AZ-Interview: Jean-Pierre Papin hofft auf Frankreich als Weltmeister

München - Der einstige Stürmer des FC Bayern (1994 bis 1996) spielte von 1986 bis 1995 insgesamt 54 Mal für Frankreich, erzielte 30 Tore. Der Welttorjäger von 1991 belegte bei der WM 1986 mit Frankreich Rang drei.
AZ: Monsieur Papin, freuen Sie sich auf das WM-Halbfinale zwischen Frankreich und Belgien?
JEAN-PIERRE PAPIN: Natürlich. Sowohl für die Franzosen als auch für die Belgier ist es ein spezielles Spiel, eine Art Derby. Wir sind Nachbarn und seit etlichen Jahrzehnten herrscht zwischen beiden Ländern eine gewisse Rivalität. Ich bin sehr gespannt.
Wird es hart zur Sache gehen?
Das kann ich mir gut vorstellen. Fast alle Spieler kennen sich in- und auswendig. Dazu kommt, dass mit Thierry Henry einer der größten französischen Spieler aller Zeiten im Trainerstab der Belgier mitwirkt. Spielerisch wird es ein enges Match.
Jean-Pierre Papin: "Die Brasilianer waren für mich der absolute Top-Favorit"
Ist Frankreich der Favorit?
In meinen Augen gibt es keinen Favoriten. Wer Brasilien ausschaltet, muss ja richtig stark sein. Die Brasilianer waren für mich der absolute Top-Favorit, aber wie die Belgier verteidigt haben und ihre Konter ausgespielt haben, war Weltklasse. Das war von der Leidenschaft und von der Einstellung her nah an der Perfektion.
Und wie ist es mit den Franzosen?
Sie scheinen sich von Spiel zu Spiel zu steigern. Man steht im Halbfinale, obwohl Olivier Giroud in Russland noch kein einziges Tor erzielt hat und Antoine Griezmann weit von seiner Form bei der Europameisterschaft in Frankreich vor zwei Jahren entfernt ist. Das Spiel wäre eigentlich ein Traum-Endspiel gewesen.
Was könnte spielerisch die entscheidende Rolle spielen?
Beide Teams, insbesondere Frankreich, sind stark bei Standard-Situationen. Dadurch, dass sich die Spieler so gut kennen, wird auch womöglich das Glück eine entsprechende Rolle spielen. Die Mannschaft, die wacher und konzentrierter sein wird, wird ins Finale einziehen.
Beide Nationen verfügen auch über ein unglaubliches Potenzial in der Offensive. Sind Sie eher Fan vom Trio Griezmann/Giroud/Mbappé oder eher von Hazard/Lukaku/De Bruyne?
Das ist eine gute Frage. Beide Teams verfügen über unfassbar viel Talent in der Spitze. Was die drei Belgier gegen Brasilien am vergangenen Freitag geboten haben, war ein Leckerbissen. Sie ergänzen sich so gut wie perfekt: Hazard ist dank seiner Dribblings und seiner hervorragenden Technik kaum vom Ball zu trennen, Lukaku ist körperlich sehr robust, aber gleichzeitig auch schnell und treffsicher, und De Bruyne kann jederzeit durch eine Einzel-Aktion für die entscheidende Szene des Spiels sorgen.
Jean-Pierre Papin: "Deschamps macht einen hervorragenden Job"
Und bei Frankreich?
Ich bin insbesondere von Kylian Mbappé verblüfft. Vor nicht einmal zwei Jahren war er noch völlig unbekannt und nun ist er bereits vielleicht der künftige Weltfußballer. In der Équipe Tricolore ist er mit erst 19 Jahren bereits eine feste Größe. Seine Kaltschnäuzigkeit und seine Coolness sind beeindruckend. Er ist bereits sehr reif und alles, was auf ihn einprasselt, lässt ihn völlig kalt. Nationaltrainer Didier Deschamps kann nicht mehr auf ihn verzichten, weil er einfach ein Ausnahme-Spieler ist. Wie er die argentinische Abwehrreihe im Achtelfinale durcheinandergebracht hat, war allererste Sahne. Gegen Belgien wird er eine sehr wichtige Rolle einnehmen, vor allem mit der Tatsache, dass die belgischen Verteidiger nicht unbedingt die Schnellsten sind.
Herrscht in Frankreich gerade eine gewisse Euphorie?
Absolut. Es begann langsam nach dem 4:3-Sieg gegen Argentinien, aber seit dem Halbfinal-Einzug durch das 2:0 gegen Uruguay gibt es kein Halten mehr. Es erinnert uns an 1998, als Frankreich zu Hause zum ersten und bisher einzigen Mal Weltmeister wurde.
Hand aufs Franzosen-Herz: Wird die Équipe Tricolore Weltmeister?
Wenn man sich die Entwicklung dieser Mannschaft in den letzten Jahren genau anschaut, dann wäre es verdient. Von den vier restlichen Mannschaften ist die Équipe de France die einzige, die zuletzt konstant spielte: Bei der EM 2012 und der WM 2014 kam man bis ins Viertelfinale und bei der Heim-EM 2016 scheiterte man im Finale knapp an Portugal. Didier Deschamps macht seit sechs Jahren einen hervorragenden Job und ihm ist es gelungen, das Image unserer Nationalmannschaft nach der Blamage 2010 in Südafrika (als die Spieler eine Trainingseinheit bestreikt hatten und Stürmer Nicolas Anelka Nationalcoach Raymond Domenech aufs Übelste beschimpft hatte, d. Red.) wieder aufzupolieren.
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