"Noch ein paar Mal, dann packt Sammer seine Klamotten und geht!"
Jens Weidner, Aggessionsforscher und Buchautor ("Hart, aber unfair!") verteidigt Sammers Wutrede und wundert sich über die Bosse
AZ: Herr Weidner, ein leitender Angestellter motzt, seine Vorgesetzten pfeifen ihn deftig zurück und rüffeln ihn darauf in aller Schärfe – und in aller Öffentlichkeit. Wie beurteilen Sie das als „Aggressionsforscher”?
JENS WEIDNER: In einem „normalen” Unternehmen wäre das eine Katastrophe, im Fußballgeschäft ist es Teil der Kultur und auch den Beobachtern, den Fans, bekannt, sogar vertraut. Sie spielen sicher auf die von Matthias Sammer losgetretene Debatte an.
Genau. Die Frage ist: Hat sich Sammer als Sportdirektor beim FC Bayern mit dieser Geschichte vereinsintern einen Gefallen getan?
Zunächst mal muss man feststellen: Sammer füllt exakt die Rolle aus, für die er geholt wurde: den Bad Boy. Da Uli Hoeneß durch seine Steuerangelegenheit geschwächt ist, springt Sammer ein. Der Punkt ist: Mit ihm haben die Bosse Hoeneß und Rummenigge einen extrem starken Mann für die Führungsebene verpflichtet und stellen nun fest: Er ist es tatsächlich auch.
Der Bad Boy ging Hoeneß und Rummenigge allerdings einen Schritt zu weit. Sie haben ihn gemaßregelt.
Für Hoeneß hat die ganze Sache den positiven Nebeneffekt, dass er plötzlich die Rolle des Good Guy ausfüllt, weil Sammer nun poltert. Man stelle sich vor, Hoeneß würde das machen: Ein Shitstorm bräche über ihn herein. Was Sammer betrifft, ticken die Bosse ambivalent: Einerseits reduzieren sie ihn auf seinen Status innerhalb der Hierarchie, sie machen ihm deutlich, wer wirklich der Chef ist. Andererseits: Sie wollen doch, dass Sammer nicht duckmäuserisch ist, nur lieb und brav agiert. Er hat nur eines missachtet: die Loyalitätsgeste.
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Will sagen?
Er hat die Bosse vor seinem Auftritt nicht gefragt. Daher ging es den Herren Hoeneß und Rummenigge nicht wirklich um die Inhalte, sondern um den Zeitpunkt und den Fakt, dass Sammer die Loyalitätsgeste bewusst ausgelassen hat. Doch hätte er vorher um Erlaubnis gefragt, hätte er sich ja selbst ein paar Nummern kleiner gemacht.
Traut sich Sammer solch eine Attacke im Alleingang demnächst wieder?
Ich glaube: Ja! Wenn die Bosse dieses Spiel allerdings noch ein paar Mal mit ihm treiben, packt er seine Klamotten und geht – dafür ist er viel zu selbstbewusst und eigenständig.
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