Interview

Ottmar Hitzfeld: "Habe nie mehr in einem Stadion so eine gespenstische Atmosphäre erlebt"

Bei den Spielen 1972 saß Ottmar Hitzfeld mit Stars wie Mark Spitz am Mittagstisch. Dann kam der Terror. In der AZ erzählt der spätere Erfolgstrainer des FC Bayern über diese Tage im Olympiapark.
Florian Kinast |
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Im Olympischen Dorf: Die deutsche Fußball-Auswahl um Ottmar Hitzfeld (2. v. r.) und Uli Hoeneß (im weißen Hemd) wohnt 1972 nahe dem Haus der Israelis, hört die Schüsse. "Fürchterlich", sagt Hitzfeld.
Im Olympischen Dorf: Die deutsche Fußball-Auswahl um Ottmar Hitzfeld (2. v. r.) und Uli Hoeneß (im weißen Hemd) wohnt 1972 nahe dem Haus der Israelis, hört die Schüsse. "Fürchterlich", sagt Hitzfeld. © imago/ Horstmüller

München - AZ-Interview mit Ottmar Hitzfeld: Der 73-Jährige war als Spieler bei den Spielen 1972 dabei. Zwischen 1998 und 2008 war er, mit Pausen, Erfolgstrainer des FC Bayern.

AZ: Herr Hitzfeld, vor zehn Jahren sagten Sie einmal, immer, wenn Sie mit dem Auto am Olympiapark und dem Zeltdach vorbeifahren, dann schlage Ihr Puls schneller. Bekommen Sie heute noch immer Herzrasen?
OTTMAR HITZFELD: Ja, weil mit dem Park und vor allem mit dem Olympiastadion einzigartige Erinnerungen verbunden sind. Es gehen mir dann immer viele Bilder durch den Kopf, von den unvergessenen Momenten und großen Erfolgen, die ich hier erleben durfte. Vor allem denke ich dann natürlich an die vielen Jahre als Trainer des FC Bayern, aber natürlich auch an meine Zeit als Olympionike, als ich bei den Sommerspielen 1972 für die bundesdeutsche Fußballmannschaft im Einsatz war.

Dass Sie bei Olympia mitspielen durften, kam aber ganz plötzlich, stimmt's?
Das ist richtig. Ich war damals als Vertragsamateur beim FC Basel, hatte noch kein einziges Amateur-Länderspiel bestritten. Ende Juni, zwei Monate vor Beginn der Spiele, bekam ich einen Brief vom DFB, auf der ersten Seite standen die 19 Spieler, die für Olympia-Trainer Jupp Derwall erste Wahl waren, mein Name stand erst auf Seite 2. In der Rubrik: auf Abruf. Die Testspiele liefen aber nicht so gut, weshalb Derwall auf Edgar Schneider vom FC Bayern verzichtete und dann mich nachnominierte.

Fünf Olympia-Tore: Hitzfeld (l.) erhält danach ein Angebot des FCB
Fünf Olympia-Tore: Hitzfeld (l.) erhält danach ein Angebot des FCB © imago/sportfotodienst

Und gleich im ersten Testspiel trafen Sie dreimal.
Beim 5:1 gegen den TSV 1860. Damit hatte ich meinen Platz sicher, damit ging für mich ein Traum in Erfüllung. Ein unglaublich prägendes Erlebnis war die Eröffnungsfeier, als ich mit ins Stadion einmarschieren durfte. Diese gelöste und heitere Stimmung, das war Gänsehaut pur. Auch die Atmosphäre im Olympischen Dorf war überragend. Die vielen Begegnungen mit Athleten aus so unterschiedlichen Sportarten, einmalig. Einmal traf ich in der Dorfmensa Ulrike Meyfarth und Klaus Wolfermann beim Mittagessen. Und ein anderes Mal saß ich beim Mittagessen mit Mark Spitz an einem Tisch, der im Schwimmen sieben Mal Gold holte. Solche Stars zu treffen, die ich nur aus der Zeitung und dem Fernsehen kannte, war für mich als junger Sportler sehr bewegend.

Mit welchen Spielern aus der eigenen Mannschaft waren Sie denn damals am besten befreundet?
Mit Bernd Nickel und Jürgen Kalb, den beiden Frankfurtern. Jürgen war auch mein Mitbewohner im Doppelzimmer.

Und mit ihrem späteren langjährigen Weggefährten Uli Hoeneß?
Tatsächlich war es mein erstes Aufeinandertreffen mit Uli, der schon lange bei Bayern und gerade frisch gekürter Europameister war und der als Profi nur mit einer Sondergenehmigung spielen durfte. Wir verstanden uns ganz gut, ahnten aber freilich nicht, dass wir Jahrzehnte später Seite an Seite gemeinsam viele Erfolge feiern würden.

