Oliver Kahn: Nach der FC-Bayern-Rente wurde er zum TV-Titan
München - Den Deutschen den Fußball zu erklären, ist kein trivialer Job. Die Erfolgreichsten und gleichzeitig Beliebtesten dieser Experten-Zunft – wie zum Beispiel ein Günther Netzer – bringen neben ihrem Fachwissen stets eine Aura des Erfolgs mit. Charme und ein bisserl Witz können auch nicht schaden.
Oliver Kahn erfüllt, als er 2008 beim ZDF anheuert, eigentlich nur zwei dieser Kriterien. Zwölf Jahre später schickt er dann aber für den CEO-Job bei seinem Herzensverein FC Bayern, bei dem er von 1994 bis 2008 gespielt hatte, einen echten TV-Titanen in Rente.
Hölzern und emotionslos: So startete Oliver Kahn seine TV-Karriere
Der Anfang seiner Fernseh-Karriere verläuft holprig. An der Seite von Johannes B. Kerner scheint er vor allem darum bemüht zu sein, keine Fehler zu machen. Dabei setzt der ZDF-Moderator große Hoffnung in den Torwart-Titan.
"Es ist an der Zeit einen anderen, den wahren Oliver Kahn kennenzulernen. Ein Typ im besten Sinne!" So kündigt Kerner damals den neuen Fußball-Experten an – und wird vom "wahren Oliver Kahn" genauso wie das gespannte Millionenpublikum vor den Bildschirmen zunächst enttäuscht.
Denn der Ex-Bayern-Star, der als Profi Eckfahnen herausriss, Gegenspieler anknurrte und anknabberte oder gern mal "Eier, wir brauchen Eier" forderte, wirkt Anfang September beim WM-Qualifikationsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Finnland vor der Kamera arg hölzern – und ungewohnt emotionslos. Zumindest im Vergleich zu seinem Vorgänger beim Zweiten Deutschen Fernsehen, einem gewissen Jürgen Klopp.
Kurz vor TV-Debüt: Oliver Kahns Abschiedsspiel in der Allianz Arena
Womöglich sind es aber auch Nachwirkungen seines Abschiedsspiels wenige Tage zuvor in der Allianz Arena vor 69.000 Zuschauern – und/oder ein zünftiger Kater nach der anschließenden Mega-Sause, die Kahn beim TV-Debüt etwas steif wirken lassen.
850 Gäste sind an diesem Abend ins Zelt des Deutschen Theaters in Fröttmaning gekommen, um den dreimaligen Welttorhüter, der zu diesem Zeitpunkt 39 Jahre alt ist, nach 21 Profi-Jahren in die Rente zu verabschieden.
Abschied vom Torwart Oliver Kahn: Sogar Jürgen Klinsmann schaut vorbei
Die Bayern-Granden um Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß schauen vorbei, Mentor Sepp Maier, der damalige DFB-Präsident Theo Zwanziger, viele ehemalige Mitspieler – sogar Jürgen Klinsmann, der Kahn als Bundestrainer zwei Jahre zuvor beim Sommermärchen so schlimm gedemütigt und ihm bei der DFB-Elf den Nummer-eins-Status entzogen hatte, traut sich zu erscheinen.
Nur eine sieht man nicht: Verena Kerth, Kahns langjährige On-Off-Affäre, die er einst in seiner Stamm-Location P1 kennengelernt hatte und mit der er seitdem regelmäßig die Klatschspalten füllt. Dafür ist an diesem Abend wieder Gattin Simone dabei, die trotz der öffentlichen Eskapaden zu ihm zurückgekehrt ist. Wenn auch nicht für lange.
Erste Chance als Führungskraft: Oliver Kahn fühlte sich nicht bereit
Die Scheidung des Paars folgt knapp ein Jahr später – aber einvernehmlich und vor allem geräuschlos. Es ist offensichtlich, dass der einstige Disco-Kahn schlicht kein Party-Titan mehr sein möchte. Er erfindet sich neu.
Ein Angebot von Clemens Tönnies und dem FC Schalke 04, die ihn 2009 als Sportchef gewinnen wollen, schlägt er ganz bewusst aus. Die Aufgabe als Vereinslenker kam damals noch zu früh, wie er später einmal bei Spox erklärte: "Ich behaupte, ein gutes Gespür dafür zu haben, wann ich für bestimmte Dinge bereit bin – und wann nicht."
