Nach Wawrinkas Sieg bei Australian Open: Scheitern lohnt sich

Stanislaw Wawrinka galt lange als hoffnungsloser Fall.  Doch der Schweizer mit dem Motto von Samuel Beckett auf dem Unterarm gab nie auf. Und feiert jetzt seinen Triumph bei den Australien Open gegen Rafael Nadal.
Jörg Allmeroth |
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Melbourne -  Wen hat er nicht alles besiegen müssen in diesem Finale, in dieser Sommernacht von Melbourne, dieser Stanislas Wawrinka? Erst einen gesunden Rafael Nadal, dann einen verletzten Rafael Nadal, dann sich selbst und die Dämonen der Vergangenheit. Und dann noch einmal einen wiederauferstandenen, nicht hundertprozentig fitten Rafael Nadal.

Es war schlicht die schwerste Prüfung eines ganzen Tennis-Lebens vor dem schönsten Sieg, seinem ersten Grand Slam-Titel. „Ich weiß gerade nicht, ob das alles ein Traum ist – oder wirklich wahr“, sagte Wawrinka nach seinem 6:3, 6:2, 3:6, 6:3-Sieg.

Im 36. Anlauf bei einem Major-Turnier hatte sich der Mann den Preisgeld von 2,65 Millionen Dollar erobert, der noch vor zwölf Monaten nur als ewiges Talent gegolten hatte – und nicht etwa als „Eiserner Stan“ oder „Stanimal“. Fast schien in diesem Final-Showdown noch einmal der Alptraum eines schlechteren Gestern zurückzukehren, das Zaudern, Zögern und Zweifeln. Gegen den durch eine Rückenblessur angeschlagenen Matador Nadal wurde der 28-jährige Schweizer so sehr von Nervensausen gepeinigt, dass er dem Nummer-1-Spieler fast noch einmal ein Comeback erlaubt hätte, speziell nach dem verlorenen dritten Satz.

Doch so wie er im letzten Jahr irgendwie noch an der Schwelle zur Dreißig die Kurve gekriegt hatte, der hochbegabte, hochsensible Wawrinka, so besiegte er unter höchstem Druck seine Versagensängste und tat am Ende seine Pflicht und Schuldigkeit – nämlich den Freund und Weggefährten Nadal zu besiegen. „Der komplette Respekt soll heute Stan gelten. An seinem Sieg gibt es überhaupt keine Abstriche“, sagte Nadal. Wawrinka, auch ein Abbild jenes neuen, späten Sturm und Drangs vieler Beinahe-Dreißiger und Ü30-Profis im Elitetennis, hatte sich vor einem Jahr zum ersten Mal machtvoll ins Gespräch gebracht – damals stand er Novak Djokovic, dem Champion der Australian Open, im Achtelfinale gegenüber, verlor in einem Centre Court-Thriller mit 10:12 im fünften Satz.

Für Wawrinka war das Scheitern gleichwohl ein Gewinn, zeigte ihm die Klassepartie doch, dass er endlich über viele Stunden mit den Großen und Starken mithalten konnte. Angeführt von seinem Coach Magnus Norman, einst Weltranglisten-Zweiter, erlangte er 2013 Zug um Zug die Statur eines ruchlosen Angreifers. Bei den US Open und bei der ATP-WM rückte er jeweils ins Halbfinale vor, festigte seinen Platz in den Top Ten. Sein Meisterstück in Melbourne steckte voller Symbolkraft. In einer Wiederauflage des Duells mit Djokovic (und dessen Trainer Boris Becker) war nun er der Marathon-Mann, der das Viertelfinal-Happy-End im fünften Satz mit 9:7 besorgte.

14 Mal hatte er gegen Djokovic zuvor in Serie verloren, zwölf Mal auch in allen bisherigen Partien gegen Nadal – und doch war er es, der Melbourne als Tennis-Großmeister verließ. So war dieser 26. Januar 2014 auch der Tag, die Stunde, der Moment, um noch einmal auf die Lebensphilosophie des zweiten Schweizer Grand Slam-Siegers zu verweisen, die er sich als Schriftzug auf den linken Unterarm hat tätowieren lassen. Es ist ein Zitat des Schrifstellers Samuel Beckett, das sich dort findet: „Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch’ es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser.“ Das hat er getan, so lange und beharrlich, bis aus Scheitern dann Siegen wurde.

 

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