Schweinsteiger-Vertreter wider Willen

München - Sami Khedira weiß, wie sehr Bastian Schweinsteiger leidet. Vor der WM 2014 musste der damalige Profi von Real Madrid über sich lesen, dass es wohl nichts mehr werden würde mit ihm und dem Turnier in Brasilien. Am 15. November 2013 hatte er sich beim Länderspiel in Mailand gegen Italien (1:1) einen Kreuzbandriss zugezogen - für viele Experten war Khedira damit raus. So wie jetzt Schweinsteiger mit seiner neuerlichen Innenbandverletzung für die EM.
Man habe das Gefühl, "dass Bastian schon nicht mehr bei uns ist oder mit Fußball aufgehört" habe, sagte Khedira am Rande des Länderspiels gegen seine neue Wahlheimat Italien in München: "Aber jeder, der ihn abschreibt, macht einen großen Fehler." So wie 2014 bei Khedira. Der kämpfte sich gegen alle Vorhersagen zur WM und wäre im Finale gegen Argentinien in der Startelf gesetzt gewesen - wenn ihn nicht eine Muskelverletzung kurzfristig ausgebremst hätte.
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Seit dem Triumph von Rio hat sich Khediras Status als Antreiber und Wortführer, als Schweinsteigers Stellvertreter verfestigt. Obwohl er die Kapitänsbinde, die er am vergangenen Samstag gegen England (2:3) zum dritten Mal seit der WM trug, gerne an einen genesenen Schweinsteiger zurückgeben würde, trägt er sie mit Stolz. "Das ist definitiv eine Ehre und etwas ganz Besonderes", sagte er.
Zwar gebe es in Manuel Neuer, Jerome Boateng, Mats Hummels, Toni Kroos oder Thomas Müller einige weitere Spieler, "deren Wort Gewicht hat", betonte er. Doch Khedira übernimmt längst die Aufgaben eines Kapitäns. Anfang des EM-Jahres bezog der 28-Jährige als einziger Weltmeister öffentlich Stellung und mahnte angesichts der Formschwäche zu mehr Wachsamkeit. Auch in diesen Tagen greift Khedira ein, wenn er es für geboten hält. Auf und neben dem Platz.
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Als der Mannschaft in Berlin das Spiel gegen England entglitt, suchte der Spielführer wiederholt das Gespräch mit Debütant Jonathan Tah und Antonio Rüdiger, deren unbedarftes Verteidigen Lücken klaffen ließ. Im Hotel nahm er sich Sorgenkind Mario Götze an, um mit dem WM-Helden "ein bisschen länger" über dessen Probleme zu reden. Mit Schweinsteiger befindet sich Khedira ohnehin im ständigen Austausch.
Als dessen Stellvertreter wider Willen ist Kommunikator Khedira längst anerkannt. Joachim Löw gab ihm gegen England den Vorzug vor Neuer. Der Bundestrainer sieht - auch angesichts der Probleme von Schweinsteiger - zufrieden, dass Khedira sich auch spielerisch weiterentwickelt hat. Der Wechsel von Madrid zu Juventus Turin sei "unheimlich wichtig" für ihn gewesen, sagte Khedira, er habe in Italien "einen neuen Geist in mir geweckt".
Ein Geist, der ihn im Sommer zu Großem befähigen soll - am liebsten nicht anstelle von, sondern neben Chef Schweinsteiger.