Michael Teuber: "Ich muss nicht die ganze Welt verbiegen"

Bei den Paralympics fährt Michael Teuber heute um Gold. Im AZ-Interview spricht er über Hoffnungen auf Edelmetall, seinen Unfall und die Folgen: "Eine wichtige Frage war: Was ist mit der Sexualität los?"
von  Florian Auburger
"Gold im Zeitfahren, das wäre die Krönung!", sagt der Münchner Michael Teuber.
"Gold im Zeitfahren, das wäre die Krönung!", sagt der Münchner Michael Teuber. © dpa

Rio - Michael Teubers unbeschwerte Jugend endet mit 19 Jahren an einem Betonrohr, bei einem unverschuldeten Autounfall. Diagnose: Inkompletter Querschnitt. Prognose: Rollstuhl. Doch er kämpft sich zurück, steigt aufs Rad und lernt, wieder zu laufen.

1999 wird er Profisportler. Heute, am Mittwoch, fast drei Jahrzehnte nach dem Unfall, kämpft Teuber bei den Paralympischen Spielen in Rio de Janeiro im Zeitfahren um sein fünftes Gold. Der Paracyclist mit dem unbändigen Willen ist erfolgreich, aber auch umstritten – weil er sich nicht scheut, seine Meinung zu äußern. Zuletzt sorgte er für Ärger, als er die Wahl von Markus Rehm zum deutschen Fahnenträger kritisierte.

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AZ: Herr Teuber, Sie haben im Paracycling bei Olympia bislang vier Goldmedaillen gewonnen: zwei in Athen, eine in Peking, eine in London. Kommt in Rio die fünfte hinzu?
MICHAEL TEUBER: Gold im Zeitfahren, das wäre die Krönung! Aber davon hängt nicht mein Leben ab. Ich werde mich jedoch ärgern, wenn ich von jemandem abgehängt werde, der unserer Klasse neu zugeordnet wurde. Wenn mich ein Gegner auf Augenhöhe schlägt dann ist es halt so, aber das ist im paralympischen Sport nicht immer gewährleistet.

Sie sprechen das Problem der Klassifizierung an. Wie stellt man eine faire Vergleichbarkeit zwischen Paralympioniken her?
Eine vollständige Vergleichbarkeit kann es wegen der notwendigen Klassengrenzen nicht geben. Aber oft werden strukturell unvergleichbare Behinderungsformen zusammengeführt, zum Beispiel eine Cerebralparese (Bewegungsstörung aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung, Anm. d. Red.) und eine Körperbehinderung wie Amputation oder Lähmung, das passt nicht. Ausserdem müssen wir wieder weg von der rein funktionalen Klassifizierung, wo der Entscheider nicht einmal Arzt sein muss. Das Medizinische muss wieder mehr beachtet werden. Bei einer rein funktionalen Klassifizierung fällt es schwer, zu unterscheiden, ob sich ein Athlet etwas antrainiert hat oder einfach gut ist, weil er nicht so stark behindert ist.

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Zu Ihrem Autounfall 1987. Sie waren auf dem Weg in den Urlaub. Ihr damaliger Schulkamerad fuhr den Wagen, nickte ein. Die Fahrt endete im Graben an einem Betonrohr. Ihre Diagnose: Inkompletter Querschnitt. Rollstuhl. Geben Sie Ihrem Kumpel die Schuld?
Nein. Heute nicht und damals auch nicht. Wir waren junge Burschen, unerfahren und haben die Risiken unterschätzt. Es hätte mir auch passieren können.

Er besuchte Sie nur ein, zwei Mal im Krankenhaus. Danach riss Ihr Kontakt ab.
Er kam mit der Situation als junger Mensch nicht klar. Er hatte wahrscheinlich ein Problem damit, mir gegenüber zu treten, was mit mir zu machen. Vielleicht hatte er auch Schuldgefühle.

Kann aber auch eine Ausrede sein.
Es war eben auch eine Phase: Ende Abitur. Wir sind getrennte Wege gegangen. Das war eine Zäsur für alle Beteiligten. Hauptsache meine Familie war da. Wenn Hilfe nötig war, haben mich meine Eltern unterstützt und später meine Frau Susanne, die damals auch im Auto saß. Mit ihr bin ein Jahr nach dem Unfall zusammengekommen.

Wie waren die ersten Jahre danach? Sie waren ja nicht gleich danach Spitzensportler.
Meine Motivation konnte natürlich nicht sofort sein, Medaillen bei den Paralympics zu gewinnen. Es ging mir am Anfang nur darum, mich aus dem Rollstuhl heraus zurückzukämpfen, für ein höheres Maß an Mobilität. Ich hatte ja die Restfunktion in einem Oberschenkel. Das war der Strohhalm, an dem ich mich geklammert habe. Die Tretbewegung war in der Reha wichtig. So bin ich zum Radsport gekommen – erst hobbymäßig Mountainbike, dann Downhill und später, ab 1998, der Straßen-Rennsport.

In Ihrer Biografie „Aus eigener Kraft“, die vor kurzem erschien, sprechen Sie viele Tabuthemen an. Warum?
Ich will Klarheit schaffen. Erstens: Querschnittlähmung bedeutet nicht automatisch Rollstuhl. Ich zum Beispiel kann gehen, mit Schienen an den Unterschenkeln. Zweitens gibt es nicht nur motorische Einschränkungen, sondern auch andere Begleiterscheinungen. Die Bewegungseinschränkung ist oft nicht das Krasse. Daran gewöhnt man sich relativ gut. Andere Sachen sind lästiger.

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Mit welcher Unfallfolge hatten Sie am meisten zu kämpfen?
Als junger Bursche – gerade flügge geworden – war es eine Riesenenttäuschung und eine wichtige Frage: Was ist mit der Sexualität los? Dein Körper signalisiert dir ja: „Hallo, Hormone und so, jetzt ist dann irgendwann mal Fortpflanzung angesagt.“ Und mit der Querschnittlähmung ist das alles erst einmal gekappt. Das ist schon krass. Zum Glück hat sich das wieder verbessert, fast bis zum Ausgangszustand. Heute bin ich Vater und Ehemann.

Sie sagen „Menschen mit Behinderung wissen, worauf es ankommt“.Was sind die wichtigen Dinge für Sie?
Menschen mit Behinderung haben meist die schwerste Krise schon hinter sich. Sie sehen das Leben oft mit einem klareren Blick. Herausforderungen zu suchen, sie zu meistern. Ziele zu haben. Der faire Umgang miteinander in der Gesellschaft. Und die Familie, die Menschen, die mir am nächsten sind. Mit denen gut umzugehen, sich um sie zu kümmern – das sind wichtige Dinge für mich.

Manchmal – so scheint es – sind Sie von einem extremen Perfektionismus getrieben.
Das stimmt, ja, nicht nur im Sport...

Und wissen gleichzeitig, dass Sie über manche Grenzen nie hinauskommen werden.
Ich bin Rationalist. Ich weiß: Ohne Behinderung, mit dem Aufwand, den ich jetzt betreibe, würde mich am ganzen Gardasee oder in Oberbayern keiner abhängen auf dem Rad. So kann es eben sein, dass ein junger Bursche, der nur ein Drittel so viel trainiert, wie ich es tue, besser ist. Aber: That’s Life! Ich habe mich mit meiner Situation arrangiert. Jeder hat seine Grenzen. Mir geht es darum, sie zu testen und vielleicht sogar zu verschieben. Ich bringe ja immer gern Camus-Zitate aus „Der Mythos des Sisyphos“: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen“, heißt es da. Ich muss nicht die ganze Welt verbiegen.

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