Warum Hernández und Tolisso plötzlich wichtig werden
München - Allzu groß ist die Trainingsgruppe, mit der Hansi Flick seit Montag die Vorbereitungswoche für den Bundesligaauftakt am Freitag (20.30 Uhr, ZDF, Sky und im AZ-Liveticker) gegen Schalke bestreitet, nicht. Zumindest die Anzahl der gestandenen Profis könnte nach Flicks Geschmack größer sein. Zu dieser Kategorie zählen aktuell lediglich 16 Trainingsteilnehmer, darunter Thiago, Javi Martínez, deren Abschied nur eine Frage der Ablösesumme ist, sowie David Alaba, bei dem ein Wechsel nicht auszuschließen ist. Mit Michael Cuisance, Joshua Zirkzee, Adrian Fein kommen zwar zahlreiche Toptalente hinzu, die ihre Bayerntauglichkeit aber erst noch beweisen müssen.
Verständlich, dass sich Bayerns Chefcoach deshalb noch einen Rechtsverteidiger, einen Flügelspieler sowie - sofern Thiago verkauft wird - einen zentralen Mittelfeldmann als Verstärkungen wünscht. Dass ihm diese Wünsche erfüllt werden, ist fraglich. "Es fehlt gar keiner", sagte Uli Hoeneß am Sonntag im "Sport1-Doppelpass". "Die anderen haben dieselbe Belastung. Bei denen sehe ich auch keine großen Transfers", führte Bayerns Ehrenpräsident aus: "Barcelona hat kein Geld, Real Madrid hat kein Geld, Manchester City hat auch kaum etwas gemacht. Und wir sind Champions-League-Sieger."
Hoeneß will auf Jugend bauen
Man habe jetzt "Zeit für die nächsten Jahre", findet Hoeneß, "dazu so ein gutes Nachwuchsleistungszentrum. Wenn wir immer nur etablierte Spieler holen, bekommen die jungen überhaupt keine Chance." Jetzt, wo man drei Titel geholt habe, "darf man auch experimentieren". Klingt nicht nach sich anbahnenden Toptransfers. Oder alles nur Poker, um die Preise für Sergino Dest und Co., die bei Bayern gehandelt werden, nicht in die Höhe zu treiben? Unter Druck sieht Hoeneß die Bayern jedenfalls nicht: "Wenn wir Weihnachten merken, es reicht nicht, können wir immer noch Lücken schließen."
Auch die Vereins-Bosse wissen, dass es in der Wintertransferperiode mitten in der Saison viel schwieriger ist, einen Topspieler zu verpflichten. Möglicherweise ist das gar nicht nötig und die erhoffte Verstärkung der Triple-Mannschaft bereits da. Im Kontext des wahrscheinlichen Thiago-Wechsels erinnerte Hoeneß neben dessen designierten Erben Joshua Kimmich und Leon Goretzka an eine weitere Alternative, die der Kader bereits bietet. "Wir haben noch Tolisso, der zwei Jahre durch Verletzungen zurückgeworfen wurde", sagte der 68-Jährige: "Da sind wir gut aufgestellt im Mittelfeld."
Vor ein paar Monaten galt Corentin Tolisso noch als Verkaufskandidat. Nun ist der Franzose, der 2017 für 41,5 Millionen aus Lyon kam und sich nach der WM 2018 das Kreuzband gerissen hatte, plötzlich Hoffnungsträger. Und könnte, sofern er seine Bestform endlich wieder erreicht, in die Lücke stoßen, die Thiago wohl hinterlassen wird. Das würde ihm Sky-Experte Lothar Matthäus zumindest zutrauen. "Flick würde sich noch über den ein oder anderen fertigen Spieler mit internationaler Erfahrung freuen", glaubt der Ex-Bayern-Kapitän zwar, "aber man darf eins nicht vergessen: Bayern hat mit Hernández und Tolisso zwei Weltmeister, die in den letzten zwölf Monaten nicht so zur Verfügung gestanden haben, wie man sich das gewünscht hat." Die beiden seien quasi "wie zwei Neuzugänge". Gleich doppelte weltmeisterliche Verstärkung also.
Hernández-Zukunft hängt von Alaba ab
Lucas Hernández, 24, war 2019 für 80 Millionen von Atlético Madrid gekommen. Die Erwartungen, die er als Rekordtransfer weckte, konnte er auch aufgrund von Verletzungen bisher nicht erfüllen. Nun kommt er weder an Linksverteidiger-Entdeckung Alphonso Davies noch an Abwehrboss Alaba vorbei. Im Vertragspoker mit Alaba hat Bayern mit ihm nun einen Trumpf in der Hinterhand. Ein Abschied Alabas wäre die Chance für Hernández, sich in München zu beweisen. Bleibt Alaba, bleibt es schwierig.
"Ich habe hier noch vier Jahre Vertrag", sagte Hernández "Téléfoot" zu den Gerüchten um einen möglichen Abschied, "aber es kommt auf die kommende Saison an. Wenn es weiterhin so kompliziert ist, werde ich sehen."