Katar-Report vor Ort: Sodom und Gin Tonic
Topp, die Wette gilt. Alle Neune? Ja, er war sich seiner Sache sicher, bekräftigte mir gegenüber, dass die deutsche Nationalelf in ihrer Vorrunden-Gruppe alle drei Spiele gegen Japan, Spanien und Costa Rica gewinnen werde. Der Mann ist Optimist.
Und Marokkaner. Und Kellner in einem netten Café auf dem Souq Waqif, dem auf Tradition getrimmten Handelsmarkt von Doha am Ufer des Wadi Musheire.

Riecht und schmeckt nach allen kulinarischen Facetten der arabischen Welt
Hier in den Gässchen mit den traditionellen Lehmgebäuden kann man sich gut vorstellen, wie es früher mal aussah in Katars Hauptstadt - als der Handel mit Stoff, Gold und Gewürzen im Mittelpunkt des geschäftigen Lebens stand.

Heute bevölkern Shops mit Fake-Trikots und allerlei Touristen-Gedöns die Szenerie. Neben den Restaurants aus aller Welt, besonders das "Damasca One" mit syrischen Spezialitäten und traditioneller Live-Musik ist sehr zu empfehlen. Überhaupt riecht und schmeckt es hier nach allen kulinarischen Facetten der arabischen Welt.
Ein Melting-Kochtopf.
WM hat das Bild des Lebens und Treiben in den Straßen der Stadt komplett verändert
Bei meinem Rundgang am Montagabend über den ansonsten überschaubar hektischen Souq, den ich von mehreren Besuchen während der Januar-Trainingslager des FC Bayern in Doha kannte, fiel mir sofort auf, dass die WM das Bild des Lebens und Treiben in den Straßen der Stadt komplett verändert hat. Dichtgedrängt geht es durch die Fußgängerzone. Fahnen aller Teilnehmerländer, Devotionalien des Turniers sowieso. Es ist lauter, bunter. Es ist WM.

One Love. Und nebenan das Fifa-Fanfest. Noch lauter. Was eher daran liegt, dass es hier im abgesperrten Bereich die Spiele auf Großbildleinwänden zu sehen und Bier zu kaufen gibt - eines der Streitthemen dieses Turniers. In der Nähe der Stadien wurde Alkohol hingegen kurz vor Turnierbeginn in einem Alleingang der Fifa verbannt. Und so zahlt der Fan für eine 500 Milliliter Dose alkoholfreies Bier eines US-amerikanischen Sponsors 30 katarische Riyal, umgerechnet rund acht Euro. Fast ein Schnäppchen im Vergleich zu den bis zu 13 Euro, die man in Hotels zahlen muss. Für ein Bierchen mit Wumms. Und so stehen der Souq Waqif und die abgesperrten Zonen der Fanfeste für die grundverschiedenen Welten, in denen diese erste WM auf arabischem Boden stattfindet.

Es ist ein Experiment, nicht nur rein sportlich, weil das Turnier im Winter der Nordhalbkugel ausgetragen wird. Weil die Kontraste der Parallel-Welten so extrem sind. Hier die zum Teil schlimm ausgebeuteten Wanderarbeiter, die zum Bau der Hightech-Stadien ins Land gebracht wurden, dort die superreichen Einheimischen. 300.000 Katarer, rund zehn Mal so viele Gastarbeiter. Es gibt so viele Momente, in den man sich unwohl fühlt, der Gegensatz beklemmend ist. Man möchte gar nicht wissen, was der so freundliche junge Mann pro Stunde verdient, der einem auf der Toilette nach dem Händewaschen ein paar Tücher zum Abtrocknen reicht, nachdem man sich um ein Getränk erleichtert hat, das womöglich für mehrere Stundenlöhne gereicht hätte. Hier, im "The Red Lion", einem Pub im obersten Stock eines Hotels, in den man nur mit seinem Reisepass einchecken kann. Die Tür, also Sesam, öffnet sich - und man wähnt sich in Großbritannien.
Kaum eingetreten, wird ein gut abgefüllter Brite des Lokals verwiesen. Sodom und Gomorra. Heineken und Gin Tonic.
Man kann sich auch selbstständig fortbewegen in Katar, am besten mit der komplett neu gebauten Metro. In Windeseile aus und in den Boden gestampft, die Kosten spielten - wie bei den Stadien - keinerlei Rolle. Die Fahrt ist ein Vergnügen, bestens organisiert und so sauber. Man könnte nicht nur sprichwörtlich vom Boden essen.

Damit zurück zu meinem Kellner im Souq Waqif. Wenn er mit den neun Punkten nicht rechtbehält, so versprach er vollmundig, könnten wir wiederkommen. Einmal frei essen und trinken. Dazu den leckeren Mango- oder Kiwisaft. Wir sehen uns. Das sind die kleinen Momente, die eine WM ausmachen und nicht der Größenwahn der Fifa.
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