Die Unberechenbaren: Was beim DFB nach dem Unentschieden gegen England bleibt
Es war das erste Heimspiel der "Three Lions" im britischen Nationalstadion Wembley nach dem Tod von Königin Elizabeth II. Die Schweigeminute vor dem Anpfiff des Klassikers England gegen Deutschland war ein ergreifender Akt, denn diese Schweigeminute war tatsächlich bedrückend still. Und wohl so besonders, dass die Spieler in der ersten Halbzeit in stillschweigender Eintracht wenig Aufregendes boten.
Wilde zweite Hälfte
Nach der Pause wurde es dann wild. Von 0:0 auf 3:3 mit ein paar Zwischenschritten, "twists and turns", Drehungen und Wendungen. Ein Unentschieden mit zwei Verlierern, Dauer-Optimisten würden sagen: zwei Gewinnern. Die britische Boulevard-Zeitung "Daily Mirror" bezeichnete am Dienstag die englische Mannschaft als "Heroes & Villains", am besten zu übersetzen mit: Helden und Schurken bzw. - etwas abgeschwächter - Übeltätern.
Gemischte Gefühle hinsichtlich Katar
Mit Blick auf die in knapp acht Wochen beginnende Weltmeisterschaft in Katar herrschten gemischte Gefühle bei allen Beteiligten. "Wer in der 65. Minute den Fernseher ausgemacht hat, ist euphorisch Richtung WM ins Bett gegangen", meinte Thomas Müller. Der Routinier des FC Bayern täuschte sich lediglich, was den Zeitpunkt betrifft, hatte dabei wohl das erste Tor von Kai Havertz zum 2:0 (67.) im Sinn, bilanzierte jedoch treffend: "Es waren sowohl positive Aspekte dabei als auch Sachen, die nicht so gut gelaufen sind."
Ergibt unterm Strich für die DFB-Auswahl: einerseits Sorgen und Zweifel, andererseits Hoffnung und Vorfreude. Die Unberechenbaren steuern schlingernd auf die Winter-WM zu.
Die Status-Quo-Analyse der AZ
Sorgen & Zweifel: Das 0:1 gegen Ungarn in Leipzig war nahezu in allen Belangen schlecht - und daher ein Ausrutscher? Nach dem 3:3 in England sagte Bundestrainer Hansi Flick: "Natürlich sind wir enttäuscht, wir haben 2:0 geführt." Sein Hauptkritikpunkt: "Nach dem Anschlusstreffer kam ein Bruch in unser Spiel, solch eine Phase - das darf uns nicht passieren."
Dieser Blackout hat mit fehlender Körperlichkeit und Aggressivität zu tun, wie der 57-Jährige bemängelte: "Wir haben uns innerhalb von 15, 20 Minuten den Schneid abkaufen lassen. Da waren die Engländer besser, viel aggressiver. Die Tore sind durch individuelle Fehler gefallen.
Analyse von Kimmich
Laut Joshua Kimmich wurde das DFB-Team nach der Führung "viel zu passiv", man habe viel zu tief verteidigt und "nicht mehr den Mut gehabt, gegen den Ball zu spielen - irgendwo unerklärlich." Ein Rätsel ist mehr die Psyche als die taktischen bzw. körperlichen Elemente? Viel zu tun für Flick. Bloß wann? Man hat im November lediglich eine Woche Vorbereitung, trifft sich nur neun Tage vor dem eigenen WM-Auftakt am 23. November gegen Japan.
Hoffnung & Vorfreude: "Es war auf jeden Fall eine Verbesserung. Gerade in Sachen Körpersprache, Kontrolle und Engagement", konstatierte Kimmich. Neben Doppelpacker Havertz bestach Jamal Musiala durch seine Übersicht, sein Spielverständnis und seine Dribbelstärke.
"Wir haben nach der Halbzeit 20 Minuten richtig guten Fußball gespielt und sind verdient in Führung gegangen", sagte Flick und betonte: "Positiv ist, dass wir nach dem Rückstand noch mal zurückgekommen sind. So können wir es besser verkraften als bei einer Niederlage."
Top Torhüter
Außerdem ermutigend: Dass ein Ausfall von Stammtorhüter und Kapitän Manuel Neuer kein großes Problem darstellen würde, da Marc-André ter Stegen vom FC Barcelona - wie in Wembley zu sehen - auch ein Weltklasse-Torhüter ist. Flick, der sein Team erst in sieben Wochen wiedersieht und hoffen muss, dass seine Auserwählten in bis dahin möglichen 13 Pflichtspielen unversehrt bleiben, meinte abschließend: "Ich bin absolut überzeugt: Wenn wir den Kader fixiert haben und uns dann am 14. November treffen, sind alle heiß darauf, eine gute WM zu spielen. Dann gehe ich mit einem sehr positiven Gefühl in die WM."
Als Beobachter bleibt das mulmige Gefühl: Dieses DFB-Team ist eine Wundertüte - man weiß wirklich nie, was man kriegt.