Das Kleindienst-Märchen: Aufstiegsheld, FC-Bayern-Schreck und bald WM-Teilnehmer?
München/Budapest - Manchmal hilft ein Blick zurück, um die aktuelle Situation, das derzeitige Glück zu verstehen. Fußball-Deutschland war und ist seit jeher eine Mittelstürmer-Nation in der Tradition von Gerd Müller, Miroslav Klose, Rudi Völler, Klaus Fischer, Uwe Seeler und und und.
Als die deutsche Nationalmannschaft im Juni 2022 das letzte Mal in Budapest gegen Gastgeber Ungarn antrat, im Vorrundenspiel der damaligen Nations-League-Gruppenphase, hieß die Mittelstürmer-Besetzung: Timo Werner. Unterstützt von der hängenden Spitze Kai Havertz. Werner wurde gegen Ende des 1:1 von Thomas Müller ersetzt. Werner, aktuell Ergänzungsspieler bei Tottenham Hotspur, erzielte immerhin 24 Länderspiel-Tore. Wahrscheinlich kommen keine weiteren hinzu, schließlich wurde er letztmals im Juni 2023 ins DFB-Team berufen. Unter Bundestrainer Julian Nagelsmann noch nie.
Mit Füllkrug begann beim DFB eine neue Mittelstürmer-Ära
Niclas Füllkrug hatte damals gerade seine dritte Saison bei Werder Bremen mit 19 Saisontreffern beendet, wurde von Hansi Flick erst kurz vor der Winter-WM in Katar nominiert. Mit dem spätberufenen "Fülle" begann eine neue Ära in der Mittelstürmer-Historie. Endlich wieder ein echter Neuner nach dem Abschied von Klose, der 2014 als Weltmeister zurücktrat. In der Folge konnten weder Mario Gómez (zumindest teilweise) noch Werner oder Havertz diese Rolle komplett ausfüllen.
Füllkrug (31), seit diesem Sommer bei West Ham United und aktuell wegen einer Achillessehnenverletzung außer Gefecht gesetzt, kam bis September auf 14 Tore in 22 Länderspielen. Eine ähnlich starke Quote als Mittelstürmer hat aktuell lediglich: Tim Kleindienst.
Auch Kleindienst hatte einen langen Weg ins DFB-Team
Noch so ein Spätberufener, der sein Nationalelf-Debüt mit erst 29 Jahren (wie Füllkrug) feierte. Noch so einer, der seinen Weg nicht über alle Junioren-Auswahlteams machte. Zwischen 2014 und 2016 absolvierte Kleindienst zehn Spiele für Deutschlands U20-Auswahl, damals in Diensten von Energie Cottbus und dem SC Freiburg. Danach verschwand er vom Radar der großen Bühnen, kickte in der Zweiten Liga. Beim 1. FC Heidenheim, inklusive einer Station im belgischen Gent. Dem Underdog Heidenheim verhalf er als Torschützenkönig 2022/23 zum erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga.
Nach einer bemerkenswerten Saison im Oberhaus samt eines Doppelpacks beim 3:2-Erfolg gegen den FC Bayern im April wechselte er im Sommer für sieben Mio. Euro Ablöse zu Borussia Mönchengladbach. Der Zwischenstand: sechs Tore in zehn Liga-Partien.
Viel wichtiger für den groß gewachsenen Kleindienst, geboren in Jüterbog, einer Kleinstadt in Brandenburg: das DFB-Debüt im Oktober beim 2:1 in Zenica gegen Bosnien-Herzegowina. Beim furiosen 7:0-Kantersieg letzten Samstag gegen Bosnien-Herzegowina erzielte er in seinem dritten Länderspiel die Treffer eins und zwei.
Die WM 2026 ist das große Ziel von Kleindienst
"Es ist für mich etwas ganz Besonderes, dass ich jetzt in diesem Kreis dabei sein darf", sagte der 29-Jährige: "Da ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Gerade, weil ich ja auch nicht mehr in den jüngeren Jahren stecke."
Großes Kino für Kleindienst - und das als Ersatz für Füllkrug. Oder auch Deniz Undav (28) vom VfB Stuttgart, ebenfalls verletzt. Der jedoch eher eine zweite hängende Spitze ist wie Havertz und lieber aus der Tiefe kommt.
Nagelsmann hat vor dem abschließenden Spiel der Nations-League-Gruppenphase in Budapest gegen Ungarn wieder mehr Auswahl auf der Mittelstürmer-Position. Und Linksfuß Kleindienst, der sich im "Kicker" als "umgänglichen Charakter, der keine Probleme macht" beschrieb, hat ein großes Ziel: Die Teilnahme an der WM in Nordamerika 2026. "Natürlich ist es ein Traum von mir, bei der WM dabei zu sein. Aber der Weg dorthin ist noch sehr weit für mich."
Womöglich nimmt Nagelsmann in zwei Jahren nur einen der beiden Mittelstürmer aus der Ü30-Fraktion mit: Füllkrug oder Kleindienst. Wenn sie Pech haben, heißt es dann: Es kann nur einen geben.