Zu viel der Worte: Joshuas doppelte Niederlage gegen Usyk
Einen Kampf kann man verlieren, aber sein Gesicht? Der Ex-Champion Anthony Joshua verlor beides an diesem Abend im saudi-arabischen Dschidda. Eigentlich wollte sich AJ, wie er genannt wird, seine Titel, seinen Box-Thron, seine Würde zurückholen, und die Niederlage im ersten Aufeinandertreffen vor einem Jahr mit Ausnahmeboxer Oleksandr Usyk, die einer Lehrstunde und Demütigung gleichkam, vergessen machen.
Anthony Joshua verliert Kampf und sein Gesicht
Stattdessen kassierte der Brite, der sehr viel besser kämpfte als im ersten Fight der Olympiasieger, eine erneute Punktniederlage (113:115, 115:113, 112:116). Was aber viel schwerer wog, war, dass er erst die Beherrschung und dann sein Gesicht verlor. Der vermeintliche Gentleman-Boxer schrie erst rum, dann schnappte sich der 32-Jährige, der vor der Urteilsverkündung noch mit Usyk und der ukrainischen Flagge posiert hatte, zwei der WM-Gürtel von Usyk - und schmiss diese demonstrativ aus dem Ring. Anschließend verließ Joshua das Seilgeviert fast fluchtartig.
Joshua hält wirre Rede
Auf halbem Weg in die Kabine drehte er wieder um. Er stapfte wutentbrannt zurück, redete wild auf Usyk ein, schnappte sich das Mikrofon und sagte zu Usyk: "Sorry, dass ich dir diesen Moment stehle". Dann hielt Joshua eine wirre und irre vierminütige Rede voller Selbstbeweihräucherung und Profanitäten. Er sprach über seine Jugend, wie er im Gefängnis gelandet ist, dass er ein anderer Boxer als Mike Tyson sei, weil er so schwer sei. Am Ende versuchte Joshua noch irgendwie die Kurve zu kriegen und forderte das Publikum auf, den Champion Usyk hochleben zu lassen. Ein klassischer Fall von: zu viel der Worte!
Der Ukrainer, der kaum Englisch spricht, verfolgte die abstruse Joshua-Show mit entgeisterten Augen – bis Joshua die selbstgewählte Bühne wieder verließ.
Sein Promoter Eddie Hearn versuchte zu retten, was nicht zu retten war. "Es war die Reaktion eines Menschen. Er hatte so viel Druck auf seinen Schultern und AJ ist einfach explodiert, weil er verloren hat und am Boden zerstört war", sagte Hearn über Joshua, der später auf der Pressekonferenz in Tränen ausbrechen sollte: "Nach der neunten Runde dachte ich, dass Joshua gewinnt. Dann kam Usyk wie ein echter Champion zurück. Er war wie ein Zug, den man nicht stoppen kann. Auch ich hatte Usyk am Ende vorne, er ist einfach zu gut. Er war zu gut für AJ. Ich weiß nicht, ob ihn überhaupt jemand schlagen kann."
Oleksandr Usyk trat mit Kosaken-Frisur an
Dabei war Usyk anfangs nervös und zappelig. Die Last auf seinen Schultern war selbst für ihn zu groß. Er wollte seiner Heimat Ukraine, die von Russen-Diktator Wladimir Putin seit dem 24. Februar mit einem barbarischen Angriffskrieg überzogen wird, einen triumphalen Erfolg schenken. "Ich widme diesen Sieg meinem Land, meiner Familie, meinem Team und allen Soldaten, die das Land verteidigen. Ich danke euch sehr", sagte Usyk, der extra mit einer Kosaken-Frisur angetreten war: "Ich danke Gott, dass er mir in dieser schwierigen Zeit beigestanden ist."
Wladimir Klitschko: "Ruhm für die Ukraine!"
So, wie die Ukraine hinter ihm gestanden ist. "Es war ein schwieriger Kampf, aber so ein wichtiger und notwendiger Sieg", twitterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: "Diese Titelverteidigung ist ein Beleg dafür, dass alle, die von den Kosaken abstammen, nie aufgeben, sie kämpfen bis zum Schluss - und am Ende gewinnen sie auf jeden Fall." Und der ukrainische Ex-Weltmeister Wladimir Klitschko meinte: "Usyk zeigte Widerstandskraft, Herz und die taktische Strategie eines wahren Champions. Ruhm für die Ukraine!"
Wie geht es jetzt für Usyk, der ja schon 35 Jahre alt ist, weiter? "Ich will gegen Tyson Fury boxen. Entweder gegen ihn oder gar nicht mehr", sagte Usyk. Und Fury, der "Gypsy King", der offiziell vom Sport zurückgetreten ist, aber noch als WBC-Weltmeister geführt wird, nahm die Herausforderung pöbelnd an. "Ich werde den ukrainischen Penner um seine Gürtel erleichtern, wie ich es schon mit dem letzten ukrainischen Penner getan habe", sagte Fury, der 2015 die fast zehnjährige Regentschaft von Wladimir Klitschko beendet hatte: "Aber es wird nicht billig. Wenn du den Besten willst, musst du zahlen. Es wird sehr teuer, holt die Scheckbücher raus." Der Sprücheklopfer bei der Arbeit, Usyk ist aber kein Mann der lauten Töne. "Ich weiß nicht, ob ich die Titel vereinigen und Fury schlagen werde. Das weiß nur Gott allein." Genug der Worte. . .