Micki Stevic im AZ-Interview: "Bei mir hängt immer noch ein Trikot von Lothar Matthäus"
München - WM-Gespräch mit Miroslav Stevic: Der Serbe spielte von 1994 bis 1999 für den TSV 1860, und war von 2009 bis 2011 Sportlicher Leiter bei den Löwen. Er war Nationalspier Jugoslawiens.
AZ: Herr Stevic, wie fanden Sie das spektakuläre Seitfallzieher-Tor von Brasiliens Richarlison beim WM-Auftakt gegen Ihr Heimatland Serbien – schön oder schrecklich?
MIROSLAV STEVIC: Darüber kann es keine zwei Meinungen geben: Für jeden Fußballer, der ein bisschen Respekt für den Gegner übrig hat, war es das schönste Tor dieser WM: Chapeau! Natürlich hat es mich nicht gerade gefreut, dass er es in Serbiens Tor schießen musste. Aber wir haben uns trotz des 0:2 teuer verkauft.
"Brasilien ist nicht nur Copacabana"
Weshalb hat es für Serbien nicht zum ganz großen Wurf gegen die Seleção gereicht?
Wir haben uns dummerweise zum Start der WM gleich mal den stärksten Gegner ausgesucht, für mich einen von zwei, drei Turnierfavoriten. Viele Leute lassen sich täuschen: Brasilien ist nicht nur Copacabana. Natürlich haben sie Samba im Blut, aber sie haben auch eine unheimliche Ordnung, Härte und Disziplin. Serbien ist in der ersten Halbzeit defensiv richtig gut gestanden. Unser Problem war, dass unsere drei besten Spieler, Alexsandar Mitrovic, Dusan Vlahovic und Filip Kostic alle angeschlagen sind. Wir konnten dadurch kaum Impulse setzen, irgendwann wurde der Druck dann zu groß.
Wie schwer ist es, nach der Auftaktpleite nun gegen Kamerun (heute, 11 Uhr) und die Schweiz (Freitag, 20 Uhr) noch das Achtelfinale zu erreichen?
Schwer, aber nicht unmöglich. Es ist ein bisschen anders als bei Deutschland, wenn du überraschend gegen einen Außenseiter wie Japan verlierst und dann gegen Titelkandidat Spanien liefern musst: Da kannst du auch als einer der Titelfavoriten plötzlich untergehen. Bei uns ist es so: Ich habe Respekt vor Kamerun und der Schweiz, aber das sind im Gegensatz zu Brasilien Gegner, die wir schlagen können - und müssen -, wenn wir weiterkommen wollen. Gute Gegner, aber keine Top-Mannschaften.
So denkt Stevic über die DFB-Elf
Apropos DFB-Elf: Wie sehen Sie das Team von Hansi Flick?
Ich drücke Deutschland die Daumen und wünsche ihnen von Herzen, dass sie es ganz weit schaffen. Es steht völlig außer Frage, dass es die Jungs von Hansi Flick können und eine Menge Topspieler sind. Deutschland ist ja immer als Turniermannschaft bekannt gewesen, in den letzten Jahren aber eher nicht. Wenn sie wieder um Titel spielen wollen, werden sie genau analysieren und abstellen müssen, wieso sie dem Druck trotz ihrer Qualität jetzt schon öfter früh in den Turnieren nicht mehr so gut Stand halten konnten.
Sie besitzen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Da dürfte eines Ihrer Länderspiele ganz besonders gewesen sein: das 2:2 mit Jugoslawien bei der WM 1998 gegen Deutschland.
Ich bin beim Stande von 2:1 für uns eingewechselt worden. Als Linksverteidiger! Das habe ich nie zuvor in meinem Leben gespielt. Der Trainer hat gefragt: "Kannst du das?" Ich habe gesagt: "Klar!" Leider haben wir nicht gewonnen. Wir waren enttäuscht, denn es war zwar ein Erfolg und wir wurden Gruppenerster, aber wir hatten schon 2:0 geführt. Ich habe damals mit Lothar Matthäus Trikot getauscht, es hängt immer noch bei mir.

Politische Zeichen während der WM
Großereignisse sind auch immer Bühnen für politische Zeichen. Was halten Sie von der Mund-zu-Geste der Deutschen, oder bei der WM 2018 dem Jubel des Kosovo-Schweizers Xherdan Shaqiri im Spiel gegen Serbien, dem albanischen Doppeladler als Provokation?
Das ist zu viel Show. Ich finde, wir sollten alle Respekt voreinander haben: egal, welches Land, welche Hautfarbe oder LGBT. Aber auf dem Rasen sollten wir Fußball spielen.