Zu viele Künstler, zu wenige Kämpfer: Hat Hamann mit seiner Kritik am FC Bayern recht?

München - Didi Hamann war eine Arbeitsbiene im Mittelfeld. Ein Kämpfer, der das Spiel aus der Tiefe ankurbelte, Bälle nach vorne schleppte. Trotz seiner 1,91 m Körpergröße und seiner langen Gräten hatte er viele technische Elemente in seinem Spiel.
Dennoch: Hamann, der von 1993 bis 1998 143 Pflichtspiele für den FC Bayern absolvierte und danach in der Premier League für Newcastle, Liverpool und Manchester City auflief, gehörte eher in die Kategorie Kämpfer – und aus dieser Perspektive argumentiert der heute 48-Jährige, wenn er den runderneuerten Kader des FC Bayern analysiert.
In einer Medienrunde von Sky behauptete der Experte des Senders: "Zu viele Künstler sind nicht gut. Ich habe das Gefühl, dass die Bayern davon den einen oder anderen zu viel haben." Laut Hamann hätten die Münchner zwar "gut eingekauft – vom Papier und von den Namen her. Nur du brauchst auch Wasserträger und Arbeiter. Du kannst nicht nur Spieler haben, die vorneweg gehen wollen und sagen: Ich bin der Mann. Ob sie da die Mischung hinbekommen, bin ich gespannt."
Namen nannte er keine, verwies jedoch auf das Interesse der Bayern an Leipzigs "Pressingmaschine" (O-Ton Julian Nagelsmann) Konrad Laimer. Als Beispiel verwies er auf Salih Özcan, den Borussia Dortmund vom 1. FC Köln holte. "Özcan selbst oder zumindest diesen Spielertypen, einen Arbeiter, hätte ich mir auch für Bayern gewünscht. Du brauchst diese Spieler, diesen Mix."
Hat Hamann recht? Leiden – in Anführungszeichen – die Bayern tatsächlich an einem Überangebot an Künstlern und Zauberern? Sind die Spieler, die mehr über ihre Technik und die Show kommen, im Vergleich zu den hemdsärmeligen Haudegen, die den Fußball "nur arbeiten", in der Überzahl?
Die AZ macht den Kader-Check. Und – kleiner Spoiler – Hamann hat die Didi-Brille auf.
Die Künstler des FC Bayern

Hier ist an erster Stelle Leroy Sané zu nennen. Ein begnadeter Techniker, dessen Körpersprache und Attitüde jedoch sichtbar sein müssen auf dem Platz. Wenn er nach Ballverlusten, die bei Spielern mit erhöhtem Risikomanagement einkalkuliert sind, stehenbleibt und dem Gegenspieler nicht hinterherrennt, erzürnt das Nagelsmann und die Fans.
Doch auch Sané kann fighten. Dies hat er vergangene Saison nur in der Hinrunde, nicht mehr in der Rückrunde gezeigt. Da ist noch Jamal Musiala, der wohl feinste Techniker des Kaders, der sich trotz seines ausbaufähigen Kampfgewichts auch im Maschinenraum des Spiels behaupten kann. Er geht Zweikämpfen spielerisch aus dem Weg – im wahrsten Sinne des Wortes.
Kingsley Coman sprintet und dribbelt den Flügel entlang wie kaum ein anderer in Europa, dafür ist das Spiel von Serge Gnabry wuchtiger, zentraler und zielstrebiger.
Was ist mit Neuzugang Sadio Mané? Der variable Stürmer traf gleich im ersten Training per Fallrückzieher, wurde für Tore und Tricks vom FC Liverpool verpflichtet. Doch bei Mané, stets super austrainiert, stimmt auch der Kämpfer-Faktor, er spielt mannschaftsdienlicher als der zum FC Barcelona abgehauene Robert Lewandowski.
Die Kämpfer des FC Bayern

Davon gibt es gar nicht so wenige wie Hamann vermutet. Bei genauerer Draufsicht kann man nicht nur Muskelpakete wie Leon Goretzka ausmachen, der nach seiner Knie-OP vor seiner Reha mit Comeback-Ziel begonnen hat.
Joshua Kimmich, der Sechser, kommt eher über Mentalität und Ballgewinne, auch wenn er im Spiel nach vorne gerne künstlerisch wertvolle Chip-Bälle in den Strafraum einstreut.
Und sonst? Auch der als Abwehrchef auserkorene Matthijs de Ligt ist ebenso von robuster Bauweise und Spielart wie Innenverteidiger Lucas Hernández, an dem die Gegenspieler auch wegen seiner Tattoos abprallen.
Der Zwitter

Gemeint ist der Müller Thomas. Nicht in eine der Kategorien einzuordnen. Kein filigraner Techniker (das weiß er!), kein superrobuster Arbeiter (wie auch, bei der Figur!). Der Schlaks, der Hamanns Gräten eine Nummer kleiner geerbt hat, ist weder Künstler noch Kämpfer, dafür seit zig Jahren schlicht: Weltklasse. Als Vorlagenkönig und Spielertrainer auf dem Platz.