Medien-Chef Hörwick über die 90er: So wild waren die Hollywood-Zeiten des FC Bayern
AZ: Herr Hörwick, das ZDF bringt am 10. Januar eine neue Dokumentation zum FC Hollywood heraus, zu den wilden Zeiten beim FC Bayern in den 90er Jahren. Welcher Skandal war für Sie in Ihrer Rolle als Pressesprecher besonders heikel?
MARKUS HÖRWICK (schmunzelt): Oh, da hat es schon ein paar gegeben, wir hatten eine sehr interessante Mannschaft (lacht). Ende der 90er Jahre standen zusammen auf dem Platz: Stefan Effenberg, Mario Basler, Oliver Kahn, Lothar Matthäus und Mehmet Scholl. Ottmar Hitzfeld hat mal den Satz gesagt: "Drei Verrückte kannst du in einer Mannschaft vertragen, aber bei vier kannst du es vergessen." Und wir hatten fünf. Es hätte wahrscheinlich keinen Trainer außer Hitzfeld gegeben, der diese Truppe in den Griff bekommen hätte.
Hörwick: "Alle Stars haben Hitzfelds Linie akzeptiert"
Wie hat Hitzfeld das geschafft?
Er hat Ruhe in den Laden gebracht. Man darf ja nicht vergessen: In den 90ern hatten wir in zehn Jahren neun Trainer und haben nur viermal die Meisterschaft gewonnen, nur einmal den DFB-Pokal und einmal den Uefa Cup. Das ist zu wenig für den FC Bayern. Mit Hitzfeld hat sich alles geändert. Er war der beste Trainer, den es für Bayern je gegeben hat. Er hatte eine natürliche Autorität und unglaubliche Empathie. Er konnte sich sehr gut in Menschen hineinversetzen und hatte zugleich eine Konsequenz, die entwaffnend war. Als Oliver Kahn zum Beispiel mal vorzeitig die Weihnachtsfeier verlassen hat, hat Hitzfeld ihm am nächsten Tag gesagt: "Olli, das kostet 25.000 Euro." Thema erledigt. Alle Stars haben Hitzfelds Linie akzeptiert, weil er sie unaufgeregt durchgezogen hat. Auch Bixente Lizarazu und Lothar Matthäus, als der Baske Lothar im Training eine Watschn verpasst hat. München und der FC Bayern sind immer aufgeregt. Das gehört zur DNA dazu. So einen Ruhepol wie Hitzfeld zu haben, war grandios.
Also hat Hitzfeld die Zeit des FC Hollywood im Prinzip beendet?
Fast. Wobei über den Begriff FC Hollywood immer gestritten wurde. Uli Hoeneß ist fast ausgetickt, wenn das kam. Ich habe ihm immer gesagt: "Uli, wir sind in München. Ein bisschen Hollywood ist hier notwendig." Wir leben in einer Stadt, in der die Schicki-Micki-Gesellschaft gegründet wurde. Der Klatsch-Journalismus ist in München geboren worden. In München kannst du nur mit Superlativen glänzen. Die Leute sind dann in die Oper gegangen, wenn Pavarotti gesungen hat. Glauben Sie, dass wir als brave Mannschaft, als braver Klub damit hätten konkurrieren können? Niemals. Du musst dich anpassen. München ist hektisch, lebendig - und schreit nach Höchstleistungen. Und das haben wir geboten - auch mit den Persönlichkeiten in unserer Mannschaft. Ich habe Uli gesagt: "10 Prozent Hollywood ist doch okay. Damit erreichen wir auch Leute, die sich für Fußball nur teilweise interessieren." Ein Franz Beckenbauer in Bayreuth, ein Giovane Elber nackt auf der Harley Davidson – oder ein Stefan Effenberg im P1: Darüber spricht jeder.
FC Bayern wurde durch interessante Persönlichkeiten groß
War die "Flasche leer"-Rede von Giovanni Trapattoni der Ursprung des FC Hollywood?
