Der Präsident, der von (fast) nichts weiß

Wolfgang Niersbach will die Millionenzahlung um die WM erklären – und wirkt ratlos. Die Fifa widerspricht ihm. Der Auftritt, die neuen Fragen.
von  az
„Das Sommermärchen war ein Sommermärchen und es bleibt ein Sommermärchen“ – sagt zumindest DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
„Das Sommermärchen war ein Sommermärchen und es bleibt ein Sommermärchen“ – sagt zumindest DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. © dpa

Frankfurt - Der erste Mann des deutschen Fußballs war vor allem eins: ein Ausbund an Rat- und Hilflosigkeit. Das Gesicht fahl, die Augenringe ausufernd. Nervös, zerfahren, stammelig versuchte Wolfgang Niersbach zu erklären, was ihm selber wohl nicht klar ist: Die dubiosen Vorgänge – die mehr an ein Hinterzimmer-Geschäft eher zwielichtiger Gesellen erinnern, als an ehrenwerte Herrschaften, die das größte Fußball-Spektakel der Welt für Deutschland sichern sollen – um die 6,7 Millionen Euro Zahlung, die der 2009 verstorbene ehemalige Adidas-Vorstandschef Robert Louis-Dreyfus für den DFB an den Weltverband Fifa leistete.

Es war ein gespenstischer Auftritt, bar jeder Souveränität. „Ich weiß es nicht“ war der mit Abstand häufigste Satz von Niersbach, der Ich-weiß-von-nichts-Präsident. „Da bin ich überfragt“, „ich wäre selber froh, wenn ich es für mich präziser wüsste“ oder „ich zermartere mir auch den Kopf, seitdem das in der Welt ist“, sagte er auch und „soweit ich mir das erklären kann“. Er, der Antworten geben wollte, warf nur noch mehr neue Fragen auf. Dabei hatte er bei der so kurzfristig angesetzten Pressekonferenz noch forsch mit seiner Conclusio begonnen: „Es ist bei der WM-Vergabe 2006 alles mit rechten Dingen zugegangen. Es hat keine schwarzen Kassen gegeben, es hat keinen Stimmenkauf gegeben“, sagte Niersbach eingangs und fügte an: „Das Sommermärchen war ein Sommermärchen und es bleibt ein Sommermärchen.“

Ein Märchen auf jeden Fall, so kam es rüber. Doch je länger der Auftritt dauerte, je länger Niersbach sprach, je mehr Unwissen er demonstrierte, desto dubioser erschien alles, geriet der Vorgang ins Zwielicht. Und mit ihm auch Franz Beckenbauer. Die wichtigsten Fragen zu dem Auftritt:

WELCHE ZENTRALEN FRAGEN KONNTE NIERSBACH NICHT BEANTWORTEN? Warum mussten die deutschen WM-Macher 2002 umgerechnet 6,7 Millionen Euro an die Fifa überweisen, um später vom Weltverband dann umgerechnet 170 Millionen Euro erhalten zu können? Dazu sagte er: „Es ranken sich Fragezeichen, die auch ich sehe.“ Der Verlauf der Überweisung, auch die Herkunft des Geldes bei der Rückzahlung ist weiter unklar. Warum wurden 6,7 Millionen Euro aus dem Kulturtopf genommen, um ein privates Darlehen zurückzuzahlen? Warum überwies Louis-Dreyfus 2002 an die Fifa-Finanzkommission, wenn die Zahlung angeblich buchhalterisch zu Lasten des deutschen Organisationskomitees ging?

WIE VERSUCHT NIERSBACH, DIE ÜBERWEISUNG ZU ERKLÄREN? Ex-Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus habe dem WM-Organisationskomitee aufgrund damals fehlender Mittel des Gremiums den Betrag vorgestreckt – und diesen an die Fifa-Finanzkommission überwiesen, also ohne Umweg über den DFB oder das OK. Zuvor soll Franz Beckenbauer angeboten haben, das Geld aus seinem Privatvermögen zu leihen. Auf Anraten seines Beraters Robert Schwan habe er sich dagegen entschieden.

WAS MUSS NUN GEKLÄRT WERDEN? Weiter nicht einleuchtend erscheint die Notwendigkeit des Überweisungs-Tricks, ebenso der Verzicht der WM-Macher auf Unterstützungsanfragen bei Banken, dem DFB oder gar der Bundesregierung. Niersbach: „Ich war in Finanzabwicklungen nur sehr bedingt eingebunden.“ Dafür war Theo Zwanziger verantwortlich.

MUSS SICH NIERSBACH VORWÜRFE MACHEN? Ja. Der DFB-Präsident wusste nach eigener Aussage seit Juni von den Vorgängen. Er habe auf „merkwürdigen Umwegen“ von den Problemen mit den 6,7 Millionen Euro erfahren. Niersbach sprach von einem „Versäumnis“, dass er die übrigen Mitglieder des Präsidiums „nicht früher“ informiert habe: „Das nehme ich auf meine Kappe.“ Bei Beckenbauer hatte sich Niersbach am Dienstag in Salzburg persönlich über die Vorgänge informiert.

WELCHE ROLLE SPIELT BECKENBAUER? Eine mysteriöse. Er erscheint als zentrale Figur der Affäre. Er soll vom Fifa-Präsidenten Sepp Blatter die Zusage bekommen haben, das OK werde im Gegenzug für die Zahlung von umgerechnet 6,7 Millionen später 170 Millionen vom Weltverband als „Organisationszuschuss“ erhalten. Blatter erklärte dazu: „Ich bin mit diesem Vorgang nicht vertraut.“ Niersbach stützte sich in seinen Ausführungen ausschließlich auf ein persönliches Gespräch am Dienstag in Salzburg, also auf Beckenbauers Gedächtnis.

WAS SAGT DIE POLITIK? Das Bundesinnenministerium bestätigte, dass das OK im Jahr 2005 eine Umschichtung von Finanzmitteln in Höhe von sieben Millionen Euro im Kulturbudget angestrebt hatte. Das OK habe um die Summe gebeten, da es eine Kostensteigerung für die geplante Fifa-Auftaktgala in Berlin gegeben habe. Laut Protokoll habe es für den Kulturbereich vom Bund ein Gesamtbudget in Höhe von zwölf Millionen Euro gegeben habe gegeben, das für Projekte in den zwölf WM-Städten festgelegt war. Das OK war jedoch offenbar der Meinung, dass für das Programm nicht so viel Geld bereit gestellt werden müsste. Ein Beschluss soll in der Sitzung im April 2005 allerdings nicht gefasst worden sein. Ebenfalls lasse sich im Nachgang die tatsächliche Zahlung nicht nachvollziehen, hieß es am Donnerstag.

WAS SAGT DIE FIFA? Dort widerspricht man Niersbach: „Es entspricht in keinster Weise den Fifa-Standardprozessen und Richtlinien, dass die finanzielle Unterstützung von WM-OKs an irgendwelche finanziellen Vorleistungen seitens des jeweiligen OKs oder seines Verbandes gekoppelt ist. Im Übrigen ist generell die Finanzkommission weder berechtigt, Zahlungen irgendwelcher Art in Empfang zu nehmen, noch verfügt sie über ein eigenes Bankkonto“, erklärte die Fifa. Man werde die Angelegenheit untersuchen. Der DFB sei aufgefordert, „an dieser Untersuchung mitzuwirken“. Klingt nach Sommermärchenstunde.

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