von Lordi, eher an opulente Rock-Arien der 80er. Sammet spricht selbst von einem "Rock-Opern-Konzept" und tourt bereits international.
Ella Endlich
Lässt die Schlager-Tradition beim ESC aufleben - in der gerade modernen Helene-Fischer-Variante. Mit "Küss mich, halt mich, lieb mich" hatte sie 2009 einen kleinen Hit. Nun singt sie in "Adrenalin": "Nimm mich mit, nimm mich mit, nach nirgendwo" - und will damit nach Stockholm.
Gregorian
Mittelalter-Projekt des Hamburger Musikproduzenten Frank Peterson. bei dem die Sänger Mönchskutten tragen. Im Song "Masters Of Chant" trifft gregorianischer Gesang auf Pop-Musik. Dürfte mit Blick auf den Stil sehr herausstechen und erinnert ein wenig an "Conquest of Paradise", zu dem einst Henry Maske einzog. Die Mönche haben seit den 90ern etliche Platten veröffentlich und viele Cover-Versionen vertont.
Jamie-Lee Kriewitz
Die Schülerin aus der Nähe von Hannover hat bereits gute Erfahrungen mit Publikums-Abstimmungen gemacht - sie gewann die Show "The Voice of Germany" von ProSiebenSat.1. Outfit und Show sind inspiriert vom asiatischen Manga-Stil, das Lied "Ghost" war schon in den Charts und ist modern produzierter Pop.
Joco
Die Schwestern Josepha und Cosima Carl sind bislang eher Insidern bekannt. Sie machen mit dem Lied "Full Moon" Indie-Pop der anspruchsvolleren Sorte. Die Schwestern aus Hamburg gelten als große Talente - ein Stipendium erlaubte es ihnen jüngst, ihr Album in die berühmten Abbey Road Studios in London einzuspielen.
Keøma
Die australische Sängerin Kat Frankie und der Kölner Rockmusiker Chris Klopfer machen mit "Protected" elegischen Indie-Pop mit ein bisschen Wehmut. Die beiden haben erst kürzlich ihr ersten Album zusammen aufgenommen. Frankie könnte Fans von "Schulz & Böhmermann" bekannt vorkommen - für die Show sang sie den Soundtrack.
Laura Pinski
Laura Pinski ist das Rückkehrticket von Ralph Siegel auf die deutsche ESC-Bühne. Ihr Lied "Under The Sun We Are One" stammt aus der Feder des ewigen ESC-Komponisten. Pinski selbst wurde als Finalistin der RTL-Show "Das Supertalent" bekannt. Neben ihrer Show-Karriere studiert die Düsseldorferin mittlerweile Jura.
Luxuslärm
ie westfälische Band ist bereits bei Stefan Raabs ESC-Variante "Bundesvision Song Contest" ins Rennen gegangen und auf Platz vier gelandet. Nun soll es mit der Deutsch-Pop-Nummer "Solange Liebe in mir wohnt" etwas mehr werden. Dreh- und Angelpunkt ist Frontfrau Jini Meyer.
Woods of Birnam
Den Namen seiner Band hat Sänger Christian Friedel von Shakespeares "Macbeth" abgeleitet - er ist eben Schauspieler durch und durch ("Das weiße Band"). Als Musiker schart er Ex-Mitglieder der Band Polarkreis 18 um sich. Wer das weiß, hört in "Lift Me Up" etwas von dem Sound des Polarkeis-Hits "Allein Allein".
Moderatoren und Stargäste
Die Moderation des Vorentscheids übernimmt erneut Barbara Schöneberger. Durch das "Nachglühen vom ESC-Vorentscheid" auf Einsfestival führen Bianca Hauda und Thilo Jahn. Als Stargast treten zwischen den beiden Durchgängen die Country-Rocker The BossHoss zusammen mit der niederländischen Band The Common Linnets auf, die beim ESC 2014 den zweiten Platz erobert hatte. Zusammen spielen sie das Dolly-Parton-Cover "Jolene".