Ich glaube, das hat schon früher angefangen. Der FC Bayern ist groß geworden durch Persönlichkeiten für die sich die Menschen auch außerhalb des Fußballs interessiert haben: Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, später Hoeneß, Paul Breitner, Karl-Heinz Rummenigge. Wir brauchen in Deutschland Persönlichkeiten, Gesichter, um etwas populär zu machen. Wenn wir damals nicht Boris Becker und Steffi Graf gehabt hätten, wüssten die Leute heute noch nicht, was ein Tie-Break ist. Ähnlich ist es in der Formel 1 mit Michael Schumacher gewesen. Der FC Bayern hat das immer bedient: Er hat Persönlichkeiten geliefert, über die man über den Fußballplatz hinaus gesprochen hat. Durch das private Fernsehen in den 90ern hat diese Entwicklung noch einmal zugenommen. Wir haben das bewusst genutzt, damit unsere Fans mehr über die Spieler erfahren. Wir haben sie die ganze Woche lang unterhalten.
Wie anstrengend war Ihr Job in diesen Jahren?
Sagen wir mal so: sehr anspruchsvoll. Ruhephasen gab es nie, auch an den freien Tagen nicht. Da war ich erst recht in Habachtstellung: Wer ist am Abend vorher im P1 gewesen und wer ist in Grünwald in die Polizei-Kontrolle geraten?

Hörwick: "Klinsmann war in München ein Fremdkörper"
Welche Stars konnten damals überhaupt nicht miteinander?
Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann. Klinsmann war in München ein Fremdkörper, er hat nicht hierher gepasst - weder als Spieler noch später als Trainer. Das war alles zu viel Hollywood, zu viel Schicki-Micki. Aber so ist Bayern München: Hier kommt nicht jeder zurecht. Otto Rehhagel ist ein großartiger Trainer gewesen, aber in München nie angekommen.
2001 hat sich die Bayern-Mannschaft mit dem Champions-League-Triumph in Mailand gekrönt - zwei Jahre nach dem Drama gegen Manchester United in Barcelona. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?
2001 waren das fünf völlig verrückte Tage. Am Samstag gewinnen wir in Hamburg in der 94. Minute durch Patrik Andersson die Meisterschaft, als die Schalker schon auf dem Rasen gefeiert hatten. Am Mittwoch holen wir in Mailand die Champions League im Elfmeterschießen gegen Valencia. Wer daran zurückdenkt, dem schießt heute noch das Adrenalin durch den Körper. Diese zwei Jahre haben gezeigt, was den Fußball ausmacht: die tiefsten Tiefen und die höchsten Höhen. 1999 in Barcelona war die schlimmste Niederlage, die der FC Bayern je erlebt hat - viel schlimmer als 2012 das Finale dahoam. Beim Finale dahoam wusstest du: Es kann auch schiefgehen, wenn du in die Verlängerung und ins Elfmeterschießen gehst. Aber wenn du wie in Barcelona in der 90. Minute 1:0 führst, denkst du nicht mehr an eine Niederlage. Das war die Niederlage aller Niederlagen.

Ein zweiter FC Hollywood ist laut Hörwick nicht mehr möglich
Zum Abschluss: Wird es irgendwann noch mal ein Team mit solchen Typen geben beim FC Bayern wie Ende der 90er Jahre? Einen zweiten FC Hollywood?
Die Zeit heute lässt das nicht mehr zu. Stellen Sie sich eine Mannschaft vor mit Matthäus, Kahn, Effenberg, Basler und Scholl - und mit Social Media. Kannst du vergessen, das würde nie funktionieren. Nach 14 Tagen müsstest du wahrscheinlich zwei Spieler rausschmeißen. Heutzutage sind die Spieler viel vorsichtiger, sie können sich nicht mal 10 Prozent davon erlauben, was früher möglich gewesen ist. Sie sind gläsern geworden durch die Handys und das Internet. Die 90er Jahre waren die letzte Phase, in der sich Profis noch recht frei in der Öffentlichkeit bewegen konnten, ohne an den Pranger gestellt zu werden. Das haben einige auch reichlich getan. Mit das Schlimmste war für mich immer…
Jetzt wird's spannend.
…wenn Stefan Effenberg vor dem Training zu mir kam und gefragt hat: "Hast du später mal fünf Minuten Zeit?" Oh je, habe ich dann gedacht und nur mit einem Stichwort gefragt: "P1?" Und Stefan sagte immer: "Aber ich konnte überhaupt nichts dafür…" Das waren wirklich aufregende Zeiten.
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