Jens Weißflog: "Severin Freund hat sein Trauma besiegt"

Im AZ-Interview spricht der Ex-Skispringer über das Erfolgsgeheimnis von Freund und erklärt, warum Carina Vogt eine Medaillensammlerin ist.
von  Simon Stuhlfelner
Ex-Skisprung-Star Jens Weißflog (r) über Vize-Weltmeister Severin Freund.
Ex-Skisprung-Star Jens Weißflog (r) über Vize-Weltmeister Severin Freund. © dpa/AZ

München Der Ex-Skispringer Jens Weißflog war dreimal Olympiasieger und dreimal Weltmeister. Hier  spricht er über das Erfolgsgeheimnis von Severin Freund, seine Liebe zur Tournee – und erklärt, warum Carina Vogt eine Medaillensammlerin ist.

AZ: Herr Weißflog, müssen Sie eigentlich Angst haben vor Severin Freund?

JENS WEIßFLOG: Inwiefern?

Dass er, wenn er so weiterspringt, Ihren Rekord als erfolgreichster deutscher Skispringer mit 33 Weltcupsiegen irgendwann knackt?

Wie weit ist er denn? (lacht)

Er hat 14 Siege, Tendenz schnell steigend.

Naja, dann ist ja noch ein Stück Platz (lacht). Nein, Angst hab’ ich da keine. Es wäre der normale Lauf der Dinge, dass die Bestmarke mal jemand bricht, ich würde es ihm auch gönnen. Außerdem ist das bei mir ja so lange her, dass sich kaum mehr jemand dran erinnert.

Hat es Sie denn überrascht, dass die deutschen Skispringer mit drei Medaillen – davon zweimal Gold – so erfolgreich in die WM gestartet sind?

Jein, jeder hat natürlich mit Medaillen gerechnet, von den Vorergebnissen musste man unsere Springer einfach zu den Favoriten zählen. Aber es gab auch Teams wie Österreich, die eine ähnlich gute Ausgangslage mit Topspringern wie Stefan Kraft oder Daniela Iraschko-Stolz hatten, die als Team fast schon gescheitert sind. Dass es bei den Deutschen so gut funktioniert, mag Glück sein oder Segen – manchmal ist man auch einfach dran.

Was macht denn Freunds momentane Stärke aus? Er hat seit Mitte Januar vier Weltcupsiege gefeiert, jetzt WM-Silber, Gold im Mixed.

Der Knackpunkt war das Skifliegen in Bad Mitterndorf am Kulm, wo er einfach zu seiner Technik gefunden hat. Die war zum Teil vorher schon da, aber unter Druck, wie bei der Vierschanzentournee, noch zu fehlerbeeinflusst. Er hat beim Absprung häufig seine Position verloren, ist zu sehr nach oben gesprungen. Das Skifliegen verlangt ja doch einen etwas anderen Ablauf, da liefen dann die Sprünge plötzlich. Diese Technik, nicht so sehr mit Kraft, sondern flüssiger zu springen, hat er dann auch auf den anderen Schanzen angewandt.

Kann man auch sagen, dass Freund mental stärker geworden ist – bei der WM 2013 und bei Olympia 2014 ist er ja jeweils Vierter geworden...

Auf alle Fälle. Die Goldmedaille mit dem Team in Sotschi, wo er als letzter Springer die Nerven behalten hat, hat bei ihm den Schalter umgelegt. Er kann jetzt mit solchen Situationen besser umgehen.

Wie wichtig ist denn bei diesen Top-Events die Erfahrung, alles schon mal so ähnlich durchgemacht zu haben?

In solchen Momenten entscheidet oft nicht die körperliche oder technische Überlegenheit, sondern, dass der Springer die Nerven behält und die Technik so rüberbringt wie im Training. Man kann diese Drucksituationen natürlich simulieren, aber am Ende ist es ein Erfahrungswert – und Freunds Schlüsselerlebnis war das Team-Gold von Sotschi. Dass er die Erfahrung gemacht hat, eben nicht immer an den Nerven zu scheitern,. Dadurch hat er dieses Trauma besiegt.

Bei der Vierschanzentournee ist ihm das noch nicht gelungen, er war wieder im erweiterten Favoritenkreis, hat sich den Sieg auch selber zugetraut. Warum hat’s dort nicht geklappt, und anschließend im Weltcup lief es gleich wieder wie geschmiert?

Das hat schon etwas mit der Stresssituation und der Erwartungshaltung bei der Vierschanzentournee zu tun, der er einfach erlegen ist. Wir haben das in den letzten Jahren immer wieder gesehen, dass das gerade für die deutschen Springer mit dem Beginn in Oberstdorf sehr knifflig ist.

Wie haben Sie es denn geschafft, bei der Tournee den Druck auszublenden? Sie haben immerhin vier Mal gewonnen.

Für mich war die Tournee immer was Besonderes, bei dieser Stimmung zu springen, das war für mich eher motivierend, erhebend – und nicht belastend. Aber warum das bei mir geklappt hat und bei anderen nicht, das ist schwer zu sagen.

Bei der WM haben Freund 0,4 Punkte zum Sieg gefehlt. Hat er Silber gewonnen oder nicht doch eher Gold verloren?

Ich würde schon sagen, dass er Silber gewonnen hat. Er hat das Seine getan, alles andere kann man nicht beeinflussen. Dass zum Beispiel der Norweger Rune Velta, den vorher niemand auf der Rechnung hatte, über sich hinauswächst. Und 0,4 Punkte Rückstand, das ist ja fast ebenbürtig zu Gold. Die Chance auf der großen Schanze hat er immer noch, die wird er auch wahren.

Wie groß ist die Chance für das Springen heute?

Freund ist auf alle Fälle in der Lage zu Gold, er ist im gesamten Feld derzeit der stabilste Springer. Alles andere, wie die äußeren Bedingungen oder die Tagesform, hat er nicht in der Hand.

Bei den Frauen hat sich Carina Vogt zur Schanzenkönigin gekrönt, sie hat erst zwei Weltcupsiege, ist aber schon Olympiasiegerin und jetzt auch Weltmeisterin. Wie macht sie das?

Sie ist eine Medaillensammlerin, sag’ ich nur. Sie kann sich auf den Punkt genau konzentrieren, die Bestform zum richtigen Zeitpunkt abrufen, auch in nervenbelastenden Situationen. Es gibt solche Athleten.

Wenn Sie ein paar Worte an Severin Freund oder an Carina Vogt richten könnten, was würden Sie ihnen sagen?

Einfach so weitermachen wie bisher (lacht).

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