Verzweifelt gesucht: Das Löwenherz

München - Seit Mittwoch herrscht tiefster Herbst in München. Sturm. Regen. Kälte. Auch an der Grünwalder Straße herrscht ein eisiger Wind. Auf den Gängen der Geschäftsstelle des TSV 1860. Und auf dem Trainingsplatz.
Am Mittwochmorgen schien es noch so, als ob sich die Spieler der Profimannschaft gar nicht raustrauen würden. Trainer Markus von Ahlen hatte zur Videoanalyse der Aue-Blamage (1:4) gebeten. Nach 45 Minuten kamen sie dann aber doch noch. Einige von ihnen mit Mützen und Handschuhen. Gegen die Kälte. Gegen den Sturm.
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Jetzt gilt es für die Löwen. Jetzt müssen die Spieler zeigen, aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Nicht nur, um Wind und Wetter zu trotzen. Auch, um zu beweisen, dass sie kämpfen können. Dass sie leiden können. Dass sie sich quälen und für den Verein zerreißen können.
Bei Sechzig suchen sie das Löwen-Herz.
„Wir müssen die Fans von unserem Willen überzeugen“, fordert Trainer Markus von Ahlen, als er selbst in der Kälte steht. Mit Blick auf das Spiel am Sonntag gegen Eintracht Braunschweig ist dieser Wille auch bitter nötig. Einerseits, weil das Abrutschen auf den letzten Tabellenplatz droht. Andererseits, weil es gilt, die enttäuschten Fans nach dem ernüchternden Auftritt im Erzgebirge wieder für sich zu gewinnen.
Die Frage ist: Können die Löwen Abstiegskampf? Von Ahlen ist überzeugt, dass er „genug Spieler im Kader“ hat, die mitbringen, was jetzt vonnöten ist: Laufbereitschaft, Zweikampfstärke und mentale Härte.„Genug Spieler“ heißt im Umkehrschluss aber auch, dass er sich bei einigen seiner Schützlinge nicht so sicher ist.
Er meint zwar, dass „unsere Spieler selbstkritisch ihre Fehler eingestanden haben“. Er sagt aber auch, dass „die Mannschaft verstehen muss“, dass jetzt bedingungslose Bereitschaft gefragt ist.
Verstehen muss? Hat sie das also noch immer nicht verstanden? Wer am Montagabend das Spiel Fortuna Düsseldorf gegen den FC St. Pauli gesehen hat, bekam Anschauungsunterricht darin, was den Löwen aktuell fehlt.
Sergio Pinto und Axel Bellinghausen waren die entscheidenden Spieler für die Fortuna auf dem Platz. Nicht, weil sie mit ihren spielerischen Qualitäten überzeugten. Sondern weil sie die Kiez-Kicker niederkämpften. Weil sie sich ständig am Rande der Kick-Legalität bewegten und den Paulianern so den Spaß am Spiel nahmen. Weil sie vorangingen und durch unbedingten Willen und Begeisterung für ihr Spiel ihre Nebenmänner mitzogen und bis zur Erschöpfung für den Sieg kämpften.
Pinto und Bellinghausen trieben auf die Spitze, was Ex-Löwe Manni Bender im Gespräch mit der AZ so beschrieb: „In der Zweiten Liga musst du erst mal 70 Minuten rennen, kämpfen und beißen. Erst, wenn du dann den Gegner niedergerungen hast, kannst du anfangen, Fußball zu spielen. Klar gehört das Spielerische dazu, aber an erster Stelle steht das Fighten, steht der Charakter.“
Die Löwen aber starteten mit einer anderen Philosophie in die neue Saison. Der Umbruch stand unter dem Motto, in der Liga spielerisch zum Erfolg zu kommen. Sportchef Gerhard Poschner holte gezielt Spieler mit technischen Qualitäten und sortierte alte Haudegen aus. Dadurch entstand jedoch ein Vakuum an Führungsspielern, das bislang keiner der Profis nur ansatzweise zu füllen im Stande war.
Kein Spieler sticht durch seine Vita, seine Persönlichkeit oder seine sportliche Leistung heraus. Keiner ist da, der vorne weggehen und die verunsicherten Mitspieler mitziehen könnte. Kein Sergio Pinto, dank dem Düsseldorf mittlerweile Tabellenzweiter ist. Kein Matthias Lehmann, der in der vergangenen Saison den 1. FC Köln in die Bundesliga führte. Kein Goran Sukalo, der bei Fürth im Mittelfeld die Fäden zieht.
Kein Löwe, der mit Herz und unbändigem Willen andere Spieler mitreißen kann. Gerade wird im Umfeld der Löwen diskutiert, ob das Spielsystem 4-3-3 das richtige für die Mannschaft sei. Doch das größte Problem der Löwen ist ein anderes. Das größte Problem ist das Löwen-Herz.