Angerer vs. Solo: Freigeist gegen Skandal-Frau

Das Halbfinale bei dieser Frauen-WM zwischen Deutschland und den USA ist auch das Duell zweier Ausnahmekeeperinnen: Nadine Angerer und Hope Solo. Der Freigeist gegen die Skandal-Frau.
Matthias Kerber |
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Zwei Damen in grün, zwei Nummer 1-Spielerinnen: Deutschlands Torfrau Nadine Angererer und die Amerikanerin Hope Solo (r.).
dpa/az Zwei Damen in grün, zwei Nummer 1-Spielerinnen: Deutschlands Torfrau Nadine Angererer und die Amerikanerin Hope Solo (r.).

Montrèal - Sie sind die Gesichter, die Protagonistinnen des Frauenfußballs. Auf der einen Seite Deutschlands herausragende Hüterin der Unbeflecktheit des Tores, die schwarz-rot-goldene Wand in Menschengestalt: Nadine Angerer.

Auf der anderen Seite die Repräsentantin des amerikanischen Traums, das dauerlächelnde Glamour-Girl Hope Solo. Das Halbfinale bei dieser WM in Kanada seit 423 Minuten ohne Gegentor ist, haben es geschafft, mit Leistung, mit Können, mit Persönlichkeit, zu Stars zu werden, die auch außerhalb der Laudatoren ihrer Profession die Herzen bewegen.

Es sind Stars, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Solo (33), das Sexsymbol, immer makellos geschminkt, mit katzenhaften Bewegungen, die sich so gerne im Rampenlicht bewegt, die in der Tanz-Show „Let’s Dance“ die Hüften schwingen lässt, die sich gerne freizügig gibt, die immer wieder für Skandal und Ausraster gut ist, die als Ich-AG rüberkommt.

Angerer hingegen ist keine, die sich in den Vordergrund drängt. Ein bisschen herb, ein bisschen spröde wirkt die 36-Jährige mit ihren kräftigen, eckigen Bewegungen, doch sie hat einen feinen Humor. So erklärte sie etwa vor dem Viertelfinale gegen Frankreich, bei dem sie wieder als Elferkillerin zur Matchwinnerin avancierte, ihren Teamkolleginnen, dass Deutschland unmöglich ausscheiden könne. Warum, wollte die kickende Damen-Riege wissen. „Weil mein Shampoo noch nicht aufgebraucht ist“, die staubtrockene Antwort Angerers.

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Während Solo, wie bei der WM 2007, als sie nach dem Halbfinal-Aus über Torhüterin Briana Scurry ablästerte und erklärte, sie hätte einige der Tore bei dem 0:4 gehalten, ein Team spalten kann, ist Angerer so etwas wie die gute Seele des Teams. Sie motiviert, sie baut auf, sie reicht die helfende Hand. Eine Hand, mit der sie aber auch mal auf den Tisch hauen kann, wenn nötig. Wie nach dem schwachen Auftritt gegen Thailand, als sie eine interne Aussprache ansetzte. „Hope ist eine Super-Torhüterin, was sie privat macht, interessiert mich nicht“, sagt Angerer über Solo.

Angerer ist ein echter Freigeist. Sie, die ihre Karriere als Stürmerin beim ASV Hofstetten begann, trägt gerne Second-Hand-Klamotten, Mütze oder Hut ist bei ihr obligatorisch, ihre Wohnung hatte sie mit Sperrmüll eingerichtet. 2010 bekannte sie sich zu ihrer Homosexualität. „Ich mag Männer und Frauen. Ich habe viel Spaß mit Männern gehabt, aber lieben tue ich nur Frauen“, sagt Angerer. Die Biografie „Im richtigen Moment. Meine Story“ aber erklärte, nie etwas mit einer Mitspielerin gehabt zu haben: „Never f**k the company.“

