Keiner grantelte schöner: Werner Lorant und seine Sechzger-Zeit

Mit harter Hand, unverwechselbarem Stil und legendären Sprüchen führte Werner Lorant die Löwen aus der Bedeutungslosigkeit zurück in die Bundesliga – und bis nach Europa. Ein Rückblick auf eine Ära voller Höhen, Tiefen und Kult-Momente, die untrennbar mit dem nun verstorbenen Trainer verbunden bleibt.
Florian Kinast |
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Historisch! Der Platzsturm der überglücklichen Löwen-Fans in Meppen.
imago 5 Historisch! Der Platzsturm der überglücklichen Löwen-Fans in Meppen.
König Werner I.: In Meppen wurde Werner Lorant zum Heilsbringer der Löwen, der sie später beinahe in die Champions League führte.
imago 5 König Werner I.: In Meppen wurde Werner Lorant zum Heilsbringer der Löwen, der sie später beinahe in die Champions League führte.
Löwen-Legenden: Thomas Miller, Niels Schlotterbeck & Co. (v.l.).
imago 5 Löwen-Legenden: Thomas Miller, Niels Schlotterbeck & Co. (v.l.).
Der Held von Meppen: Peter Pacult wird von den Fans für sein Tor gefeiert.
imago 5 Der Held von Meppen: Peter Pacult wird von den Fans für sein Tor gefeiert.
Bosse auf dem Balkon: Löwen-Fan und OB Christian Ude und 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser (r.) am Marienplatz bei der Aufstiegsfeier.
imago 5 Bosse auf dem Balkon: Löwen-Fan und OB Christian Ude und 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser (r.) am Marienplatz bei der Aufstiegsfeier.

München - Die Stimmung ist am Tiefpunkt, am 9. Juni 1992 in der Kölner Südstadt. Nach dem 0:2 bei der Fortuna kämpfen viele der mitgereisten Löwenfans mit den Tränen, die Niederlage besiegelt am letzten Spieltag der Relegationsrunde den Wiederabstieg der Löwen in die drittklassige Bayernliga.

"Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll", murmelt Cheftrainer Edi Stöhr, der erst wenige Wochen zuvor den geschassten Karsten Wettberg abgelöst hatte. Für Stöhr geht es gar nicht weiter, zumindest nicht bei Sechzig. Denn sein Nachfolger steht schon bereit: Der 43-jährige Werner Lorant.

Mit Werner Lorant und Karl-Heinz Wildmoser beginnt beim TSV 1860 eine große Ära

Niemand wagt an diesem tristen Tag am Rhein auch nur zu ahnen, dass nun mit Lorant und dem designierten neuen Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser eine unvergleichliche Erfolgs-Ära in der Vereinsgeschichte beginnt – und der Löwe nur zwei Jahre und zwei Tage später eine historische Heldentat vollbringen und mit dem 1:0 in Meppen am 11. Juni 1994 in die Bundesliga zurückkehren wird. Als erster Klub in der Geschichte des deutschen Fußballs, dem der direkte Durchmarsch von der Dritten in die Erste Liga gelingt, bevor man 1997 wieder in Europa spielt und 2000 gar um die Qualifikation für die Champions League.

Dabei verläuft der Start in die Bayernliga-Vorbereitung äußerst holprig. Im Trainingslager in Lienz testet Lorant Spieler aus Tunesien, Kroatien und sogar einen Brasilianer mit dem klangvollen Namen Carlos da Silva, den die knüppelharten Einheiten des knurrenden Trainers aber so ermüden, dass er die meiste Zeit schlafend im Hotelzimmer verbringt. Anders als unter dem nahbaren Kumpeltyp Karsten Wettberg herrscht unter Lorant ein eher raues Klima.

Jens Keller und Niels Schlotterbeck halten die Löwen-Abwehr zusammen

"Bei mir gibt's kein Pardon", raunt er vor dem Saisonauftakt, "Disziplin ist das A und O, mir macht keiner was vor." Das 2:2 zuhause gegen Bamberg am 1. Spieltag vor nur 8500 Zuschauern im Grünwalder ist ein erster Dämpfer, langsam kommt die Mannschaft aber auf Touren, gewinnt vier Spiele am Stück minimalistisch 1:0. Auch dank der starken Defensive um die neuen kompromisslosen Innenverteidiger Jens Keller und Niels Schlotterbeck.

