TSV 1860: Vitor Pereira überzeugt menschlich im Gegensatz zu Anthony Power

Löwen-Trainer Vitor Pereira ist der Hoffnungsträger bei 1860 – und schafft im trotz turbulenter Tage im Verein eine neue Mentalität. Die AZ erklärt den Anti-Power aus einem portugiesischen Fischerdorf.
von  Patrick Mayer
Vitor Pereira tut dem TSV 1860 gut.
Vitor Pereira tut dem TSV 1860 gut. © imago/Philippe Ruiz

München - Vitor Pereira hat die Kontraste des Lebens früh kennengelernt. Wenn es früh morgens mit dem Fischerboot auf den Atlantik hinausging, blickte Pereira, damals im Bubenalter, über die weiten Sandstrände von Espinho.

Es ist eine Geschichte, die der Löwen-Coach gerne erzählt. Wie er als Sohn eines armen Fischers aufwuchs, wie er zu Hause mit anpacken musste. Auf der anderen Seite waren die Ausflügler aus Porto. Espinho ist ein malerisches Fischerdorf, kaum 10 000 Einwohner, es bietet aber auch ein schillerndes Nachtleben. Später entstand hier ein Casino, bunt, laut, modern, inmitten schachbrettartig angelegter Fischerhäuschen.

Während die letzten Nachtschwärmer früh morgens in ihren Hotelzimmern aufschlugen, fuhr Pereira nicht selten auf die raue See.

Der Atlantik ist an den Küsten Portugals für seine starken Winde und hohen Wellen bekannt. Salzwassergeschmack in der Luft. Pereira riecht ihn noch immer, wenn er heute in Giesing auf dem Trainingsplatz steht, am Horizont die Alpen. Aus dem Fischersohn ist ein Menschenfischer geworden.

Ismaik schwärmt vom Trainer

"Dass die Mentalität innerhalb der Mannschaft inzwischen eine ganz andere ist, ist ein großer Verdienst von Vitor Pereira. Er hat sich in die Herausforderung 1860 verliebt", schwärmte Investor Hasan Ismaik kürzlich auf Facebook von seinem neuen Trainer. Harte Fassade, weicher Kern, auch bei den Mitarbeitern der Geschäftsstelle ist der 48-Jährige emotional angekommen.

Vergessen sind frühere Trainer, denen die Kritik anhaftete, zur Cholerik zu neigen. Heute erzählen sich die Mitarbeiter vom Zeugwart bis in den dritten Stock ihre Anekdoten mit Vitor. Wie er sie fünf, zehn Minuten auf die Seite nimmt, den Arm um die Schulter. Pereira fragt sie dann nach ihrem Leben, wie es der Familie geht. Er weiß: Er kann die Mission Bundesliga nur verwirklichen, wenn er alle hinter sich hat.

Die Fans haben bisher nur den Heißsporn kennengelernt. Als sich Pereira beim Spiel gegen die Würzburger Kickers, das 1860 schließlich 2:1 gewann, nach einem missglückten Spielzug zur Ersatzbank drehte, zuckten die Zuschauer in den ersten Reihen zusammen. Der Portugiese wetterte, motzte, schrie. Es ist eine Parallele zum früheren Bayern-Coach Pep Guardiola, einem Bekannten Pereiras. Nicht wenige Fußballinteressierte sahen im Katalanen einen introvertierten Weltstar auf Durchreise. So distanziert ist Pereira nicht.

Pereira verliert nie die Bodenhaftung

Die AZ fragte ihn jüngst, wie es denn wirklich um die Überzeugung stünde. "Yes, yes, yes, yes", sagte der Portugiese. Seine Mundwinkel zogen sich nach hinten, er presste die Augenlieder zusammen, lächelte. Auch zu einzelnen Spielern hat Pereira offenbar einen speziellen Zugang. Bestes Beispiel ist Maximilian Wittek. Der Youngster wirkte vor der Winterpause niedergeschlagen, jetzt hat sich seine Körpersprache um 180 Grad gewandelt.

Bei all seinen Stationen hat Pereira nie die Bodenhaftung verloren. Wenn Sechzig spielt, steht er im Trainingsanzug und in Kickschuhen in der Coaching-Zone, nicht in Nadelzwirn und feinen Halbschuhen. Für ihn ist das Spiel kein Festtag, wie Biograf Guillem Balague Guardiola beschrieb. Für ihn ist das Spiel harte Arbeit, wie einst das Fischen auf dem Atlantik. Die Zuversicht unter den Anhängern wächst. Viele beginnen zu begreifen, dass Ismaik ihnen einen gebracht hat, der wider Erwarten zum Image des Arbeiterklubs passt.

Anti-Power

Für die Geschäftsstelle ist er in turbulenten Zeiten mehr, ein Anti-Power. Geschäftsführer Anthony Power gilt wegen seiner strikten Art als unbeliebt. Pereira bildet den exakten Gegenpol. So tauchte er mit seinem Trainerteam bei einem Ausstand mehrerer Löwen-Mitarbeiter auf, die – auch in Folge der kläglichen Außendarstellung – jüngst gekündigt hatten. Während Power solche Umtrünke crasht, stößt Pereira lieber selbst mit an. Ein Menschenfänger nach dem Gusto Ismaiks.

"Er hat zu mir gesagt, ich solle geduldig sein, meinte: Peter, das braucht Zeit", schilderte 1860-Präsident Peter Cassalette im Gespräch mit der AZ von einer neuen Gelassenheit des Investors. Pereira hat Ismaik überzeugt. Zweifel gehören nicht zu seinem Repertoire. Hat er Sechzig in die Erstklassigkeit zurückgeführt, will er weiterziehen. In einem Interview nannte er die Premier League als Ziel. Auch dann wird er sie mitnehmen, die Gedanken an die Heimat. Wie er vor Espinho auf dem Fischerboot stand. Salzwassergeruch in der Luft.

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