Manuel Neuer, der "verlängerte Arm des Trainers": Deutschlands Schattenkapitän aus alter Gewohnheit
Herzogenaurach – Es ist das achte Turnier von Manuel Neuer – und doch ist alles anders für den 38-Jährigen. Denn: Das erste Mal ist er als Vater dabei, mit der ständigen Sehnsucht im Kopf, alles mitzubekommen, was zu Hause passiert. Im März brachte seine Frau Anika den ersten gemeinsamen Sohn Luca zur Welt.
"Es macht sehr viel Spaß als Vater, ich bin sehr glücklich und froh darüber", sagte der Nationaltorhüter am Montagmittag im DFB-Quartier in Herzogenaurach. Der heiße Handy-Draht in seine Heimat am Tegernsee besteht täglich. "Ich freue mich, wenn ich meinen Sohn sehen kann und nutze dafür jede Gelegenheit", erzählte Neuer. Vaterfreuden relativieren alles, selbst Gegentore und scharfe Kritiker.
Neuer: "Das Vertrauen zwischen mir und dem Trainerteam ist sehr groß"
Neuer tat es gut, dass er nach dem 5:1 gegen Schottland zum Auftakt der Heim-EM nicht dermaßen im Fokus der öffentlichen Diskussion stand wie noch eine Woche zuvor nach seinem Fehler im letzten EM-Test gegen Griechenland (2:1). Zum Ende der Saison im Bayern-Trikot hatte sich Neuer gleich mehrere, teils folgenschwere, Patzer – vor allem beim 1:2 bei Real Madrid – geleistet.
Die fachliche aber auch teilweise polemische Kritik an seiner Leistung habe er, so Neuer, "eher von außen betrachtet" und "nichts gelesen". Für ihn sind die Meinungen von Bundestrainer Julian Nagelsmann und des Torwarttrainers Andreas Kronenberg relevant. "Die Verantwortlichen gehen mit mir in die Analyse, besprechen und bewerten dann die Bilder. Das Vertrauen zwischen mir und dem Trainerteam ist sehr groß", betonte Neuer.
Neuer: Bin auch ohne Kapitänsbinde "ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft"
Man spürt den Torwart im Torwart, die Abwehrhaltung, die er bei solchen Fragen einnimmt. Der Torhüter des FC Bayern schwingt keine großen Reden in eigener Sache, ist kein Lautsprecher. Dennoch scheint er den Drang zu verspüren, darauf aufmerksam machen zu müssen, dass er zurecht die Nummer eins im deutschen Tor ist. Auch wenn er nicht mehr wie beim FC Bayern das Zeichen der Macht, die Kapitänsbinde, trägt. Ilkay Gündogan hat das Amt inne, Neuer ist ein Schattenkapitän aus alter Gewohnheit.
"Für mich hat sich hier wenig verändert. Ich bin trotzdem ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft, mit meinem Spiel und meinem Coaching", erklärte Neuer, lobte die Torwartgruppe mit Hoffenheims Oliver Baumann ("Wir pushen uns im Training untereinander, haben Spaß miteinander") und versicherte, dass "die Kommunikations-Ebene immer noch da" sei, weil er durch die Gespräche mit Nagelsmann während der Spiele an der Seitenlinie "teilweise der verlängerte Arm des Trainers sein" könne.
Neuer letztmals bei der WM 2022 gegen Costa Rica Kapitän
Sein letztes Spiel als DFB-Kapitän war das 4:2 gegen Costa Rica, zugleich das Ende der verkorksten WM 2022 in Katar. Danach geschah im vorzeitigen Urlaub das Unglück: Schien- und Wadenbeinbruch bei einer Skitour. Er war raus, die Nummer eins übernahm Marc-André ter Stegen (FC Barcelona), rechtfertigte dies durch starke Leistungen und musste auf Nagelsmanns Geheiß doch wieder in die zweite Reihe.
Auf die Frage, wie er es bewertet, dass ter Stegen trotz seines Frustes als Bankdrücker keinen Stunk macht, antwortete Neuer erneut pauschalierend: "Wichtig ist für eine Mannschaft, dass man zusammenhält – positionsunabhängig. Wir haben einen breiten Kader. Wenn wir anfangen, Diskussionen aufzumachen, hilft uns das nichts." Da spricht aus dem Ex-Kapitän noch der Kapitän, der er de facto nach dem WM-Titel 2014 als Nachfolger von Philipp Lahm wurde.
Neuers Leistungen seit der EM 2016 instabil
Seine Leistungen, bis zur EM 2016 beinahe durchgehend Weltklasse, wurden in der Folge instabil. Sein letztes Zu-Null-Spiel bei einem großen Turnier glückte ihm letztmals im Achtelfinale jener EM – beim 3:0 gegen die Slowakei. Danach 13 Mal nicht, inklusive des 5:1 gegen Schottland.
Vor dem zweiten EM-Gruppenspiel am Mittwoch gegen Ungarn (18 Uhr, ARD/MagentaTV und im AZ-Liveticker) forderte Neuer, das defensive Denken auszubauen, "da es nun schwieriger wird". In Stuttgart bestreitet er sein 17. EM-Spiel, überholt damit Italiens Ex-Torwart Gianluigi Buffon (16 Partien). Dem neuen Rekord angemessen wäre eine weiße Weste.