Pep Guardiola und die Leidenschaftsmonster
München - Auch wenn man es vielleicht nicht glauben mag: Es gibt sie wirklich, die Parallelen zwischen Bayerntrainer Pep Guardiola und Diego Simeone, dem Trainer von Atlético Madrid. Guardiola und Simeone sind beide 45 Jahre alt, sie sind Dressmen, die sich ihre Anzüge auf die noch immer gut trainierten Körper schneidern lassen, beide waren herausragende Spieler im zentralen Mittelfeld, und beide haben Erfolg als Trainer.
Doch genau da enden die Gemeinsamkeiten dann auch schon: Bei der Art und Weise, wie Guardiola und Simeone ihre Mannschaften zu Erfolgsteams formen. Unterschiedlicher könnte das nicht sein. Hier der Ästhet Pep, dem das schöne Spiel und die perfekte Umsetzung seiner Ideen schon mal wichtiger sind als das Ergebnis; dort der Arbeiter Simeone, der manchmal eher „Fan“ denn Trainer ist, wie Guardiola am Freitag ziemlich treffend anmerkte, der 90 Minuten alles versucht, um den Schiedsrichter zu beeinflussen, die gegnerische Bank zu irritieren (fragen Sie mal Leverkusens Trainer Roger Schmidt), dem ein 1:0 das liebste aller Ergebnisse ist. Das Los hat dem FC Bayern am Freitag also tatsächlich den unähnlichsten aller möglichen Halbfinal-Gegner beschert (Hinspiel am 27. April in Madrid, Rückspiel am 3. Mai in München).
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Atletico Madrid - "Das schwerste Los"
Und wahrscheinlich auch den kompliziertesten. „Das ist möglicherweise das schwerste Los, das man erwischen konnte“, sagte Bayerns Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. Nein, nicht das große Real fürchten die Bayern am meisten, sondern das kleine Atlético, den Arbeiterverein, der 2014 die spanische Meisterschaft holte und auch in dieser Saison wieder vor den Königlichen steht. „Die Mannschaft kann sehr unangenehm Fußball spielen“, meinte Rummenigge weiter: „Das musste Barcelona erfahren. Die können einem die Freude am Fußball nehmen. Die Mannschaft kann einem wehtun.“
Oh ja, das können sie. Die Verteidigung um den uruguayischen Abwehrchef Diego Godin, der in der Vergangenheit auch schon mal Thema beim FC Bayern war, gehört zu den besten, härtesten und gleichzeitig trickreichsten der Welt. „Sie wissen genau, was sie tun müssen“, sagte Guardiola, der Atlético als eine der „großen Mannschaften Europas“ bezeichnete. Manchmal heißt das eben auch: provozieren bis zum Gehtnichtmehr. Wer Godin im Viertelfinale gegen Barcelona beobachtete, wie er Neymar ständig tätschelte, mit Worten und Gesten nervte und ihn dadurch komplett aus dem Spiel nahm, kann sich vorstellen, was die Bayern im Halbfinale erwartet. Vor allem im Hinspiel im recht kleinen, ziemlich in die Jahre gekommenen Estadio Vicente Calderon, wo es gar nicht richtig nach Champions League aussieht. „Das Estadio Vicente Calderón hat die beste Stimmung in Europa, es wird eine große Erfahrung für uns“, sagte Guardiola.
Er kennt die Spiele gegen Atlético noch gut aus seiner Zeit bei Barcelona, seine Bilanz ist mit acht Siegen aus zehn Spielen sehr gut. Doch die Bayern wissen, dass sie auf einen „super-starken Gegner“ (Holger Badstuber) treffen, auf ein Team, das durch die dramatische Finalniederlage vor zwei Jahren gegen Stadtrivale Real noch energischer nach dem Henkelpott greifen dürfte als alle anderen Halbfinalisten.
„Atlético ist ein Leidenschaftsmonster“, sagte das frühere Leidenschaftsmonster Matthias Sammer. „Das wird extrem und eine große Prüfung.“ Philipp Lahm sprach von einer „schwierigen Aufgabe, aber Halbfinale Champions League war noch nie leicht. Sie haben nicht umsonst Barcelona ausgeschaltet. Sie wissen, wie man verteidigt und haben auch Qualität nach vorne. Das wird interessant.“
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Wer ist der Favorit im Halbfinal-Duell?
Atlético, das die Favoritenrolle nach der Auslosung brav an die Bayern abgab, hat im Franzosen Antoine Griezmann und dem Spanier Fernando Torres zwei Topstürmer zu bieten. Beeindruckender ist aber die Verteidigung: Mit nur 16 Gegentoren verfügen die Rojiblancos in der Liga über die beste Abwehr, nur fünf Gegentreffer in der diesjährigen Königsklasse sind ebenfalls Bestwert. „Wir brauchen 90 Minuten und nochmal 90 Minuten volle Konzentration“, sagte Guardiola: „Diego Simeone ist einer der besten Trainer der Welt. Er hat diesen Verein verändert, Atlético hat in den letzten fünf Jahren ein neues Niveau erreicht.“
Als Guardiola dann nochmal zu seinem Verhältnis zum Argentinier Simeone gefragt wurde, ließ er bei allem Lob erkennen, dass diese beiden Trainer mehr unterscheidet, als eint. Nur „ein oder zwei Mal“ habe er in seinem Leben mit Simeone gesprochen, sagte Pep, der immerhin fast seine ganze Spielerkarriere in Spanien verbrachte und anschließend vier Jahre Barcelona trainierte. Simeone ist eben ein Typ, der sich „hart an der Grenze bewegt“, wie Lothar Matthäus bei Sky sagte. „Er war damals ein unbequemer Gegenspieler – so tritt seine Mannschaft heute auch auf.“ Simeone ist ganz anders als Pep. Atlético ist ganz anders als der FC Bayern. Genau das macht den Reiz dieses Halbfinals aus.