Pechstein: BGH verhandelt im Marathon-Prozess

Tag der Wahrheit für Claudia Pechstein: Am Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof, ob der Fall der Eisschnellläuferin vor dem Oberlandesgericht in München wieder aufgenommen wird.  
von  sid
Claudia Pechstein: Experten vergleichen die mögliche Entscheidung im ersten Doping-Prozess vor dem Bundesgerichtshof (BGH) schon mit dem Bosman-Urteil im Profifußball.
Claudia Pechstein: Experten vergleichen die mögliche Entscheidung im ersten Doping-Prozess vor dem Bundesgerichtshof (BGH) schon mit dem Bosman-Urteil im Profifußball. © dpa

Tag der Wahrheit für Claudia Pechstein: Am Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshof, ob der Fall der Eisschnellläuferin vor dem Oberlandesgericht in München wieder aufgenommen wird.

München - Claudia Pechstein lief auf der Eisbahn zu fünf Olympiasiegen und sechs WM-Titeln, doch den wichtigsten Triumph ihrer Karriere will sie am Dienstag im Gerichtssaal erkämpfen.

In ihrem jahrelangen Bemühen um Gerechtigkeit verhandelt der Bundesgerichtshof in Karlsruhe ab 11.00 Uhr über eine für Pechstein, aber auch die internationale Sportgerichtsbarkeit wegweisende Entscheidung.

Fast sieben Jahre nach der verhängnisvollen Dopingprobe im norwegischen Hamar kommt es in dem Fall mit sportpolitischer Sprengkraft zu einem Tag der Wahrheit. "Es geht um alles oder nichts, die Stimmung ist gut", sagte Pechsteins Anwalt Thomas Summerer am Montag.

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Für die 44 Jahre alte Eisschnellläuferin, die auf Kufen noch immer zur Weltspitze zählt und auch bei den Winterspielen 2018 in Pyeongchang starten will, steht viel auf dem Spiel. 750.000 Euro hat sie nach eigenen Angaben bislang in den "Kampf" gegen den Weltverband ISU investiert, der sie 2009 aufgrund von Indizien für zwei Jahre sperrte.

Einen Teil davon bezog sie aus Spenden. Auffangen sollen die finanziellen Einbußen, die verpassten Winterspiele 2010 in Vancouver, die Rufschädigung und phasenweise Ächtung durch Öffentlichkeit und Teile des deutschen Sports ein Schadenersatz in Höhe von rund fünf Millionen Euro, zu zahlen von der ISU.

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"Ich habe niemals gedopt und nie irgendwelche verbotenen Methoden angewendet", betonte Pechstein immer wieder. Zum Verhängnis war der Berlinerin ein Reglement geworden, das inzwischen nicht mehr zur Anwendung kommt. Bei der Mehrkampf-WM in Hamar/Norwegen waren erhöhte Retikulozytenwerte festgestellt worden.

Dieses einzelne Indiz reichte damals für den indirekten Dopingnachweis, Pechstein wurde gesperrt. Sie selbst führte die Blutwerte auf eine von ihrem Vater vererbte Anomalie zurück und wurde in dieser Einschätzung von führenden deutschen Hämatologen bestätigt.

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Nach erfolglosen Auseinandersetzungen vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS und dem Schweizer Bundesgericht in Lausanne hob Pechstein ihren Fall durch den Gang vor ein ordentliches deutsches Gericht in eine neue Dimension - und hatte dabei Erfolg.

Nach zwei Instanzen ist der Fall nun beim BGH gelandet. Dabei geht es weniger um die Frage, ob Pechstein je dopte, als um eine Grundsatzentscheidung, die die Institutionen ISU und CAS in ihren Grundfesten erschüttern könnte.

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War die Schiedsgerichtsvereinbarung, die Pechstein vor dem Wettkampf in Hamar unterschrieb, unwirksam? Betrachtet der BGH dies so, wären die Auswirkungen für Sportler und Verbände enorm, denn deren Unterzeichnung ist in allen Disziplinen gängige Praxis.

Möglich wäre, dass Sportler dann die Wahl hätten, ob Verfahren vor den ordentlichen Gerichten oder der Sportgerichtsbarkeit verhandelt würden - die derzeit herrschende Einheitlichkeit wäre außer Kraft gesetzt.

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Der CAS wäre zudem infrage gestellt, könnte sich unter dem entstehenden Druck aber reformieren und strukturelle Defizite aufarbeiten. "Falls die Sportverbände ihre Schiedsordnungen dahingehend anpassen sollten, dass der Sportler zwischen staatlichen Gerichten und Sportschiedsgerichten wählen kann, so würde endlich auch ein Anreiz zur Verbesserung der Sportschiedsgerichte geschaffen", sagte der Sportkartellrechtsanwalt Mark Orth.

Ein Vergleich wäre theoretisch noch möglich, ist faktisch aber so gut wie ausgeschlossen. Nach dem jahrelangen Gang durch die Instanzen sind die Fronten verhärtet, erst im Dezember räumte Pechstein diese Möglichkeit aus.

"Der Sieg ist mehr wert als alle olympische Medaillen zusammen", sagte sie mit Blick auf das Urteil des Oberlandesgerichts München, das im Januar 2015 ihre Schadenersatzklage zugelassen hatte. Einen noch wertvolleren Sieg hat Pechstein am Dienstag vor Augen.

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