Kalle? Hoeneß? Sammer oder Pep? Wer ist hier der Boss?
MÜNCHEN Schon wieder ein Alleingang. Am Mittwochvormittag legte Matthias Sammer selbst Hand an, kurbelte einen Schirm auf, um von einem Balkon aus das Training der Bayern-Profis beobachten zu können. Ganz alleine saß er da, in seiner eigenen Komfortzone.
Mit seiner Meinung allerdings, die Bayern würden zu lethargisch spielen, müssten „raus aus der Komfortzone” stand er in den letzten Tagen ziemlich alleine da, mal abgesehen von Ehrenpräsident Franz Beckenbauer, der das Treiben eher belustigt von außen verfolgte: „Wenn alles harmonisch ist, dann schläfst du ein.” Die Adressaten der Sammer-Attacke, die Profis, wollten nach dem 3:0 gegen ZSKA Moskau auf keinen Fall den Eindruck aufkommen lassen, die Ruckrede des Sportdirektors habe sie in irgendeiner Form angestachelt, gar extra motiviert.
Für Kapitän Philipp Lahm war die Debatte „nicht unnötig, es hat sie aber auch nicht gebraucht”. Jérome Boateng stellte klar: „Wir brauchen nicht zu sagen, das war der Sammer-Effekt. Das war der Effekt der Mannschaft.”
Viele Profis haben sich nach der Schelte im Anschluss an das im Grunde Mehr-als-okay-Spiel gegen Hannover (2:0) gefragt: Was ist denn jetzt schon wieder los?
Die Nachfragen der Reporter auf das scharfe Echo von Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge nervte die Profis. Die allgemeine Gemengelage muss für manchen verwirrend sein: An wen kann ich mich denn nun eigentlich (vertraulich) wenden? Wie sieht die Hierarchie wirklich aus. Kurz: Wer ist hier der Boss?
KARL–HEINZ RUMMENIGGE Der Vorstandsboss hat mit seinen deutlichen Worten („Uns hat das nicht gefallen!”) vorerst den Deckel auf den Schlagabtausch zwischen Hoeneß und Sammer gemacht, den Sportvorstand via Medien zu einem Gespräch einbestellt. Sein Verhältnis zu Sammer ist eher distanziert, aber professionell. Er respektiert den ehemaligen Trainer, duldet ihn, erkennt aber auch dessen Wirken und Erfolge in der Triple-Saison an. Sammer ist der einzige aus dem Gremium, den Rummenigge neben den eher intern agierenden Vorständen Jung, Dreesen und Wacker disziplinieren muss. Also obliegt es ihm, zu maßregeln.
ULI HOENEß Für die Spieler ist der Chef des Aufsichtsrats und Präsident des e.V. nach wie vor Ansprechpartner Nummer eins, wenn es um private Probleme geht oder es Stress mit dem Trainer gibt (siehe Ribérys frühere Besuche am Tegernsee zu Zeiten van Gaals) – dabei spielt die Steueraffäre keine Rolle, sie hindert Hoeneß nur rundum auszuteilen. Insgeheim schätzt er Sammers Art, zu polarisieren und antizyklisch zu kritisieren – diesmal gefiel ihm allein der Zeitpunkt nicht. Es war Hoeneß’ Idee, Sammer nach München zu holen. Vorgänger Christian Nerlinger, aufgrund seiner loyalen und umgänglichen Art äußerst beliebt in der Mannschaft, erschien dem „Papa des Vereins” (Sammer über Hoeneß) als zu weich.
MATTHIAS SAMMER Der Sportvorstand geht als Verlierer aus dem Machtkampf hervor, das zeigen die kühlen Statements der Spielers. Für sie hat Sammer ohne Not einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet, er muss sich erst wieder Kredit zurückerobern. Bei den Bossen steht ihm ein Gang nach Canossa bevor, da muss er sich klein machen.
PEP GUARDIOLA Die Rüffel für Sammer haben ihn aus Sicht der Spieler gestärkt. Er ist künftig der absolut Alleinverantwortliche für sportliche Fragen. Der Spanier lernt den Kosmos FC Bayern gerade erst richtig kennen, Die letzten Tagen waren ein Intensiv-Praktikum in Sachen Hierarchie und Revierverhalten. Mia san mia heißt auf Führungsebene auch: I bin I.