"Die Auserwählten": Ulrich Tukur spielt pädophilen Menschenfischer

Über Jahrzehnte wurden Kinder an der Odenwaldschule missbraucht. Doch bis vor wenigen Jahren fanden die Opfer kaum Gehör. Der Spielfilm "Die Auserwählten" zeigt jetzt das Leben am einstigen Vorzeigeinternat.
(jh/spot) |
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Ulrich Tukur als pädophiler Leiter der Odenwaldschule
WDR/Katrin Denkewitz Ulrich Tukur als pädophiler Leiter der Odenwaldschule

Berlin - Eine idyllische Landschaft, ein Vorzeigeinternat der Reformpädagogik inmitten von Wald und Wiesen, Kinder tollen durch die verstreut liegenden Gebäude: Die Kulisse, in der die junge Lehrerin Petra Grust von ihrem neuen Schulleiter sehr offen und charmant empfangen wird, ähnelt der eines Märchens. Und doch ist sie der Ort eines furchtbaren Missbrauchsskandals - die Odenwaldschule. Mit Simon Pistorius, dem Schulleiter, als erschreckend heuchlerischem Haupttäter, verkörpert von Ulrich Tukur.

Auch in der Dokumentation "Und wir sind nicht die Einzigen" beschäftigt sich "Die Auserwählten"-Regisseur Christoph Röhl mit der Odenwaldschule. Die DVD bekommen Sie hier

Der WDR-Film "Die Auserwählten", am Mittwoch um 20:15 Uhr im Ersten, versucht auf fiktionaler Ebene die Geschehnisse an der Odenwaldschule darzustellen. Von den sechziger bis in die neunziger Jahre hinein wurden Schüler unter anderem vom langjährigen Schulleiter Gerold Becker missbraucht, trotz vorheriger Gerüchte begann erst 2010 eine größere Untersuchung. 132 Opfer sind dabei bekannt geworden. Kurzfristig versuchten zwei ehemalige Schüler der Odenwaldschule, eine Ausstrahlung zu verhindern. Der WDR hielt allerdings am Sendetermin fest.

Regie führte bei "Die Auserwählten" Christoph Röhl, der zwischen 1989 und 1991 selbst Tutor an der Odenwaldschule war und 2011 bereits die Dokumentation "Und wir sind nicht die Einzigen" zu dem Thema drehte. Im WDR-Interview erzählt Röhl von seiner Intention, die Geschehnisse in einem Spielfilm zu dokumentieren: "Wenn man mit den Opfern einmal gesprochen, die Berichte von dem Grauen, das sie erlebt haben, einmal gehört hat, dann gibt es kein Zurück mehr."

Röhl versetzt die Zuschauer in die 1980er Jahre zurück. Durch die Flure der Odenwaldschule dröhnt Punkrock, die Lehrer fühlen sich mit ihrer Reformpädagogik als Teil einer Elite. Eine andere Welt, in die sich die neu an das Internat gekommene Lehrerin Petra Grust, gespielt von Julia Jentsch, nur langsam einfindet. Verwundert nimmt sie das enge Verhältnis zwischen Lehrern und Kindern wahr. Erst nach und nach erkennt Grust, was sich in den Schlafzimmern und Duschen abspielt. Ihr sehr heroisch dargestellter Versuch, die Taten anzusprechen, scheitert an der Ignoranz der Eltern sowie an einem schweigenden Lehrerkollegium.

Charismatisch geführt wird die Lehrerschaft von Simon Pistorius, angelehnt an Gerold Becker. Ulrich Tukur porträtiert den Schulleiter brillant. Er wickelt Eltern wie auch Träger des Vereins um den Finger, weist die immer neugierige Grust brüsk, aber immer mit einem Lächeln, in die Schranken und wendet sich dann wieder mit vergifteter Zärtlichkeit den nach Aufmerksamkeit suchenden Kindern zu. Ein Freund von Pistorius, der von dessen Taten weiß, bezeichnet ihn im Film als "Menschenfischer vor dem Herrn". Wie verstörend Tukur die Rolle des Schulleiters spielt, schilderte er selbst in einem "Spiegel"-Interview: "Eine ehemalige Schülerin der Odenwaldschule kam nach einer Vorführung auf dem Filmfest München zu mir und sagte: ,Arschloch!'"

Besonders beklemmend zeigt "Die Auserwählten" aber die Ohnmacht der Opfer. Aussagen der Kinder werden nicht ernst genommen, ein rhetorisch und empathisch hochbegabter Haupttäter erstickt jeden aufkeimenden Vorwurf und die Umgebung schaut (fast) kollektiv weg. Am Ende des Films bleibt trotz des paradiesischen Schauplatzes ein bedrückendes Gefühl. Denn wegen Verjährung wurden weder der ehemalige Schulleiter Gerold Becker noch andere Täter je rechtskräftig verurteilt.

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