Wolfgang Niedecken: "Ich bin Fußballromantiker"

Der mittlerweile 65-jährige Niedecken ist Gründer und Frontmann der Kölner Kultband BAP.
AZ: Herr Niedecken, am Samstag kommt der FC Bayern nach Köln. Der Karneval ist vorbei – endet jetzt auch der fußballerische Kater?
WOLFGANG NIEDECKEN: Letztes Mal haben wir zwar 0:1 verloren, die Bayern haben aber die ganze zweite Halbzeit auf Zeit spielen müssen. Vor ein paar Jahren wäre das noch so ein Ding im Vorbeigehen für die gewesen. Eben mal kurz 'ne Packung raushauen und das war’s dann.
Werden Sie im Stadion sein?
Ist denn der Papst katholisch? In den neunzig Minuten, in denen der FC spielt, muss mir keiner mit irgendwas kommen, dann bin ich total FC, kann auch an gar nichts anderes denken. Wenn ein Auswärtsspiel ist, ruft mich in der Halbzeit manchmal ein guter Freund an, der über die erste Hälfte reden will. Ansonsten stört mich da keiner. In meinem Umfeld weiß das jeder: Da hat er 'ne Auszeit.
Wie sind Ihre Erwartungen jetzt für das Spiel?
Ich glaube nicht, dass wir mehr als einen Punkt holen können. Vor allem nach der bayrischen Torflut gegen Hamburg und Schalke. Außerdem sind wir stark ersatzgeschwächt und dass sich Hector, unser einziger Nationalspieler, gegen Leipzig die fünfte Gelbe Karte geholt hat, stimmt mich auch nicht gerade euphorisch. Aber drin ist alles, vor allem dann, wenn man nicht damit rechnet. Bayern München ist die weltbeste Mannschaft. Ich bin übrigens auch kein Bayern-Hasser. Ich sehe sie sehr gerne spielen. Außerdem kommt meine Frau aus Bayern.
Liveticker zum Nachlesen: Ancelotti vor dem Auswärtsspiel beim 1. FC Köln
Werden die Münchner in Köln, beim Real Madrid vom Rhein, besonders motiviert sein?
Das muss man immer schön in Anführungszeichen sehen. Die Bezeichnung kam damals in der Presse auf, als der FC in weißen Trikots gespielt hat. Und es gab Leute, die das auch noch geglaubt haben.
Die Transfersummen in Köln bewegen sich ja schon fast in Real-Madrid-Dimensionen. Der FC hat gerade ein 50-Millionen-Angebot für Stürmer Anthony Modeste abgelehnt.
Da geben sich schon einige größte Mühe, die Preise komplett kaputtzumachen. Das kennt man eigentlich von den Oligarchen aus England, die die Bundesliga leerkaufen wollen. Wenn das mit den Chinesen auch noch so weitergeht, ist das nicht gut für den Fußball. Gott sei Dank ist der FC bei den 50 Millionen hart geblieben.
Der FC verlor 1:3 in Leipzig. Wie stehen Sie als Fan eines Traditionsvereins zu RB?
Man hat den Osten nach der Wende leergekauft und so den Vereinen dort gar keine Chance mehr gegeben. Und dann kommt jemand, der sagt: Jetzt investieren wir da mal. Übrigens nicht aus reiner Nächstenliebe. Das ist ein perfekter Standort, den sich die Red-Bull-Leute da ausgesucht haben. Jetzt schaffen sie es mit jungen Spielern und ohne großen Namen tatsächlich, die Bayern-Jäger zu sein. Davor muss man Respekt haben. Ich sehe Leipzig mit seinem erfrischenden Fußball auch gerne spielen. Auf der anderen Seite bin ich fußballromantisch veranlagt, die Welt ist aber eine andere. Darin gibt es eben auch einen sehr gut geführten Rasen-Ballsport-Verein in Leipzig, der mit viel Geld zusammengestellt wurde. Wir müssen irgendwie unseren Frieden damit machen.
In Ihrem Song "Woröm dunn ich mir dat eijentlich ahn?" heißt's, drei Sachen könne man sich nicht aussuchen: "Vatter un Mutter un – wat willste maache – dä Klub, mit dem man leiden muss".
Mir ist der 1. FC Köln in die Wiege gelegt worden. Ich kann mich noch erinnern, dass ich auf dem Wohnzimmerteppich mit meinen Matchbox-Autos gespielt habe, während mein Vater und mein großer Bruder die Radio-Übertragungen vom 1. FC Köln gehört haben. Da kam immer Hans Schäfer vor – der Fußballheld meiner Kindheit. Die wenigen Spiele, die der FC da verloren hat, haben wir auf der Straße nachgespielt und dann gewonnen – ich war immer Hans Schäfer.
Er hat's mir schonend beigebracht. Wir waren mit BAP gerade auf dem Weg nach Elba, um für Aufnahmen zu proben. Da rief er eine Viertelstunde nach dem Spiel auf meinem Handy an und sagte wörtlich: "Du Wolferl, wir haben's nimmer packt." Das war schon groß von ihm. Als der Toni in Köln war, hatten wir viel miteinander zu tun. Wir sind immer noch gut befreundet.
Sie leiden mit Ihrem Klub, der FC half Ihnen nach Ihrem Schlaganfall 2011.
Die rührendste Szene für mich war, als im Stadion vor der Südkurve ein Banner ausgerollt wurde, auf dem stand: "Weed flöck widder jesund, Wolfgang", also "werde schnell wieder gesund." Das hat mich geflext, dass die Fans da an mich gedacht haben. Das hätte ich nie für möglich gehalten und hat auch etwas mit Familie zu tun.