Wittmann: „Das Fahrerlevel ist höher als in der Formel 1“
AZ: Herr Wittmann, Pascal Wehrlein holte 2015 den Gesamtsieg in der DTM. Sie landeten im Jahr davor ganz vorne. Jetzt fährt Wehrlein Formel 1. Warum sieht man Sie nicht in der Königsklasse?
Marco Wittmann: Der Weg in die Formel 1 ist mittlerweile ein ganz schwieriger. Ohne Geldkoffer kommt man da nur noch sehr schwer rein. Viele Fahrer schaffen es nur dank finanzieller Unterstützung und großer Sponsoren. Pascal gelang es unter anderem wohl auch über den Weg mit Mercedes, weil die ja Motoren in die Formel 1 liefern. Aber die generelle Entwicklung ist schon sehr schade, weil so viele Talente einfach nicht mehr zum Zug kommen.
Sie selbst waren ja auch ein hochgehandeltes Talent, waren in der Formel 3 und der Formel BMW sehr erfolgreich. Ist man da frustriert, wenn der Weg nach ganz oben nur übers Geld führt?
Im Nachhinein überhaupt nicht mehr. Klar, ich kenne jetzt viele Piloten, gegen die ich in der Formel 3 gefahren bin und die jetzt Formel 1 fahren, wie etwa Valteri Bottas. Aber irgendwann war das Budget einfach ausgereizt, um im Formel-Sport weiter nach oben zu kommen. Wie gesagt, es geht nur übers Geld. Aber ich habe die Chance in der DTM bekommen, erst als Test-, dann als Rennfahrer. Und die habe ich genutzt. Jetzt glaube ich, dass ich gar nichts Besseres hätte machen können. Außerdem hat sich die DTM auch stark verändert. Sie ist die beste Tourenwagenmeisterschaft weltweit, auch dank des Einstiegs von BMW. Und man muss sich auch die Frage stellen, ob die Formel 1 noch erstrebenswert ist.
Wie meinen Sie das?
Die Formel 1 wird immer als die höchste Kategorie des Motorsports dargestellt. Aber die DTM ist mittlerweile im Tourenwagenbereich genauso gut. Vom Fahrerlevel, würde ich behaupten, ist sie sogar stärker. Bei uns geht es ganz schön ordentlich zu, mit engen Zweikämpfen, die es in der Formel 1 mittlerweile gar nicht mehr gibt.
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Nicht wenige Rennsportfans behaupten sowieso, die DTM ist authentischer, näher am Fan und viel spannender.
Das stimmt. Die Leute können ins Fahrerlager kommen, sich alles anschauen und sich Autogramme holen. Und auf der Strecke geht es auch anders zur Sache. Da fliegen schon mal Teile vom Auto weg, das gehört einfach dazu und genau das will der Fan doch sehen. Der Kampf unter den Marken BMW, Audi und Mercedes ist ausgeglichen. Das führt zu viel mehr Spannung und Abwechslung. Schauen wir auf diese Saison: Da hatten wir bislang sechs verschiedene Sieger in den ersten sechs Rennen, aufgeteilt auf alle drei Marken.
Das macht natürlich auch das Tippen eines Favoriten viel schwieriger. Kann man überhaupt noch abschätzen, wer am Ende ganz vorne steht?
Das Feld ist brutal eng zusammengerückt. Wir haben Qualifying-Ergebnisse, wo sich alle Fahrer innerhalb einer halben Sekunde befinden. Das hast du in der Formel 1 vielleicht von Platz eins bis drei. Das ist auch das Extreme an der DTM. Du kannst vielleicht das Auto haben, um auf Pole Position zu fahren, aber nur ein Schnitzer, eine Zehntel-Sekunde, und du landest auf Platz 12. Manchmal ist das nur schwer zu verkraften. Am Ende kommt es dann auf die Konstanz an und deshalb muss man als Favorit auch die Fahrer auf dem Zettel haben, die in den vergangenen Jahren schon vorne waren: Matthias Ekström (Audi), Bruno Spengler (Mercedes) oder Jamie Green (Audi). Das sind nach wie vor Titelkandidaten.
Und wo landen Sie? Momentan läuft es ja gut, Sie sind mit drei Punkten Rückstand Zweiter hinter Robert Wickens (Mercedes).
Ich hoffe ganz oben (lacht). Letztes Jahr, nach der Meisterschaft, war ein schwieriges Jahr. Heuer läuft es besser. Wir wollen einfach so weiterfahren, konstant punkten und dann sehen wir, was rauskommt.
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Das Rennen an diesem Wochenende findet in Nürnberg am Norisring, nahe Ihrer Heimat, statt. Was macht das Rennen dort so besonders?
Das ist das Highlight im Rennkalender, für mich sowieso, aber auch für die meisten Fahrer. Das liegt daran, weil es der einzige Stadtkurs im Rennkalender ist und auch ein ganz anderes Flair hat. Ich denke da an die denkmalgeschützte Steintribüne und das Zeppelinfeld. Das Fahrerlager ist dort ganz anders aufgeteilt, weshalb die Fans viel näher rankommen als sonst. Das lieben die Leute und deshalb ist dort immer Full House. 130 000 Zuschauer, das ist Wahnsinn!
Bei einem Stadtkurs sind auch die Bedingungen andere. Wo liegen für Sie die wesentlichen Unterschiede?
Es gibt viel mehr Bodenwellen als auf anderen Rennstrecken, weil es ja kein permanenter Rennkurs ist. Außerdem sind die Kurven enger und langsamer. Das ist schon eine Herausforderung. Für uns BMW-Fahrer lief es dort bislang noch nicht so toll. Die Strecke war eher Mercedes-Land. Aber das Team und ich werden alles versuchen und das Bestmögliche rausholen.
Sie sind gebürtiger Fürther, die Rivalität zwischen Nürnberg und Fürth ist ja bekanntlich groß – nicht nur im Fußball. Wie kann man da den Norisring als Heimspiel bezeichnen?
(lacht) Ich habe da kein Problem und habe das auch noch nie verstanden. Das sind zwei Städte, die wirklich unmittelbar nebeneinander liegen. Diese extreme Rivalität, die da besteht, finde ich schlimm. Als ich 2014 Meister wurde, hat mein Rennsportverein, der MSC Nürnberg, die Meisterfeier organisiert. Da kamen auch Fürther zu mir, die sagten: „Wie kannst du deine Feier in Nürnberg abhalten?“ Aber für mich spielt das keine Rolle. Und daher macht es mir nichts, in Nürnberg zu fahren. (lacht)