Julian Reus: „Denken? Gar nicht!“

Julian Reus, Deutschlands schnellster Mann, spricht über die 100 Meter in Rio, Rekorde, Doping – und den Sprint-Superstar Usain Bolt. „Mit ihm muss man rechnen.“
von  S. Stuhlfelner
"Er ist ein großes Talent, nutzt seine Hebel gut aus“, sagt Sprinter Julian Reus (Bild) über Superstar Usain Bolt, auf den er in den 100-Meter-Läufen in Rio treffen könnte.
"Er ist ein großes Talent, nutzt seine Hebel gut aus“, sagt Sprinter Julian Reus (Bild) über Superstar Usain Bolt, auf den er in den 100-Meter-Läufen in Rio treffen könnte. © dpa

München, Rio - Der 28-jährige Julian Reus ist der beste deutsche Sprinter. Am 29. Juli verbesserte er seinen eigenen deutschen Rekord über 100 Meter auf 10,01 Sekunden. Die Abendzeitung hat mit ihm über seine Ziele für die Olympischen Spiele gesprochen.

AZ: Herr Reus, beim letzten Wettkampf vor Olympia haben Sie Ihren eigenen deutschen Rekord über 100 Meter erneut verbessert, der steht jetzt bei 10,01 Sekunden. Wie fühlt man sich als schnellster Mann Deutschlands?
Julian Reus: Ich sehe die Bedeutung dahinter noch gar nicht so. Mein Ziel war es immer, meine persönliche Grenze auszutesten und zu schauen: Wie schnell bin ich in der Lage zu laufen? Auf diesem Weg befinde ich mich noch. Mein Ziel war es nie, schnellster Deutscher zu sein. Das begreift man vielleicht, wenn man die Karriere beendet hat und darauf zurückblickt, was man erreicht hat.

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Wir fragen Sie jetzt nicht, wann die Zehn-Sekunden-Marke fällt, weil wir wissen, dass Sie das nervt...
Was heißt, es nervt (lacht). Man kann es halt nicht planen. Ich weiß, dass es machbar ist. Vielleicht ist dieser Tag irgendwann da und dann muss man zuschlagen.

Am besten dann in Rio...
Das wäre natürlich perfekt.

Nur geradeaus laufen? "Komplexer als man meint"

Wie trainiert ein Sprinter, um noch diese paar Hundertstel, die entscheidend sein können, herauszuholen? Eigentlich müssen Sie ja nur möglichst schnell geradeaus laufen...
Das ist viel komplexer als man meint. Grundlage ist immer eine Videoanalyse. Es werden Werte bestimmt wie Schrittlänge, Schrittfrequenz, Oberkörperposition, Beugewinkel der Hüfte, des Knies und so weiter. Wenn ich zum Beispiel mein Knie beim Schritt um zwei bis drei Grad höher bekommen will, arbeite ich mehrere Monate dran. Ich muss dann wieder andere Muskelgruppen mittrainieren, damit mein Körper die hohen Belastungen verträgt.

Und was denkt man während der zehn Sekunden, in denen man die 100 Meter zurücklegt?
Eigentlich sollte man gar nicht denken. Sobald man Gedanken zulässt, limitiert man schon seine eigene Leistung. Wenn man gut drauf ist, sind die Abläufe alle automatisiert.

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"Abstand zur Weltspitze zu groß"

Einer, der immer total entspannt wirkt, ist Usain Bolt. Wie erleben Sie ihn als Typen? Ist er wirklich so cool?
Ich kenne ihn nicht wirklich, deshalb kann ich schwer einschätzen, ob er wirklich so gelassen ist oder ob er mit seinen Posen nur seine eigene Nervosität überspielt und sich eine Schutzschicht aufbaut.

Beeinflussen Sie die Mätzchen und Spielchen, die er vor dem Start macht?
Nein, da ist jeder mit sich beschäftigt und macht seinen Job. Auf sowas lässt man sich gar nicht ein.

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Was zeichnet Bolt sportlich aus, dass er die Sprintszene seit Jahren derart dominiert?
Er ist sicherlich ein großes Talent, das steht außer Frage, auch seine Körpergröße ist ein Vorteil, er nutzt seine Hebel gut aus. Aber ich weiß nicht, wie er trainiert und habe seine technischen Abläufe auch nicht analysiert.

Was müsste denn passieren, dass wieder mal ein Deutscher in der Weltspitze mitläuft?
In naher Zukunft sehe ich das nicht als machbar. Der Abstand zur Weltspitze ist einfach zu groß, das muss man ganz ehrlich sagen. Wir versuchen alles, um uns weiter zu verbessern, aber in die Weltspitze ist es ein Riesenweg.

Doping in Rio? "Da läuft immer ein schwarzer Schatten mit."

Kommen wir zum Thema Doping. Sie zeigen da ja eine sehr klare Haltung. Wie fühlt es sich an, in Rio neben einem verurteilten Dopingsünder wie Justin Gatlin zu laufen?
Im Wettkampf muss man das ausblenden. Natürlich ist es hart zu sehen, dass jemand zweimal gesperrt war und nun wieder genauso schnell läuft wie in seiner Dopingvergangenheit. Da läuft immer ein schwarzer Schatten mit. Aber auch Zuschauer und Medien, die diese Athleten puschen, sollten doch ein bisschen genauer hinsehen.

Sind solche Zeiten, wie Bolt sie läuft, sauber überhaupt möglich?
Ich glaube, niemand kann beurteilen, wie schnell ein Mensch in der Lage ist zu laufen, ohne Dopingmittel zu nehmen. Da spielen viel zu viele Faktoren eine Rolle, die die Leistung beeinflussen. Deshalb ist jede Aussage darüber mit Vorsicht zu genießen.

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Noch einmal zurück zum Sportlichen: Welche Ziele haben Sie sich für Olympia gesteckt?
Über 100 und 200 Meter möchte ich das Halbfinale erreichen. Dafür muss man wahrscheinlich um die 10,10 oder 20,40 Sekunden laufen. Das sind Zeiten, die im Bereich meines deutschen Rekordes liegen. Und mit der Staffel wollen wir wieder in den Kampf um die Medaillen eingreifen.

Und wer gewinnt über 100 Meter?
Wahrscheinlich ist Bolt schon wieder der große Favorit, bei den Höhepunkten muss man immer mit ihm rechnen. Gatlin sehe ich als seinen größten Konkurrenten.

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