Zum Fußball bekannte sie sich erst spät voll und ganz. Sie liebte Handball, sie liebte Fußball. Beides ging irgendwann nicht mehr. Also schrieb sie beide Worte auf Zettel und ließ das Los entscheiden: Fußball. Ihr chaotischer Lebensstil, sie öffnete die Post wochenlang nicht, brachte ihr manch Ärger ein. Aber so war sie eben, die Natze, wie sie seit Kindertagen nur gerufen wird. Doch 1998 bekam sie von Bundestrainerin Tina Theune einen gewaltigen Einlauf. „Natze, du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder, du nimmst deinen Sport jetzt ernst und wirst die beste Torhüterin der Welt – oder du fliegst raus.“

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Sie nahm es – zum Glück für Frauenfußball-Deutschland – ernst. Weltmeisterin 2003 und 2007, Europameisterin 1997, 2001, 2005, 2009, 2013, Bronze bei Olympia 2000, 2004 und 2008. Dazu Weltfußballerin 2013 und Europas Fußballerin des Jahres im gleichen Jahr. Nach der WM wird sie die DFB-Karriere beenden. Nach dem Elferkrimi im Viertelfinale gegen Frankreich bekannte sie: „Ich bin langsam zu alt für so was.“ Und sie hat schon Pläne für die Zukunft. Sie will mit ihrem Bully nach Kapstadt in Südafrika fahren und dort natürlich auch tauchen. Denn das ist ihr großes Hobby. „Ich bin süchtig danach“, erklärt Angerer und meint weiter: „Ich will einfach nur ich sein.“

Das Ich-Sein war für Hope Solo nie leicht. Hinter der Glamour-Fassade verbirgt sie eine Lebensgeschichte voller Dramen, Tragödien, Lügen. Gezeugt wurde Hope im Staatsgefängnis von Walla Walla. Ihre Mutter, eine Alkoholikerin, hatte Ehemann Jeffrey John Solo, einen Vietnam-Veteran mit Totenkopf-Tattoo auf dem Arm, dort besucht und das Gastrecht sehr liberal ausgelegt. Der Vater war ein Hochstapler, der Schecks fälschte und auch sonst das Gesetz nicht immer im Wortsinne auslegte. Er war wegen Besitzes von Diebesgut, wegen eines gemeinschaftlichen Raubüberfalls vorbestraft. Später wurde der Vater obdachlos.

2007 verstarb er. Seitdem trägt Solo seine Asche bei sich. Bei der WM in China schüttete sie einen kleinen Teil der Asche in ihren Handschuh. „Auf dem Weg in mein Tor bekreuzigte ich mich, küsste die Faust, öffnete den Handschuh und ließ die Asche rausrieseln. Meine Worte bei der Trauerfeier waren ernst: Mein Vater würde immer mit mir im Tor stehen“, offenbarte sie, die ihre Karriere auch als Stürmerin begonnen hatte, in ihrer Autobiografie „Mein Leben als Hope Solo“.

Solo führte selber ein unstetes Leben, sie klaute ihrer Mutter die Schnapsflaschen, versorgte damit die Parties. Sie war wild. „Ich hatte was mit Dutzenden Männern, manchmal mit mehreren zugleich.“ Ende 2012 wollte sie in den Hafen der Ehe einsegeln, doch sie landete vor Gericht. Ihr Auserwählter, Ex-Footballer Jerramy Stevens, war verhaftet worden, weil er Hope im alkoholisierten Zustand angegriffen und verprügelt haben soll. Nach einem Familienstreit war Solo 2014 wegen des Vorwurfs häuslicher Gewalt kurzzeitig sogar im Gefängnis, ein halbes Jahr später war das Verfahren eingestellt worden. Jetzt gibt es aber brisante Details, nach denen sie nicht Opfer, sondern Hauptaggressor der Auseinandersetzung mit ihrer Halbschwester und deren Sohn gewesen sein soll.

Nationaltrainerin Jill Ellis hielt trotzdem stets zu ihr – bis Ehemann Stevens während eines Trainingslagers mit Solo auf dem Beifahrersitz wegen Trunkenheit am Steuer eines US-Teamvans festgenommen wurde. Solo wurde für 30 Tage gesperrt. Rechtzeitig zur WM ist sie nun wieder da. Zum Showdown mit Angerer. Wo die Natze die Hoffnung herausfordert.

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