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Begräbnisstimmung im Stadion

Die Vorrunde lief problemlos, mit lockeren Siegen gegen Malaysia, Marokko, die USA, zum Auftakt der Zwischenrunde schossen Sie beim 1:1 gegen Mexiko ihr drittes Turniertor. Und dann kam der 5. September.
Das Attentat der palästinensischen Terroristen auf die israelische Delegation im Olympischen Dorf. Unser Zimmer lag ganz nah am Haus der Israelis in der Connollystraße, als ich früh morgens wie alle anderen Mitspieler die Schüsse hörte. Wir eilten auf den Gang, niemand wusste Bescheid, was los ist. Erst als wir den Fernseher einschalteten, erfuhren wir nach und nach von den fürchterlichen Ereignissen mit dem schrecklichen Ende am Abend in Fürstenfeldbruck. Die Stimmung danach war bedrückend, manche schwiegen und zogen sich zurück, andere redeten und redeten, jeder musste das auf seine eigene Art verarbeiten.

Und am nächsten Tag hatten Sie das vorentscheidende Spiel gegen Ungarn. Im Olympiastadion, direkt im Anschluss an die bewegende Trauerfeier an gleicher Stelle, als IOC-Chef Brundage die berühmten Worte sagte: The Games must go on.
Ich fand die Entscheidung richtig, sich nicht dem Terror zu beugen. Und doch war es natürlich fast unmöglich, sich unmittelbar nach dieser emotionalen Gedenkveranstaltung auf Fußball zu konzentrieren. Wir alle haben gespürt, wie angefasst und mitgenommen die 80.000 Zuschauer noch waren, Ich habe nie mehr sonst in einem Stadion eine so gedämpfte, ja sogar gespenstische Atmosphäre erlebt. Es herrschte tatsächlich Begräbnisstimmung. Dass wir dann 4:1 verloren, war sportlich enttäuschend, an so einem Tag aber völlig zweitrangig.

Ottmar Hitzfeld: "Die DDR hatte aber auch eine unglaublich starke Mannschaft"

Im letzten Gruppenspiel ging es gegen die DDR zumindest noch um das Spiel um Platz 3 und eine mögliche Olympia-Medaille. War diese erste deutsch-deutsche Duell zweier Nationalmannschaften zuvor politisch aufgeladen, spürten Sie eine gewisse Brisanz?
Nein, tatsächlich gar nicht. Das war für uns ein ganz normales Spiel, bei dem wir lange mithalten konnten, ich traf noch zum 2:2-Ausgleich, am Ende verloren wir 2:3. Die DDR hatte aber auch eine unglaublich starke Mannschaft. Mit Croy, Bransch, Weise, Kreische und Sparwasser, das war schon der Kern der A-Nationalmannschaft, die zwei Jahre später bei der WM mit 1:0 gegen die Bundesrepublik gewann.

War der Sprung in die A-Nationalmannschaft und zur Heim-WM 1974 für Sie kein Ziel, mit 25 wären Sie da im besten Alter gewesen?
Nein, ich wusste meine Leistung immer richtig einzuschätzen. Ich war Realist, wollte 1973 mein Staatsexamen absolvieren, der Lehrerberuf war mir damals wichtiger als meine Fußballkarriere. Deswegen habe ich auch einige Angebote aus der Bundesliga abgelehnt.

Unter anderem aus München. Stimmt es, dass Sie kurz nach Olympia Robert Schwan anrief und Sie zu den Bayern holen wollte?
Das ist korrekt. Aber ich wollte nicht. Die Bayern hatten Gerd Müller, da hätte ich doch keine Chance gehabt, ihm Konkurrenz zu machen. Und nur auf der Bank sitzen, das wollte ich nicht.

"Ich werde nicht rückfällig"

Es dauerte ein gutes Vierteljahrhundert, bis Sie zu den Bayern kamen. Wann war denn da der erste Kontakt?
Das war schon 1997, als ich 25 Jahre nach den Sommerspielen im Olympiastadion mit Dortmund gegen Juventus die Champions League gewann. Danach kam Franz Beckenbauer auf mich zu und sagte: 'Ottmar, Du wirst der neue Bayern-Trainer.' Ich sagte nur: Schaumamal. Offiziell kam die erste Anfrage im Frühjahr 1998, als ich beim BVB Sportdirektor war. Da war für mich gleich klar: Ich mach's.

Es folgten viele Triumphe mit den Bayern, welches Erlebnis im Olympiastadion war das schönste?
Sicher die Meisterschaft 2000, als wir eigentlich am letzten Spieltag keine Chance mehr hatten und wir während unseres 3:1 gegen Bremen von den Hachinger Toren gegen Leverkusen erfuhren. Das war meine schönste, weil überraschendste Meisterschaft. Unvergessen, wie Uli Hoeneß mich drückte, zwischendrin bekam ich schon gar keine Luft mehr. Emotional war natürlich auch der Titelgewinn ein Jahr danach, Patrick Anderssons Freistoß in Hamburg. Bei aller Freude, ich hatte damals auch mit Rudi Assauer und seinen Schalkern sehr mitgefühlt. Wenn du dich fünf Minuten schon als Meister fühlst und dann nur Zweiter wirst, das ist furchtbar.

Sie haben vor acht Jahren Ihre Trainerlaufbahn beendet, zieht es Sie nicht doch noch mal zurück? Felix Magath hat ja vergangene Saison auch ein Comeback gefeiert.
Nein, keine Sorge, ich werde gewiss nicht rückfällig. Es war eine großartige Zeit, aber jetzt habe ich ein sehr schönes und glückliches Leben. Man muss einfach irgendwann lernen, loszulassen. Ich denke, das ist mir ganz gut gelungen.

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