Von Fans für Fans: Wie ein Mann den FC Bayern erfand

München – Die Würdigung erfolgt ganz am Ende, im Abspann des Filmes, auf der letzten Tafel: „Es war die Fangruppe ,Schickeria’, die Kurt Landauer der Welt wieder in Erinnerung rief“.
Dieser Dank ist einer Ultra-Gruppierung des FC Bayern München gewidmet. Das sind jene Fans, die einst wegen gewalttätiger Ausschreitungen in Verruf gerieten und sich über Jahre mit ihrem Herzensverein zofften. Sie waren es, die den ARD-Spielfilm „Landauer. Der Präsident“, zu sehen am 15. Oktober um 20.15 Uhr in der ARD, überhaupt erst möglich gemacht haben.
Er kehrt zurück, obwohl seine ganze Familie ermordet worden war
Der Kaufmann Kurt Landauer, gespielt von Josef Bierbichler, ist der Erfinder des FC Bayern. Als Präsident führte er seine Roten 1932 zur ersten Deutschen Meisterschaft. Weil er Jude war, wurde er von den Nationalsozialisten verfolgt und im KZ Dachau interniert. Als ausgezeichneter Erster-Weltkriegskämpfer wurde er kurz wieder frei gelassen. Um sein Leben zu retten, floh er in die Schweiz. Drei seiner Geschwister überlebten den Holocaust nicht.
„Ein bayerischer Jude, der seine ganze Familie verliert und nach München zurückkehrt und den Verein wieder aufbaut – das ist Schindlers Liste in Bayerisch“, sagt Regisseur Hans Steinbichler.
Der Film handelt von der Zeit ab 1947, als Landauer aus Genf zurück ins zerbombte München kommt und trotz aller Hindernisse (die US-amerikanischen Besatzer wollten keine Vereinsgründungen lizenzieren) versucht, den Verein, der mittlerweile pleite ist, wieder aufzubauen. Landauer setzt sich gegen alle Widerstände durch, treibt das nötige Geld auf – zum Teil sein eigenes. Der Anfang einer Erfolgsgeschichte, die jedoch beim FC Bayern lange in Vergessenheit geraten war.
Fußballfans wälzten Bücher und büffelten in Archiven
„Es waren tatsächlich die Fans, die Kurt Landauer durch ihr Engagement wiederentdeckt und ausgegraben haben“ sagt Cornelius Conrad vom BR, der Redakteur des Films. „Denn die ersten Recherchen gehen auf das Konto der ,Schickeria’ und des ,Club Nr. 12’, also der Hardcore-Fans. Wir haben uns dann dem Thema angenommen, Regisseur Hans Steinbichler hat ihm ein filmisches Denkmal gesetzt.“
Wie dieser Doppelpass zustande kam, erklärt Gregor Weinreich, Vorsitzender des „Club Nr. 12“, der aktiven Vereinigung von Bayern-Fans: „Vor etwa 15 Jahren haben sich immer mehr Fans für die Vergangenheit unseres Vereins interessiert. Plötzlich grub man das alte Bayern-Logo wieder aus und verwendete es für Fanartikel.“
Aus dem Spleen einiger weniger wurde ein Trend. Damals hatten andere Vereine wie der Hamburger SV ein Vereinsmuseum, der FC Bayern noch nicht. Bei den Recherchen setzten sich die Bayern-Fans ins Stadtarchiv, neben die Studenten, um Bücher zu wälzen und historische Dokumente zu sichten. „Dabei stolperten sie immer wieder über den früheren Präsidenten“, erzählt Weinreich. Der ,Club Nr. 12 gründete eine Landauer-Arbeitsgruppe. Der Anfang vom Hype.
Für den Bayerischen Rundfunk war die Initialzündung zur Film-Idee eine Choreographie von Bayern-Fans im Oktober 2009. Der Anlass: Landauers 125. Geburtstag. Auf den Spruchbändern stand:„Der FC Bayern war sein Leben – nichts und niemand konnte das ändern!“
Rummenigge: „Ich habe damals nie was von Landauer gehört“
Der BR beauftragte Dirk Kämper, das Drehbuch zu schreiben. „Kämper hat alle möglichen Quellen angezapft - viele gab es ja nicht“, sagt Conrad, „zunächst hat er sich auch aus den Recherchen der Fans bedient. Wie die Fans ging er dann auch ins Stadtarchiv und durchforstete alte Vereinsregister.“
Der FC Bayern war begeistert von der Filmidee, besonders Uli Hoeneß. „Er hat viele Vorschläge gemacht“, sagt Conrad, „etwa, dass Jugendspieler im Film mitmachen könnten oder gar aktuelle Profis.“
Dazu kam es aber nicht, der Verein unterstützte die Produktion bei der Suche nach Komparsen.