Oliver Kahn taut auf – und wird als TV-Experte immer beliebter
Königsblau traut er sich nicht zu, aber das TV – das spüren auch die Fernsehzuschauer. Kahn wird in seiner Rolle als unaufgeregter Analytiker immer beliebter. Bei King Kahn, dem ehemaligen Bayern-Kapitän, lernt man etwas über den Fußball. Auch über das Innenleben einer Mannschaft und wie sie geführt wird.
Während ein Mehmet Scholl mit seinen manchmal allzu flapsigen Kommentaren ("Der wundgelegene Mario Gomez") bei den ARD-Bossen und beim Publikum aneckt, kann sich das ZDF stets auf Kahns Contenance verlassen.
"Soll ich ihr in den Hals beißen?": Oliver Kahn lernt Selbstironie
Mehr noch: Der, der von sich mal behauptete "Interviews von mir nach dem Spiel haben nur bedingte Zurechnungsfähigkeit", kann plötzlich mit einer Katrin Müller-Hohenstein vor der Kamera locker plaudern. Mit dem kongenialen Oliver Welke wird er gar zu "Oli und Oli" – und zu einer echten Kult-Marke.
Und hin und wieder ist sogar ein Anflug von Selbstironie herauszuhören. Zum "Tagesspiegel" sagt er vor der WM 2014 über sich selbst, den neuen TV-Titan: "Leute haben sich schon beschwert, ich hätte mich so verändert und wäre seit Karriereende zahm geworden. Da frage ich mich, was sie erwarten? Dass ich mit gestrecktem Bein über den Moderationstisch fliege oder Katrin Müller-Hohenstein in den Hals beiße?"
Bei allem Spaß: Der Titan kann auch anders
Kahn kann auch lustig – sehr lustig. Aber eben auch anders – den streitbaren Kahn, der verbissen um das kämpft, was er glaubt, das ihm zustehen sollte, den gibt es noch immer.
Zu spüren bekommt das zum Beispiel der ehemalige Torwart-Kollege Rene Adler. Der 15 Jahre jüngere Keeper (u. a. Bayer Leverkusen, Mainz 05) ist an einem Torwart-Start-up namens "T1tan" beteiligt. Für Kahn kann es aber nur einen Titan geben, also klagt er. Genauso wie gegen Gaming-Riese EA Sports, der bei einer seiner Fußball-Simulationen ungefragt Kahns Konterfei verwendet hatte.
Weiter, immer weiter: Fußball-Rente kam für Oliver Kahn nicht in Frage
Dabei hat die Bayern-Legende in dieser Phase seines Lebens eigentlich kaum Zeit für juristische Scharmützel. Denn für einen Fußball-Rentner ist Kahn vergleichsweise schwer beschäftigt. Weiter, immer weiter – das gilt auch für die Karriere nach der Karriere.
Neben dem Engagement beim ZDF schließt er ein Wirtschaftsstudium in Salzburg ab, für das er mit anderen Sport-Stars wie Tim Cahill (FC Everton) sogar einen Kurs an der an der US-Elite-Universität Harvard belegt. Und er wirbt in immer neuen Spots und Kampagnen für einen großen deutschen Sportwetten-Anbieter.
Fatale Begegnung? Das Treffen von Oliver Kahn und Moritz Mattes
Außerdem beginnt der Business-Kahn, sich in dieser Zeit sein eigenes Unternehmen aufzubauen Goalplay. Mit der App können junge Keeper-Talente ihr Torwartspiel verbessern – natürlich nach Trainingsplänen von Oliver Kahn ("Trainiere den Titan in dir").
Schon damals bei der Firma als Berater und Geschäftspartner an seiner Seite: Moritz Mattes. Aus heutiger Sicht wohl ein Fehler, womöglich der größte in Kahns Karriere nach der Karriere. Denn der ehemalige McKinsey-Manager, der später mit zum Rekordmeister geht und dort als "Chief of Staff" firmiert, wird heute im Flurfunk an der Säbener Straße aufgrund seines allzu forschen Auftretens als einer der Hauptgründe für Kahns Scheitern bei Bayern bezeichnet. Aber das ist eine andere Geschichte. Die lesen Sie dann im letzten Teil der AZ-Serie über Oliver Kahn.