Der coole Herr Löw: Sonnen statt zittern

Sotschi - Morgens, halb zehn in Sotschi. Es hat knapp 30 Grad, die Sonne knallt runter. Ein Spaziergänger an der Strandpromenade direkt am Schwarzen Meer. Sonnenbrille, blaues T-Shirt, kurze Hose, weiße Sneaker, auf der Hose die Initialen "JL", für Joachim Löw.
Der Bundestrainer flaniert, posiert, grinst, lässt sich gerne fotografieren – ob bei Selfies oder von Profi-Fotografen. Superlässig. Top drauf. Er lebt Optimismus vor. Als wäre Mexiko nur ein fernes Urlaubsziel und stünde nicht für die erste WM-Auftaktpleite seit 36 Jahren.
Der Schwarzwälder genießt die Schwarzmeerluft, ist angetan vom Umzug der Nationalelf am Dienstag aus dem Moskauer Vorort Watutinki. Vom Garten des Hotels "Radisson Blu" kann er direkt zur Promenade, über den Fußgängerweg geht’s zum Strand.
So schön schrill sind die Fans der Fußball-WM
Erinnerungen an die WM 2014
Ein wenig Campo-Bahia-Feeling, Erinnerungen an das Bungalow-Camp, das eine der Grundlagen für den WM-Triumph 2014 war. "Licht und Wärme spielen natürlich eine gewisse Rolle. Es ist ein guter Break von Moskau", sagte Oliver Bierhoff am Mittwoch und betonte: "Ich bleibe aber dabei, dass Moskau die richtige Wahl für unser Quartier war, auch aus logistischer Sicht.
Das früheste WM-Aus aller Zeiten droht
Aber jetzt zählt sowieso die Leistung auf dem Platz. Das ist entscheidend." Denn: Es droht der Super-GAU, das früheste WM-Aus aller Zeiten. In der Vorrunde. Undenkbar vor dem Turnier und nun plötzlich lediglich 90 weitere schlechte Minuten entfernt.
"Natürlich wäre es ein Misserfolg, wenn wir ausscheiden", sagte Bierhoff, "aber das ändert nichts daran, was wir alle, besonders der Trainerstab, in den letzten 14 Jahren geleistet haben." Das war ihm wichtig zu betonen, dem Teammanager, grimmiger Blick auf den Fragesteller inklusive.
Seit Löw die Nationalelf im Anschluss an die Sommermärchen-WM 2006 von Jürgen Klinsmann übernahm, erreichte seine Mannschaft bei allen fünf großen Turnieren immer mindestens das Halbfinale. Aber: Jedes Mal hätte Deutschland auch in der Vorrunde ausscheiden können. In Russland ist die Situation brenzlig wie noch nie – auch weil Löw ab 2008 jedes Auftaktspiel gewinnen hatte.
Die AZ erinnert an die kniffligen Momente in den Gruppenphasen:
EM 2008:
Nach dem 0:1 im zweiten Spiel gegen Kroatien steht die DFB-Elf bei Löws erstem Turnier als Chefcoach gegen Gastgeber Österreich unter Druck. Eine Pleite wäre ein zweites Cordoba. Michael Ballack trifft per Freistoß in den Winkel. 1:0 – weiter. Am Ende Vize-Europameister.
WM 2010:
Parallele in Südafrika: Wieder ein 0:1 in Match zwei, diesmal gegen Serbien. Erneut droht bei einer Pleite, diesmal gegen Ghana, das vorzeitige Aus, wieder erlöst ein Spieler Löw und die Seinen: Diesmal ist es Mesut Özil, per Linksschuss. 1:0 – weiter. Und später Dritter.
EM 2012:
Nach Siegen gegen Portugal und Holland hat man sechs Punkte, kann aber bei einer Niederlage gegen Dänemark ausscheiden. Ein Rechen- und Nervenspiel. In der 83. Minute sorgt Lars Bender für Erleichterung. 2:1 – weiter. Bis zum Halbfinal-Aus.
WM 2014:
Auf das 4:0 gegen Portugal folgt ein 2:2 gegen Ghana. Besiegt US-Coach Klinsmann Löw im letzten Gruppenspiel besiegt, muss Deutschland abreisen. Thomas Müller trifft zum 1:0 – weiter ging’s, immer weiter. Bis zum Titel.
EM 2016:
Ein 0:0 gegen Polen sorgt für Druck trotz vier Punkten. Eine Pleite gegen Nordirland bedeutet: Au revoir, Frankreich nach der Vorrunde. Der Retter heißt Mario Gomez. Und ja, richtig, wieder 1:0 – weiter. Bis ins Halbfinale.
Zieht Jogi erneut den Kopf aus der Schlinge? Ein Sieg muss her gegen Schweden. 1:0 geht auch.
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