Schweinsteiger vor der EM: 80 Tage auf Bewährung

Nationalelf-Kapitän Schweinsteiger befindet sich vor einem großen Turnier mal wieder im Formtief. Die Konkurrenz ist stark, die Kritik heftig, aber Löw vertraut ihm: „Er hat einen großen Einfluss“.
von  Maximilian Koch
Löw und Schweinsteiger nach dem WM-Finale 2014.
Löw und Schweinsteiger nach dem WM-Finale 2014. © dpa

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Leistungsstand Bastian Schweinsteigers 80 Tage vor Beginn der Europameisterschaft zu beschreiben. Eines vorweg: Aktuell sind beide Varianten nicht gerade aufbauend für den Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Die eine Möglichkeit ist der Blick in die englische Öffentlichkeit, die bekanntlich dazu neigt, sehr drastisch zu urteilen – positiv wie negativ.

Vor dem Derby gegen Manchester City am Sonntag, das Schweinsteigers Klub Manchester United 1:0 gewann – ohne Schweinsteiger in der Startelf übrigens –, war der 31-Jährige einmal mehr hart attackiert worden. Der im Vergleich zu anderen Boulevardblättern sonst recht zurückhaltende „Independent“ nannte Schweinsteiger eine „Metapher dafür, wie tief United gefallen ist“. Weiter hieß es, der Deutsche habe einen „spektakulären Absturz“ hinter sich. Und richtig fies wurde es, als mit Bezug auf Schweinsteigers vermeintlich zu hohes Gewicht geschrieben wurde, der Mittelfeld-Star werde wohl eher mit „Kuchen“ bezahlt statt mit Pfund.

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Das Problem für Schweinsteiger ist, dass er den Kritikern momentan kaum Gewichtiges entgegenhalten kann. Das ist ja üblicherweise jene zweite Möglichkeit, um Zweifler zu widerlegen: Ihnen einfach die persönlichen Statistiken zu zeigen, um zu belegen, dass sie in ihren Urteilen zu voreilig sind, dass sie irren. Doch diese Option gibt es derzeit nicht. Auch die Zahlen sprechen gegen Schweinsteiger.

31 Spiele hat er für United absolviert, seitdem er im vergangenen Sommer verpflichtet wurde. Dieses Jahr sogar nur 245 Minuten, weil er im Januar von einem Innenbandriss im Knie gebremst wurde. In diesen 31 Partien war Schweinsteiger an nur drei Toren beteiligt (ein Treffer, zwei Vorlagen). Zum Vergleich: In seiner Zeit bei Bayern, wo Schweinsteiger seit seinem Abschied sportlich nicht vermisst wird, waren ihm in 500 Spielen 68 Tore und 100 Assists gelungen – in jedem dritten Spiel hatte er also bei einem Torerfolg seine Füße im Spiel. Dass Schweinsteigers Passquote und Zweikampfstatistik durchaus ordentlich sind, hilft ihm nur bedingt: In England haben sie sich auch offensiv Impulse von Schweinsteiger erhofft, Trainer Louis van Gaal betonte kürzlich öffentlich, „mehr“ von seinem Wunschspieler zu erwarten. „Er war enttäuscht, als ich ihm das sagte, aber meine Ansprüche an ihn sind höher.“

Joachim Löw würde in der Öffentlichkeit wohl nie so kritische Worte wählen, erst recht nicht bei Schweinsteiger, dem er ungeachtet dessen enttäuschender Saison vertraut. „Bastian hat einen großen Einfluss auf die Mannschaft. Er ist der Kapitän und einer der Spieler mit der größten Erfahrung. Er ist Weltmeister“, sagte der Bundestrainer gerade erst: „Die Mannschaft kann von seiner Reife, seiner Erfahrung und Persönlichkeit profitieren. Gerade bei einem Turnier ist es sehr wichtig, Spieler mit Führungsqualitäten zu haben.“

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Dass Löw seinen Capitano Schweinsteiger für die EM-Tests in Berlin gegen England (Samstag, 20.45 Uhr/ZDF) und drei Tage darauf in München gegen Italien (20.45 Uhr/ARD) nominierte, ist vor allem als Signal zu verstehen: Er setzt weiter auf seinen Kapitän und gibt ihm zumindest die Chance dazu, bis zum Turnierstart am 10. Juni eine ansprechende Form zu erreichen. So wie Schweinsteiger das auch vor der WM 2014 schaffte.

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Sollte Schweinsteiger aber weiter auf ManUnited-Niveau agieren, wird er die deutsche Elf im Sommer kaum aufs Feld führen können. Schließlich gibt es in Ilkay Gündogan, Toni Kroos, Sami Khedira sowie den Jungstars Julian Weigl und Joshua Kimmich starke Alternativen im zentralen Mittelfeld. Der WM-Held muss also wieder einmal Zweifel beseitigen. 80 Tage bleiben ihm – 80 Tage auf Bewährung. Maximilian Koch

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