Löwen-Legenden: Thomas Miller, Niels Schlotterbeck & Co. (v.l.).
Löwen-Legenden: Thomas Miller, Niels Schlotterbeck & Co. (v.l.). © imago

Ordentlich zur Sache geht es auch am 16. Spieltag vor 26.000 Zuschauer im Rosenaustadion beim 2:2 gegen Verfolger Augsburg. Eine Partie voller Aggression und Brutalität, Löwen-Stürmer Michael Kroninger muss nach einem üblen Schienbein-Tritt sofort in die Klinik, Thomas Ziemer fängt sich von Gegenspieler König eine Watschn ein, Terrier Reiner Maurer senst mit brachialer Konsequenz Augsburgs Feintechniker Babatunde um. Es hagelt Zeitstrafen, auf die Frage nach der ruppigen Gangart blafft Werner Lorant: "Ganz normal, wenn's um viel geht." – "So ist Fußball", sagt lapidar auch Augsburgs Trainer. Ein gewisser Armin Veh.

Werner Lorant macht den TSV 1860 mit harter Hand zum Bayernliga-Meister

Nach peinlichen Niederlagen gegen Memmingen und Starnberg im März tobt Lorant angesichts von nur noch einem Punkt Vorsprung auf den Tabellenzweiten aus dem Vorort Lohhof: "Jetzt lernt mich das Team kennen. Ich lass mich doch nicht zum Hanswurst machen". Tut er natürlich nicht und verschärft die Gangart im Training. Am Ende werden die Löwen souverän Bayernliga-Meister und steigen in der Aufstiegsrelegation in der Gruppe mit Ulm, Offenbach und Norderstedt ungeschlagen in die Zweite Liga auf.

König Werner I.: In Meppen wurde Werner Lorant zum Heilsbringer der Löwen, der sie später beinahe in die Champions League führte.
König Werner I.: In Meppen wurde Werner Lorant zum Heilsbringer der Löwen, der sie später beinahe in die Champions League führte. © imago

In der Sommerpause sucht Lorant nun vor allem nach Verstärkung für die Offensive – und verpflichtet zwei Spieler, die sich als Legenden in den blauen Annalen verewigen und die in der kommenden Saison 34 der 55 Löwen-Tore erzielen werden: Bernhard Winkler, den Lorant bereits aus seinen Trainerstationen in Heidingsfeld und Schweinfurt kannte und der 1991 mit Kaiserslautern Deutscher Meister wurde. Und den Wiener Peter Pacult, der als 24-maliger Nationalspieler und Europacupfinalist 1985 mit Rapid nun als 33-jähriger Altstar seine besten Jahre aber bereits hinter sich zu haben scheint. Auch die Abendzeitung nennt Pacult nur milde den "Ösi-Oldie". Ob das was wird?

Wildmoser: "Mit dem Peter Pacult hätten wir sogar den Weltkrieg gewonnen"

Das fragen sich die Fans auch nach dem Auftaktspiel, einem desaströsen 0:4 in Rostock. Die Torschützen: Olaf Bodden (3), Jens Dowe, ein Jahr später spielen sie bei Sechzig. So vehement die düsteren Zweifel bei Abpfiff sind, ob der Löwe überhaupt einen Hauch von Zweitligatauglichkeit aufweise, so erstaunlich feinfühlig reagiert Lorant noch vor der Abreise aus dem Grand Hotel Graal-Müritz. "Da muss man durch", sagt er und nimmt seine Spieler in Schutz. "Das war das letzte Vorbereitungsspiel. Jetzt beginnt die Saison."

Und wie sie das tun wird. Und gar nicht einmal deswegen, weil beim Heimdebüt Diego Maradona gleich mehrfach trifft. So heißt nämlich der Zirkuselefant, der in der Halbzeit als Pausenclown vier Elfmeter versenken darf. Sondern weil Pacult ein viel wichtigeres Tor erzielt, das 1:0 zum umjubelten Sieg vor 18.000 Zuschauern im Grünwalder gegen Rot-Weiß Essen. Sechzig spielt sich in den kommenden Wochen in einen Rausch, bleibt ohne Niederlage, nach einem 2:0 Anfang September in Saarbrücken ist Karl-Heinz Wildmoser so euphorisiert, dass er dank des bereits sechsten Saisontreffers des Ösi-Oldies schwadroniert: "Mit dem Pacult hätten wir sogar den Weltkrieg gewonnen."

