Schwimmerin Krawzow im AZ-Interview: "Man muss nicht perfekt sein"
AZ: Glückwunsch, Frau Krawzow. Bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften im Paraschwimmen (IDM) haben Sie über die 50 Meter Brust eine neue Bestmarke aufgestellt. Es war nicht Ihr erster, aber vielleicht Ihr überraschendster Weltrekord.
ELENA KRAWZOW: Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, denn nach meiner Schulter-Operation vor dreieinhalb Monaten befinde ich mich eigentlich noch im Aufbau-Training. Mein letzter Wettkampf war im Dezember. Ich habe es aber für den Kopf gebraucht, hier bei der IDM an den Start zu gehen. Also habe ich es einfach probiert - und naja, dann ist eben ein kleiner Weltrekord dabei herausgekommen.
Paralympics: die größte Bühne für die Sportlerin
Klein? 34,10 Sekunden, Tokio 2021 kann kommen, oder?
Man muss abwarten, ob die Spiele aufgrund der Pandemie nächstes Jahr überhaupt stattfinden können. Aber als Sportlerin wünsche ich mir natürlich bei den Paralympics starten zu dürfen, denn es ist die größte Bühne, die wir haben, um unsere Leistung zu zeigen.
Und um dann endlich die langersehnte Gold-Medaille zu holen? 2016 sind Sie auch schon als große Favoritin nach Rio geflogen…
Damals war der Druck für mich unfassbar groß - und dann konnte ich meine Leistung einfach nicht abliefern. Das war in diesem Moment eine große Niederlage für mich, und ich habe auch lange gebraucht, um damit umzugehen, meine Motivation wiederzufinden.
Krawzow: "Ich hatte nie gelernt, zu verlieren"
Zur Einordnung: Wir sprechen hier von einem fünften Platz bei den Paralympischen Spielen. Für viele andere Sportler ist schon Dabeisein alles.
Für mich fühlte es sich damals aber an, als ob jetzt alles den Bach runter gehen würde. Ich hatte ja zuvor nie gelernt, zu verlieren. Ich habe danach auch eine ganze Saison gebraucht, um mir selbst klar zu werden, was ich eigentlich möchte und wie es weitergehen soll.
Die Erwartungshaltung wird nach ihrem neuerlichen Weltrekord kaum geringer sein als 2016. Viele sehen Sie schon in Tokio auf dem Stockerl mit der Gold-Medaille um den Hals…
Wenn Menschen so etwas denken, die vom Sport keine Ahnung haben, ist mir das relativ egal. Aber bei Leuten, die mich kennen, die wissen, was das für ein unfassbarer Druck ist, finde ich das schlimm. Allerdings habe ich jetzt auch durch Mentaltraining gelernt, besser mit dieser Erwartungshaltung umzugehen. Menschen, die so einen Druck ausüben, werden ja immer da sein. Die Frage ist also, wie ich das an mich heranlasse.
Die wasserscheuche Weltrekordschwimmerin
Das Schwimmen bestimmt auf vielen Ebenen Ihr Leben. Dabei mögen Sie gar kein Wasser.
(lacht) Ja, das kann man so sagen. Ich komme aus Kasachstan, dort gab es keine Schwimmbäder. Deshalb hatte ich schon gewisse Berührungsängste mit Wasser. Ich würde auch nicht sagen, dass Wasser mein Element ist. Mein Trainer sagt, ich habe ein Wassergefühl wie ein Traktor. Ich habe ja erst mit 13 Jahren das Schwimmen gelernt. Aber damals habe ich festgestellt: Schwimmen könnte für mich ein Weg in die Welt sein, eine ganz große Chance, etwas aus meinem Leben zu machen.

Noch drei Prozent Sehfähigkeit
Aktuell besitzen Sie nur noch drei Prozent Ihrer ursprünglichen Sehfähigkeit. Wie vermeiden Sie es, mit dem Beckenrand zu kollidieren?
