Leblos, mutlos, chancenlos: Hallo, Abstiegskampf!

Aue – Im Tierreich gilt der Löwe am gefährlichsten, wenn er angeschlagen ist, wenn er sich in die Enge gedrängt fühlt, wenn er bedroht wird. Doch nicht so die Löwen des TSV 1860. Die zogen am Sonntag in Aue den Schwanz ein, traten herz- und mutlos auf, ließen sich abschlachten, ergaben sich ihrem Schicksal.
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Das 1:4 beim FC Erzgebirge Aue war ein trostloser Auftritt, der die Fans auf den Rängen wütend machte und jeden Anhänger der Sechzger desillusioniert haben dürfte. Wer geglaubt hatte, dass das Sandhausen-Spiel der Tiefpunkt war, wurde in Aue eines Besseren belehrt. Man hatte das Gefühl, dass bei den Löwen elf Lokführer auf dem Platz standen. In den Streik getreten.
Ohne Gegenwehr vorgeführt: Vor 9000 Zuschauern im Sparkassen-Erzgebirgsstadion ließ sich die Viererkette aus Grzegorz Wojtkowiak, Chris Schindler, Gary Kagelmacher und Martin Angha wie Hütchen ausspielen. Das Mittelfeld verweigerte die Unterstützung. Und die Offensive fand nicht statt. So dauerte es gerade mal eine Viertelstunde, da hatten die Gastgeber in Person von Klingbeil (2. Minute), Novikovas (8.) und Kortzorg (15.) die Löwen-Elf in ihre Einzelteile zerlegt. Gegenwehr? Fehlanzeige. Das Tor von Valdet Rama (51.) kurz nach dem Wechsel ließ kurz Hoffnung aufflackern. Doch Benatelli (75.) rückte die Kräfteverhältnisse wieder zurecht und traf zum Endstand. Und wenn Aue konsequenter gewesen wäre, hätten sich die Löwen unter blauem Himmel noch mehr als nur vier „Veilchen“ gefangen.
„Wir hatten einen Scheißstart“, gab Trainer Markus von Ahlen hinterher zu. „Das hat den Gegner aufgebaut und uns gelähmt.“ Von „schweren Beinen“ aufgrund der frühen Gegentore sprach er im Anschluss an sein erstes Spiel als Cheftrainer. Und von einer „guten Herausforderung“, dieses Negativerlebnis verarbeiten und daraus lernen zu müssen. Was er daran „gut“ fand, behielt er leider für sich.
Zweifel am Offensivfußball: „Die Tabelle lügt nicht“, hatte von Ahlen schon vor dem Spiel gesagt. Nach dem Spiel hatte er Gewissheit. Platz 17. Vorletzter. Die Löwen sind im Abstiegskampf angekommen. „Jetzt müssen wir da zusammen wieder rauskommen“, forderte der 43-Jährige. Doch wie soll das gelingen? „Wir müssen uns Gedanken machen, ob wir nicht einen Schritt zurückgehen müssen von dem offensiven Fußball, den wir uns eigentlich vorstellen.“
Stellt von Ahlen also die Neuausrichtung der Löwen infrage? Das, was Sportchef Gerhard Poschner im Sommer mit einer veränderten Transferpolitik und mit Ricardo Moniz als neuem Trainer eingeleitet hatte? Will von Ahlen wieder zum Defensivfußball der letzten Jahre zurückkehren? Ein Fußball, der zwar weniger Gegentore gelassen, aber auch nicht zum erwünschen Erfolg geführt hatte. Was wird jetzt aus dem 4-3-3, das Sechzig von den Jugendmannschaften bis zu den Profis seit dieser Saison übergestülpt wurde?
Von Ahlens Inkonsequenz: Kaum vorstellbar, dass von Ahlen vom 4-3-3 abkehren wird. Auffällig in Aue war aber: Vieles, was er in der Länderspielpause hatte trainieren lassen, verwarf er wieder. Die Frage ist: warum? Warum spielte Wojtkowiak wieder Linksverteidiger, nachdem er im Training zuletzt nur noch rechts gespielt hatte? Warum spielte Daniel Adlung wieder auf dem Flügel, wo er doch im Training im zentralen Mittelfeld getestet wurde und auch in Aue in der zweiten Halbzeit genau dort noch zu den besseren gehörte? Warum bekam Daylon Claasen keine Chance von Anfang an als Lohn für seine starken Trainingsleistungen? Claasen bewies nach seiner Einwechslung, dass er eine gute Wahl gewesen wäre.
In Aue zeigte sich einmal mehr, dass es nicht einfach nur um die Systemfrage geht. Es geht darum, wie man das vorgegebene System mit Leben füllt. Dieses Leben fehlte einmal mehr im Spiel der Löwen. „Es geht natürlich auch um den Charakter, aber ich halte nichts davon, Dinge extrem zu sehen“, hatte von Ahlen am Freitag gesagt. Jetzt dürfte eine extremere Sicht- und Umgangsweise gefragt sein.
Von Ahlen hatte unter der Woche bereits deutlich gemacht, dass er künftig genau hinschauen werde, wie seine Spieler gewisse Grundwerte verinnerlichten. Grundwerte wie Zusammenhalt, mannschaftsdienliches Verhalten, aber auch Einsatz und Wille. Im Abstiegskampf ist genau das gefragt. Dazu bedarf es eines Trainers mit einer klaren Linie. Die muss von Ahlen nun schnellstmöglich finden. Sonst wird aus den Löwen im Zweitliga-Dschungel nur noch Futter für die Hyänen im Abstiegskampf.