Der Held von Meppen: Peter Pacult wird von den Fans für sein Tor gefeiert.
Der Held von Meppen: Peter Pacult wird von den Fans für sein Tor gefeiert. © imago

Geschmacklos? Deplatziert? Hirnrissig? Wildmoser! Die Euphorie erreicht ihren Höhepunkt beim Spitzenspiel gegen Tabellenführer Bochum. Die 30.000 Karten für das Duell auf Giesings Höhen sind in kurzer Zeit vergriffen, die Löwen gewinnen 4:1.

Wildmoser sorgt mit einer Winter-Verpflichtung für Unruhe

Wildmoser schwafelt mal nicht vom Krieg, sondern weint auf der Tribüne und stammelt: "Letztes Jahr um die Zeit hamma noch gegen Starnberg gspielt." Und verloren. Lorant wird die Begeisterung zu unheimlich und grantelt: "Dass mir ja keiner abhebt." Die warnenden Rufe werden überhört, in der folgenden Woche setzt es ein 2:5 in Wuppertal, nach einem 0:1 in Uerdingen schießt sich Präse Wildmoser auf die maue Stimmung in der Grotenburg-Kampfbahn ein und stänkert gegen die staunenden Klubbosse des Gastgebers: "Da ist bei uns bei jeder Beerdigung mehr los ois wia bei Eich bei am Hoamspui."

Große Unruhe bringt in der Winterpause die Neuverpflichtung von Schweden-Stürmer Mats Lilienberg, den Wildmoser im Alleingang durchsetzt und der als Konterstürmer nicht ins System des aggressiven Gegenpressings passt.

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Zu Rückrundenbeginn hagelt es fünf Niederlagen am Stück. "Den Aufstieg können wir abschreiben", brummt Lorant und bietet seinen Rücktritt an. Was Wildmoser ("Auf keinen Fall, der Trainer bleibt") kategorisch ablehnt. Blank liegen die Nerven auch bei Pacult, der sich mit dem Busfahrer der Löwen prügelt – und auch bei Lorant. Beim 0:2 zuhause gegen Mainz zertrümmert er mit Inbrunst einen Sponsoren-Stuhl.

Nach dem Aufstieg feiern 30.000 Löwen-Fans auf dem Marienplatz

Vor dem letzten Heimspiel gegen Chemnitz schmettert ein Tenor namens Armando Benito Fiorente den Puccini-Klassiker "Nessun Dorma" durchs Grünwalder. "Vincero" und so, ich werde siegen.

Bosse auf dem Balkon: Löwen-Fan und OB Christian Ude und 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser (r.) am Marienplatz bei der Aufstiegsfeier.
Bosse auf dem Balkon: Löwen-Fan und OB Christian Ude und 1860-Präsident Karl-Heinz Wildmoser (r.) am Marienplatz bei der Aufstiegsfeier. © imago

Gut, dass es damals noch kein Internet gibt, sonst könnten die Löwen-Fans bei Signore Fiorente wie heute eben auf seiner Facebook-Seite seine "langjährige Verbundenheit mit dem FC Bayern" nachlesen. Hätten sie das gewusst, sie hätten ihn mit der Stimmgabel aus dem Stadion gejagt.

Sechzig gewinnt 3:1 und steht vor dem letzten Spieltag auf Aufstiegsrang 3, vor dem punktgleichen FC St. Pauli mit einem sechs Tore besseren Torverhältnis. Das letzte Spiel – in Meppen. Mit Bussen, Sonderzügen und Charterflügen reisen 10.000 Fans an, während Pauli 1:4 in Wolfsburg verliert, trifft Pacult nach drei Minuten zum 1:0-Sieg. Nach Abpfiff ein Platzsturm der Löwen-Fans, aus den beiden Toren wird Kleinholz. Am nächsten Tag empfängt Münchens neuer OB und Löwen-Fan Christian Ude die Löwen auf dem Rathausbalkon vor 30.000 Anhängern auf dem Marienplatz. Und Sechzig feiert wie die nächsten 30 Jahre nicht mehr. 

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  • Mia san mia1 am 26.05.2024 12:50 Uhr / Bewertung:

    "Und Sechzig feiert wie die nächsten 30 Jahre nicht mehr."
    Da könnte man durchaus noch ein paar Nullen anhängen. 😉

  • Federseelöwe am 27.05.2024 12:25 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Mia san mia1

    Immerhin haben wir diese Saison genauso viele Titel geholt wieder FCB ...

  • rotweiss am 27.05.2024 21:21 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Federseelöwe

    Gratulation !!!

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