Turner Nguyen: Unter Zeitdruck stehe ich jetzt nicht mehr

Marcel Nguyen ist einer der wenigen Profiteure der Olympia-Verschiebung. Im AZ-Interview spricht der Turnstar über Training in der Corona-Krise und die finanziellen Folgen: "Für viele Sportler unangenehm".
Simon Stuhlfelner |
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Bei Olympia 2012 in London holte Nguyen Silber am Barren und im Mehrkampf.
dpa Bei Olympia 2012 in London holte Nguyen Silber am Barren und im Mehrkampf.

München - Olympische Spiele – sie sind der Traum eines jeden Sportlers. Doch in diesen vermaledeiten Corona-Zeiten ist auch dieser Traum, wenn nicht geplatzt, so zumindest verschoben – auf den Sommer 2021. In einer losen Serie beleuchtet die AZ die Auswirkungen der Verlegung der Sommerspiele von Tokio auf die Sportler. Den Anfang macht der Unterhachinger Turnstar Marcel Nguyen.

AZ: Herr Nguyen, Sie sind einer der wenigen Profiteure der Olympia-Verschiebung, nach Ihrer Schulter-Operation im Oktober haben Sie jetzt mehr Zeit, in Topform zu kommen. Wie erleichtert waren Sie, nachdem die Verschiebung festgestanden hat?
Marcel Nguyen:
Schon sehr. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon zwei oder drei Wochen komplett aus dem Training draußen. Mir war klar, dass ich nur eine Chance auf die Spiele habe, wenn ich nach meiner Verletzung jeden Tag, ja jede Stunde im Training nutze. Das war aber wegen der coronabedingten Einschränkungen nicht mehr möglich. Ich hätte es wahrscheinlich nicht mal mehr intern in die Mannschaft geschafft, weil die Kollegen zum Beispiel in Berlin oder Hannover noch etwas länger trainieren durften. Letzten Endes war die Verschiebung ja ohnehin nicht mehr zu vermeiden. Ich war dann einfach nur froh, als die Entscheidung des IOC gefallen war.

"Außer wenn ich verletzt war, habe ich noch nie so lange pausiert wie jetzt"

Wie trainieren Sie in der Zwangspause? Gibt es den Mini-Barren in Ihrem Garten noch?
Den habe ich wieder zurückgegeben. Wir sind seit letzter Woche in Stuttgart wieder ins Training eingestiegen, einmal am Tag dürfen wir unter strengen Auflagen maximal zu fünft in die Halle. Das kann man nicht mit dem normalen Training vergleichen, aber es ist besser als nichts. Momentan könnte ich aber eh nicht so hart trainieren. Ich habe, außer wenn ich verletzt war, noch nie so lange pausiert wie jetzt.

Bei Olympia 2012 in London holte Nguyen Silber am Barren und im Mehrkampf.
Bei Olympia 2012 in London holte Nguyen Silber am Barren und im Mehrkampf. © dpa

Und wie geht’s der Schulter?
Die ist echt gut geworden. Ich habe vor der Corona-Zwangspause gemerkt, dass meine Schulter noch Zeit braucht, so gesehen war die Pause gar nicht schlecht. Körperlich bin ich natürlich weit von einem guten Zustand entfernt. Aber jetzt, wo die Schulter wieder mitspielt, kann ich mein Training ganz normal aufbauen. Und unter Zeitdruck stehe ich sowieso nicht mehr.

Beweglich bleiben in der Krise: "Ich würde auf Youtube zurückgreifen"

Wie überbrücken Sie sonst die Zeit?
Ich muss sagen, ich habe das Spazierengehen für mich entdeckt (lacht). Ansonsten bin ich mit meiner Freundin die meiste Zeit zuhause und schaue Netflix-Serien oder so etwas. Ach ja: Und eine Switch (neueste Spiele-Konsole von Nintendo, d.Red.) habe ich mir gekauft.

Zusammen mit Ihrer Freundin Michelle Timm, ebenfalls eine Kunstturnerin, haben Sie Fitness- und Turnkurse im SWR gegeben. Wie kam es dazu?
Zusammen mit dem SWR hatten wir die Idee, ein paar Turn-Videos mit Übungen, die jeder zuhause nachmachen kann, aufzunehmen. Das erste war ein Handstand-Tutorial. Das ist so gut angekommen, dass wir weitere Folgen gedreht haben mit leichten Turnelementen wie Bogengang, Winkelstütz oder Spagat.

Was empfehlen Sie den Menschen: Wie kann man in der Krise fit und beweglich bleiben?
Da würde ich echt auf Youtube zurückgreifen. Da gibt es für jeden Videos, mit denen man sich in 20 Minuten fit machen kann. Ich habe selber mal ein paar dieser Kurse mitgemacht und bin ganz schön ins Schwitzen gekommen. Das gibt es für jede Schwierigkeitsstufe.

Hoffnung auf Olympia 2021: "Im Endkampf ist alles möglich"

Spüren Sie auch finanzielle Auswirkungen der Corona-Krise? Eigentlich wollten Sie sich ja statt des Mini-Barrens ein Gerät für 9000 Euro nach Hause liefern lassen...
Das war zu viel Geld für mich. Einer meiner Hauptsponsoren konnte seinen Vertrag nicht verlängern, weil sie alle finanziellen Mittel, die sie nicht unbedingt ausgeben müssen, erstmal eingefroren haben. Auch die Preis- und Antrittsgelder fehlen. Die Krise wird für viele Sportler noch unangenehme Auswirkungen haben. Ich will mich aber nicht groß beschweren, denn durch die Sportfördergruppe der Bundeswehr bin ich finanziell abgesichert. Die Bundeswehr ist für den Spitzensport ein extrem wichtiger Partner, auf die ist immer Verlass.

Bei Olympia 2021 sind Sie 33, ein fast biblisches Alter für einen Turner. Welche Chancen rechnen Sie sich dort aus?
Ich muss jetzt erstmal wieder richtig fit werden und hoffen, dass die Schulter weiter hält. Wenn das klappt, dann bin ich ganz zuversichtlich. Mit dem Team will ich wieder ins Finale kommen. Meine größte Einzelchance aufs Finale ist nach wie vor am Barren. Im Endkampf ist dann immer alles möglich.

Lebt auch die Hoffnung auf weitere Olympiamedaillen nach zweimal Silber 2012? Fabian Hambüchen hatte 2016 ebenfalls große Schulterprobleme – und gewann dann bei den Spielen in Rio Gold am Reck...
Ja, klar, träumen tut man immer. In meinem jetzigen Zustand ist das noch unrealistisch, aber durch die Verschiebung ist noch Zeit. Bei Olympia sind schon die verrücktesten Sachen passiert. Dazu braucht es einen guten Tag und ein bisschen Glück.

Die Turnübungen mit Marcel Nguyen und Michelle Timm sind abrufbar unter www.swr.de.

Lesen Sie hier: Axel Schulz - "Es war der beste Kampf meines Lebens"

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