Kimmichs Zahltag
München / Turin - Bayerns Aushilfsverteidiger Joshua Kimmich nutzte den Windschatten perfekt. Die Aufmerksamkeit der Selfiejäger am Flughafen Turin-Caselle konzentrierte sich am Mittwochmittag ohnehin auf Pep Guardiola oder die ehemaligen Juve-Profis Arturo Vidal und Kingsley Coman. Und so schlich Kimmich neben Ersatztorwart Sven Ulreich, mit 1,92 m von stattlicher Figur, zum Gate des LH-Sonderfliegers 2751. Vertieft ins Gespräch. Ablenkung oder Aufarbeitung?
Der aus der Not geborene Behelfs-Innenverteidiger hatte seine Sache beim 2:2 gegen Juventus hervorragend gemacht – und doch bei beiden Gegentoren unglücklich ausgesehen. Vor dem 1:2 durch Paulo Dybala (63.) konnte Kimmich den Ball nicht klären, beim Ausgleich von Stefano Sturaro (76.) kam er zu spät in den Zweikampf. Eine Runde Mitleid? Mitnichten! Die Mitspieler hatten nur aufbauende Worte für den 21-Jährigen parat. „Ich habe Josh sofort nach dem Spiel gesagt, dass er seinen Job für die Mannschaft supergut macht“, sagte Arjen Robben, „bei seinem Alter kann man nur Respekt haben und positiv sein.“ Torhüter Manuel Neuer ging auch sofort in den Beschützer-Modus über: „Es ist nicht ein Spieler, der die Schuld trägt für die Gegentore.“ Bei der Ankunft in München meinte Kimmich: „Die Jungs muntern einen auf. Wenn man 2:0 führt und dann noch 2:2 spielt, ist es ärgerlich.“ Angesprochen auf seinen Fehler sagte er: „Es ist im Mittelfeld anders, aber ich wusste, dass ich Innenverteidiger spiele. So ein Fehler sollte nicht passieren.“
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„Seine Leistung war perfekt“ - trotzdem zahlt Kimmich Lehrgeld
In der Abwehr fehlten die Riesen Jérôme Boateng (1,92 m), Javi Martínez (1,90 m) und Holger Badstuber (1,90 m) verletzt, also musste Kimmich (1,76 m) ran. Er bestand seine internationale Feuertaufe auf fachfremdem Gebiet – und dennoch zahlte der Jüngling Lehrgeld gegen die Alte Dame Juve. Der Mittelfeldspieler spielte seine Stärken in der Spieleröffnung aus und kam auch defensiv lange kaum in Bedrängnis. Von 100 Pässen kamen 93 an. Als es in der zweiten Halbzeit dann aber physischer und hektischer wurde, schwamm auch Kimmich.
„Seine Leistung war perfekt“, wischte Guardiola jede Kritik weg. „Wir müssen ihn da jetzt nicht groß aufbauen“, sagte Neuer über seinen Vordermann, der auf dem Bankett im Hotel „Principi di Piemonti“ die Nähe des Torwarts (1,93 m) suchte und neben dem Weltmeister saß. An die Reporter gerichtet mahnte Neuer: „Ich erwarte mir von euch, dass ihr da bei einem jungen Spieler ein bisschen zurückhaltend bleibt.“ Auch Philipp Lahm plädierte bei der Bewertung von Kimmichs Leistung für mildernde Umstände: „Es gibt genügend Situationen, in denen einer von uns Fehlpässe spielt. Das passiert im Fußball. Ansonsten hat er wieder einen sehr, sehr guten Job gemacht.“
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Aus der 2. Bundesliga in die Königsklasse
Es war sein sechster Champions-League-Einsatz, 14 Mal hat Kimmich bisher in der Bundesliga gespielt. Da dürfen, da müssen andere Maßstäbe gelten. Vor allem, da er letzte Saison noch in der Zweiten Liga mit RB Leipzig gespielt hat. Der Vertrag des U19-Europameisters von 2014 läuft bis 2020, bis dahin dürfte er längst ein erfahrener Nationalspieler sein. Dass die EM diesen Sommer in Frankreich für ihn zu früh kommt? Warum eigentlich?
Im Rückspiel in drei Wochen dürfte neben dem in Turin eingewechselten Medhi Benatia auch Javi Martínez wieder zur Verfügung stehen, der am Dienstag nach seiner Arthroskopie erstmals wieder eine Laufeinheit absolviert hatte. Kimmich könnte trotzdem in der Startelf bleiben, an der Seite eines der Riesen, David Alaba rückt dann nach links.