Ottmar Hitzfeld im AZ-Interview: "Bastian - mein Weltfußballer!"

Ottmar Hitzfeld spricht im AZ-Interview über seinen Favoriten bei der Fifa-Wahl, das Duell seiner Ex-Klubs Bayern und Dortmund und einen möglichen Wechsel von Marco Reus nach München.
von  Patrick Strasser
Ottmar Hitzfeld während der WM beim Spiel der Schweiz gegen Frankreich.
Ottmar Hitzfeld während der WM beim Spiel der Schweiz gegen Frankreich. © dpa

München - Sowohl mit dem FC Bayern, als auch mit Borussia Dortmund hat Ottmar Hitzfeld alles erreicht, was als Trainer möglich ist. Im AZ-Interview spricht er über die Weltfußballer-Wahl und über einen möglichen Wechsel von Marco Reus zum FCB.

AZ: Herr Hitzfeld, haben die Gladbacher durch das 0:0 gegen den FC Bayern der Liga sachdienliche Hinweise gegeben? Ist der Pep-Code, zumindest ansatzweise, geknackt?

OTTMAR HITZFELD: Bayern hat ja das Spiel gemacht, es beherrscht. Aber die Gladbacher haben gezeigt, wie man gegen einen übermächtigen Gegner spielen kann. Sie haben dem Rest der Liga vorgemacht, wie Bayern verwundbar ist. Man muss frech und mutig spielen. Dass den Gladbachern das so gut gelungen ist, hat mich schon überrascht.

Hitzfeld und Netzer bei Uli zu Besuch: Hoeneß "stolz auf sein Gewicht"

Am Samstag kommt Borussia Dortmund nach München. Kann die eine von der anderen Borussia lernen – und wenn ja, was?

Die Gladbacher haben kompakt verteidigt, dann nach Ballgewinn frech und mutig umgeschaltet, sind mit schnellen Kontern durchs Mittelfeld. Vor allem durchs Zentrum. Da wirkt Bayern nicht so kompakt, weil die Außenverteidiger sehr hoch stehen und man den Gegner früh unter Druck setzt.

Kann Gladbach die zweite Kraft in der Bundesliga werden?

Ja, Gladbach hat die Qualität. Es gibt immer Mannschaften in der Saison, die über sich hinauswachsen. Sie spielen in der Defensive perfekt, haben Selbstvertrauen, weil sie noch kein Spiel verloren haben, sowie das nötige Spielerpotenzial. Dazu kommt Lucien Favre, der Trainer, er ist ein ganz akribischer Fachmann.

Was ist mit Leverkusen? Oder Schalke?

Ja, auch Leverkusen hat schnelle Stürmer, sie hätten das Potenzial. Aber da muss man abwarten. Genau wie bei Schalke. Die müssen sich nach dem Trainerwechsel erst einmal wieder neu beweisen.

Wie schlimm ist die BVB-Krise aktuell?

Sie haben in der Champions League anders gespielt als zuletzt in der Bundesliga, etwas kompakter. Dortmund hat immer Probleme, wenn ihnen die Räume fehlen. Aber diese Räume werden sie gegen Bayern finden.

Ja? Wirklich?

Der BVB wird ein gefährlicher Gegner für Bayern.

Man könnte angesichts der Tabellensituation meinen, Sie machen Witze.

Nein, die Lage in Dortmund kann sich sehr schnell ändern, das hat schon das souveräne 3:0 im Pokal bei St. Pauli gezeigt. Mir ist nicht bange, dass sie am Ende der Saison keinen internationalen Platz erreichen. Irgendwann werden sie aus ihrem Loch herauskommen und auch in der Bundesliga eine Siegesserie starten, da bin ich mir sicher.

Deutsches "Clasico" in 208 von 209 FIFA-Ländern zu sehen

Sie sagten: einen internationalen Platz. Rang sechs reicht für die Europa League, für die Champions League müsste es mindestens Rang vier sein.

Ja, das schaffen sie. Auch wenn natürlich in Dortmund momentan niemand davon sprechen will. Das Wichtige ist doch, dass sie sich in jedem Spiel mehr Chancen als der Gegner erarbeiten, auch zuletzt beim 0:1 gegen Hannover – und das zählt.

Bei den Bayern sind die Dortmunder am Samstag in einer ungewohnten Rolle.

Ja, sie sind totaler Außenseiter. Aber das kann ein Vorteil sein und dürfte auch ein Teil der psychologischen Arbeit von Trainer Jürgen Klopp sein. Mit einem Sieg bei den Bayern kann man unglaublich viel erreichen und gewinnen – nicht nur die drei Punkte. Mann kann auch etwas für die Psyche und fürs Image tun.

Erlebt BVB-Trainer Jürgen Klopp aktuell die womöglich schwierigste Phase seiner Trainerkarriere?