Das kann ich nicht. Ich stoße sogar regelmäßig mit dem Beckenrand zusammen, auch mit anderen Dingen. Drei Prozent ist nicht viel, aber für mich eben alles. Im Wasser zähle ich meine Züge, um mich ein wenig zu orientieren, wo ich gerade bin. Das Zählen hilft mir aber auch, um mich beim Rennen zu fokussieren.
Im Alter von sieben Jahren wurde bei Ihnen die unheilbare Augenkrankheit Morbus Stargadt, die langsam zur Erblindung führt, diagnostiziert. Gerade für ein Kind muss es schrecklich sein, zu merken, wie man langsam sein Augenlicht verliert.
Ja, das war es auch. Aber damals hatten meine Familie und ich ganz andere Sorgen. Wir hatten kein Geld, mein Vater hatte in Kasachstan keine Arbeit, wir mussten uns ums Überleben kümmern und sind deshalb dann ja auch nach Deutschland ausgewandert. Natürlich haben sich meine Eltern um mich Sorgen gemacht, aber das hatte nicht die Priorität, für mich auch nicht.
Der Sport als wichtiger Antrieb in Krawzows Leben
Wie hat der Sport Ihnen geholfen?
Besonders schlimm war es für mich im Teenageralter, denn damals ist die Krankheit stark vorangeschritten. Außerdem habe ich damals erst so richtig realisiert, dass ich anders bin. Wenn du in der Schule die Bücher nicht lesen kannst, nicht siehst, was an der Tafel steht, dann schämst du dich, dann merkst du, dass du nicht vollständig bist. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich durch den Leistungssport, mir und meiner Familie beweisen kann, dass ich auch etwas kann. Aber der wichtigste Antrieb war, dass ich durch den Sport die Chance gesehen habe, aus mir und meinem Leben etwas zu machen. Und es ist ja so: Das Leben, das ich dank des Sports jetzt führe, hätte ich mir früher nie erträumen können.
Mit einem Shooting für den Playboy haben Sie zuletzt auch eine ganz andere Seite von sich gezeigt. Haben Sie Ihre Fotos überhaupt sehen können?
Mit einer Vergrößerungssoftware auf meinem Laptop konnte ich mir die Bilder schon anschauen. Die Frage ist, wie viel sehe ich wirklich davon? Aber das, was ich erkennen konnte, hat mir sehr gut gefallen. Ich finde, es sind sehr schöne, ästhetische Bilder.
Erste paralympische Sportlerin auf Playboy-Cover
Sie sind die erste paralympische Sportlerin auf dem Playboy-Cover.
Ja, das Interesse war wirklich der Wahnsinn. Es wurde weltweit darüber berichtet. In Mexiko bin ich ein Superstar. (lacht) Ich habe so viele positive Rückmeldungen bekommen. Frauen und Männer, die sich bei mir bedankt haben, weil ich gezeigt habe, dass man nicht perfekt sein muss, um mit sich zufrieden zu ein.
Wie hat ihr Umfeld auf die Fotos reagiert?
Ich komme ja aus einer konservativen Familie, für die war das natürlich ein Schock. Drei Tage bevor der Playboy herauskam, habe ich mit meiner Mutter darüber gesprochen. Sie steht hinter mir, fand es auch ein tolles Statement von mir, als erste paralympische Sportlerin auf dem Cover des Playboy zu sein. Aber mein Vater hat schlucken müssen. Auch für meine Verwandten in Kasachstan, das sind teilweise tiefgläubige Muslime, war das schlimm. Sie verstehen nicht, warum ich das gemacht habe. Meine Eltern sind mittlerweile wieder zurück nach Kasachstan gegangen, aber für mich war das nie ein Thema, denn ich weiß ja, welchen Stellenwert dort die Frauen haben: gar keinen. Und natürlich wollte ich mit dem Shooting auch in diese Richtung ein Zeichen setzen: Ich bestimme selbst über mein Leben, ohne dass mein Vater oder mein Bruder mir etwas vorschreiben.
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