Christoph Daum: Ewige Ruhe für den Ruhelosen
Wann immer sich vor Christoph Daum ein Hindernis aufbaute, gab es für ihn nur einen Weg: Attacke, volle Kraft voraus, den Kopf nach unten nehmen und wie ein wilder Stier durch die Wand hindurch.
Je überlegener, je unbezwingbarer ein Gegner schien ‒ oder war ‒ umso mehr erwachte der Kampfgeist in Daum.
Nachruf auf Christoph Daum: Eine Legende verliert den Kampf
Im Angesicht des Abgrundes wich er nie zurück, sondern sprang höhnisch lachend hinein. So war er im Leben, so war er bis zu seinem Tod am Samstag. "Der Krebs hat sich den falschen Körper ausgesucht", betonte Daum, bei dem 2011 schon Hautkrebs diagnostiziert worden war und der seit 2022 einen am Ende aussichtslosen Kampf gegen Lungenkrebs führte.
23 Chemotherapien ließ Daum über sich entgehen. Sein Lachen, seinen Optimismus, seinen Kampfeswillen verlor er nie. Doch am Samstag verlor er den Kampf gegen diesen tödlichen Gegner.
Daum verstarb im Alter von 70 Jahren in Köln. Zuletzt hat ihm, der stets vor Energie sprühte, die Krankheit und die Chemotherapien fast alle Energie geraubt. Oft fand er vor Schmerzen keinen Schlaf mehr, selbst einfachste Tätigkeiten wurden zur Odyssee.
Bis zu diesem 24. August.
Nach Lemke: Die zweite Fußball-Ikone geht
"Christoph ist infolge seiner schweren Krebserkrankung friedlich im Kreise seiner Familie verstorben", teilten die Angehörigen mit. Damit hat der deutsche Fußball nach dem einstigen Werder-Manager Willi Lemke († 77) innerhalb von zwölf Tagen zwei seiner schillerndsten und streitbarsten Protagonisten verloren.
"Ich habe mir sicher nicht nur Freunde gemacht. Heute kann ich sagen, ich habe mit allen meinen Frieden geschlossen ‒ auch mit Uli Hoeneß", sagte Daum nach einem Treffen mit dem Bayern-Patron am Tegernsee. "Nur zwei große Persönlichkeiten können sich so bekämpfen", soll Hoeneß damals zu Daum gesagt haben.

Hoeneß macht Frieden mit dem Intimfeind
Auch jetzt fand der Bayern-Patron bewegende Worte für seinen langjährigen Intimfeind. "Daum ist sein Leben keinem Disput aus dem Weg gegangen, aber wir beide haben unseren Frieden gemacht, und die Nachricht von seinem Tod macht auch mich sehr betroffen", meinte Hoeneß.
"Daum hat mit seinem offenen Umgang mit der Krankheit vielen Betroffenen Mut gemacht. Den letzten Kampf konnte er nicht gewinnen, aber der deutsche Fußball wird ihn als einen Menschen in Erinnerung behalten, der immer alles gegeben hat ‒ für seine Vereine, seine Mannschaften und weit darüber hinaus."
Unvergessen der Zwist zwischen Hoeneß und Daum, der 1954 in Zwickau zur Welt gekommen ist, der erst bei den Großeltern aufwuchs und nach dem Tod des Vaters im Alter von sechs Jahren zur Mutter nach Duisburg kam, am 20. Mai 1989 im "aktuellen Sportstudio" ausgetragen haben.
Daum hatte sich im Vorfeld despektierlich über Bayern-Coach und Hoeneß-Freund Jupp Heynckes geäußert ("der könnte auch Werbung für Schlaftabletten machen"). "Ich glaube, du überschätzt dich hier maßlos. Du musst mal da oben schauen. Das ist ein Ball über dir, das ist kein Heiligenschein", polterte Hoeneß.
Daum konterte: "Um das Maß an Überschätzung zu erreichen wie du, muss ich 100 Jahre alt werden."
Daum prägt als Motivator
Das hat er nun nicht geschafft. Was Daum geschafft hat, war den Fußball zu revolutionieren. Taktisch, aber vor allem auch als Motivator. Als Trainer in Leverkusen ließ er die Spieler über Glasscherben laufen, um ihnen die Kraft der Gedanken zu demonstrieren.
In Köln klebte er 40.000 Mark an die Kabinentür, um die Meisterprämie "greifbar" zu machen. Daum feierte Erfolge. 1992 führte er den VfB Stuttgart zum Meistertitel, mit Besiktas Istanbul war er Meister und Pokalsieger, mit Fenerbahçe war er zwei Mal Meister, Austria Wien bescherte er Pokalsieg und Meisterschaft.
Kokain-Affäre gehört zu Daum
Doch sein Leben war auch von Tiefen gezeichnet. Der Begriff Vizekusen wurde in seiner Trainerzeit zum geflügelten Wort für Bayer Leverkusen. Aber vor allem ist der Drogenskandal 2000 untrennbar mit dem Namen Daum, der Bundestrainer werden sollte, verbunden.
Hoeneß ‒ wer sonst ‒ hatte in einem Interview mit der AZ den Stein ins Rollen gebracht. "Wenn die Gerüchte stimmen", hatte er zu den Gerüchten um den "verschnupften Daum" gesagt. Daum gab, um seine angebliche Unschuld zu beweisen, eine Haarprobe ab. "Ich tue dies, weil ich ein absolut reines Gewissen habe", verkündete er. Das Ergebnis: positiv auf Kokain.
"Ich hab mir das auch anders vorgestellt", sagte er bei einer Pressekonferenz danach und versuchte seinen tiefen Fall wegzulächeln. So war er eben: Volle Kraft voraus in die Wand, egal, ob man gewinnen kann ‒ oder nicht.
Ruhe für den Ruhelosen
Zuletzt war Daum viel nachdenklicher geworden. Er kämpfte gegen den Krebs, aber irgendwann wusste auch er, dass er diesen Gegner mit der schieren Kraft seines Willens nicht besiegen konnte.
Reiner Calmund, sein langjähriger Wegbegleiter bei Leverkusen, weinte, als er beim "Doppelpass" zugeschaltet wurde. "Wir beide waren Anfang des Jahres noch in Bangkok. Da haben wir den Leverkusen-Sieg gegen Bayern so richtig gefeiert", sagte Calmund, der das Gespräch abbrechen musste: "Entschuldigt mich bitte, ich bin tieftraurig, tschüss."
Im Mai war Daum noch bei Bild-TV zu Gast. Dort wurde er gefragt, was er sich wünsche, dass eines Tages auf seinem Grabstein stehen solle. Er nahm sich Zeit für die Antwort: "Jetzt ist er zur Ruhe gekommen." Ewige Ruhe für den Ruhelosen.