Es war auch nicht einfach, all die Titel zu gewinnen, die Meisterschaften und Pokalsiege, das Finale in der Champions League 2013 zu erreichen. Damals hat er auch fachlich die richtigen Entscheidungen getroffen. Jetzt hat er eine andere Aufgabe zu lösen, eine ganz andere; die Belastung ist ungleich höher. Weil man eben keine Erfolgserlebnisse hat. Und die sind für die Psyche sehr wichtig, auch für einen Trainer natürlich.

Wegen Reus: Klopp-Spitze gegen Bayern!

Was ist, wenn nach Mario Götze 2013 und Robert Lewandowski vergangenen Sommer nun auch Marco Reus noch zum FC Bayern wechselt?

Das wäre natürlich nicht gut für den BVB und generell nicht für die Bundesliga, weil damit wieder ein direkter Konkurrent geschwächt wird. Aber auch die Bayern brauchen in der Liga Konkurrenz, sonst wird es zu einseitig. Alle haben ja erwartet, dass es diese Saison wieder ein Zweikampf mit Borussia Dortmund wird, aber jetzt ist nicht mal das der Fall. Ginge Reus zum FC Bayern, wäre noch ein Klasse-Spieler weg. Für den BVB wäre das nicht nur substanziell ein Rückschlag, was den Kader betrifft, sondern auch psychologisch. Und man weiß dann auch, dass man mit den Bayern auch finanziell nicht mehr mithalten kann.

Wo sollte denn Reus dann bei den Bayern spielen?

Es ist ja immer so bei Bayern: Kommt ein Top-Spieler, muss ein anderer gehen.

Die Fifa hat die 23 nominierten Spieler für die Wahl zum Weltfußballer bekannt gegeben. Wer soll den Ballon d’Or erhalten?

Für den deutschen Fußball wäre das überragend. Als Deutscher wünsche ich mir natürlich, dass ein Deutscher gewinnt. Zur Wahl stehen Manuel Neuer, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Toni Kroos und Finaltorschütze Mario Götze. Ich bin für Bastian Schweinsteiger. Er war einer der Helden in der deutschen Mannschaft, besonders im Finale gegen Argentinien. Er war der Antreiber, ließ sich auch durch all die Fouls und harten Zweikämpfe nicht aus der Ruhe bringen – unermüdlich und unverwüstlich. Aber ich denke, dass Cristiano Ronaldo von Real Madrid der Favorit ist.

Bilder: Kandidaten für den Weltfußballer 2014

Obwohl er mit Portugal bei der WM in der Vorrunde kläglich gescheitert ist?

Ja, aber er schießt eben in der Primera Division und der Champions League beständig Tore und bringt Top-Leistungen, über das ganze Jahr, nicht nur bei einem Turnier über vier, fünf Wochen.

Zurück zu Schweinsteiger. Mal plump gefragt: Wird er wieder ganz der Alte trotz seiner Patellasehnen-Probleme?

Ich sehe da keine Probleme. Er ist ein technisch so starker Profi, der den Übergang vom Training in den Spielbetrieb leichter schafft als ein Spieler, der hauptsächlich über die Physis kommt.

Es wird jedoch nicht einfach, im Zentrum des Mittelfelds Philipp Lahm oder Neuzugang Xabi Alonso zu verdrängen. Das Duo ist Weltklasse.

Ja, aber Schweinsteiger braucht sich vor keinem Spieler der Welt zu verstecken. Und Lahm kann ja viele Positionen bekleiden.

Haben Sie die Krise der Nationalelf als Folge der WM-Nachwehen kommen sehen?

Joachim Löw will natürlich sofort wieder Top-Leistungen sehen, sofort wieder in die Spur kommen – das ist aus Sicht des Trainers klar. Aber es ist menschlich, dass die Mannschaft nach diesem großen Triumph, nach dieser körperlich und psychisch enormen Belastung, einen Durchhänger hat. Die deutsche Mannschaft wird spätestens ab dem Frühjahr wieder in die Spur kommen, sich alles wieder erarbeiten – daran habe ich keine Zweifel.

Momentan rangiert man nur auf Platz vier – beängstigend?

Für die EM in Frankreich wird man sich sowieso qualifizieren, bis zum Turnierbeginn 2016 hat man dann noch genügend Zeit. Das ist erst in eineinhalb Jahren. Man muss sich keine Sorgen um die deutsche Mannschaft machen – höchstens, wenn die Polen die DFB-Elf in Warschau beherrscht hätten. Aber es war ja umgekehrt, Deutschland war die bessere Mannschaft. Es ist alles eine Frage des Rhythmus’ und des Selbstvertrauens – und das kommt wieder. Ganz sicher.

Das Interview führte Patrick Strasser

Zu Person Ottmar Hitzfeld: Der 65-Jährige gewann als Trainer mit dem FC Bayern und Borussia Dortmund die Champions League. Nach der WM in Brasilien trat er als Nationalcoach der Schweiz zurück.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.