Nun zeigt der Film einer breiten Öffentlichkeit die bisher unbekannte Vergangenheit des Rekordmeisters. „Ich bin sehr glücklich, dass Kurt Landauer diese Ehre zuteil wird, weil er aus den Geschichtsbüchern des FC Bayern verschwunden war“, sagt Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. „Ich habe von 1974 bis 1984 für Bayern gespielt und in diesen zehn Jahren ist mir der Name nicht ein Mal über den Weg gelaufen.
Mittlerweile ernannte man den 1961 Verstorbenen postum noch zum Ehrenpräsidenten. Mit diesem Titel wurden bisher nur Wilhelm Neudecker und Franz Beckenbauer ausgezeichnet. In einer groß angelegten Stadionchoreographie erinnerten Bayerns Fans im Februar an Landauer mit dessen Zitat: „Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen.“
Für diese Aktion wurden die Ultras vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet. „Die Choreografien und andere Aktionen haben viele Fußball-Fans für dieses Thema sensibilisiert“, lobte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Der Landauer-Kult in München wuchs. 2005 beschloss der Kommunalausschuss des Stadtrats, den Rettungsweg an der Allianz-Arena „Kurt-Landauer-Weg“ zu nennen. Die Fans hatten darauf gedrängt – und sich mehr erhofft. Die Arena im Norden Münchens sollte gar in „Stadion am Kurt-Landauer-Weg“ umbenannt wird. Weinreich: „Das war total naiv.“ Mittlerweile gibt es jedoch einen „Kurt-Landauer-Platz“ - auf dem Gelände des jüdischen Sportverein TSV Maccabi München. Seit 2006 richtet die „Schickeria“, von denen einige Mitglieder wegen Ausschreitungen noch Stadionverbote haben, ein Fußballturnier um den „Kurt-Landauer-Pokal“ aus.
„Für mich ist Landauer sehr eng mit Bayern München verbunden. Das, was ich als Bayern München wahrnehme, wovon ich Fan bin, wofür ich mich engagiere“, sagt „Schickeria“-Mitglied Simon Müller, „eine Positionierung gegen Rassismus erfolgt von uns schon aufgrund des Menschenverstandes. Aber auch die Verfolgung von Kurt Landauer ist für uns zusätzliche Motivation, sich gegen Nazis, Faschismus und Rassismus und zu engagieren.“ Die Gruppierung hängte Banner in der Kurve auf mit der Botschaft: „Kein Fußball den Faschisten!“ - und zum 9. November 2013: „75 Jahre nach den Novemberpogromen – nichts und niemand ist vergessen“.
Das Konterfei Landauers ist in München mittlerweile ein Begriff, bei einer Preview in einem Münchner Kino erschien kürzlich die komplette Regionalliga-Mannschaft des FC Bayern. „In der Südkurve stehen heute mehr Fans mit Landauer-Shirts herum als zum Beispiel mit Mario Götze drauf“, sagt Weinreich vom ,Club Nr. 12’, „nichts gegen Götze, aber ich finde das sehr sympathisch.“
Und Philipp Lahm, Bayern-Kapitän, sagt: „Kurt Landauer ist einer der Gründerväter des FC Bayern. Ohne sein Wirken vor und nach dem Zweiten Weltkrieg stünde der Verein nicht da, wo er jetzt ist. Noch kennt ihn kaum jemand, aber das wird der Film ändern.“ Dank der Ultras.
Film und Rahmenprgramm
Mittwoch (15.10.2014):
20.15 Uhr, ARD: „Landauer – Der Präsident“ (Regie: Hans Steinbichler);
22 Uhr, Bayerisches Fernsehen: die Dokumentation: „Landauer – gefeiert, verbannt, vergessen“;
22.30 Uhr: „Landauer, der Talk“