Jürgen Kohler: Der FC Bayern haut in solchen Spielen oft einen raus!

München - Jürgen Kohler (53) spielte von 1989 bis ‘91 beim FC Bayern und von 1995 bis 2002 bei Borussia Dortmund. Die AZ hat vor dem Showdown seiner Ex-Klubs am Samstag (18.30 Uhr/Sky und im AZ-Liveticker) mit dem Ex-Nationalspieler gesprochen.
AZ: Herr Kohler, der FC Bayern gegen Dortmund, das vorentscheidende Spiel um die Meisterschaft: Herrscht auch bei Ihnen eine gewisse Vorfreude?
JÜRGEN KOHLER: Ja, natürlich. Es ist alles angerichtet für ein echtes Spitzenspiel. Bayern muss gewinnen. Deshalb kann man von einer interessanten Partie ausgehen.
Wie ist das 5:4-Pokalspektakel der Bayern gegen Zweitligist Heidenheim einzuordnen?
Das Positive ist, dass sie jetzt im Halbfinale sind. Es sollte Bayern aber natürlich nicht passieren, wenn sie 4:2 führen, noch zwei Gegentore zu bekommen. Umso ärgerlicher ist das, wenn du so lange mit Zehn gegen Elf spielen musst. Das steht aber auch für den gesamten Verlauf ihrer Saison. Bayern schafft es nicht, konstant auf hohem Level zu spielen. Gegen Dortmund wird Bayern noch schärfer spielen, das ist die Grundvoraussetzung. Da muss jeder an die Leistungsgrenze ran. Sonst wird es problematisch.
Welcher Ihrer Ex-Klubs ist Favorit?
Keiner. Ich sehe weder Dortmund in Topform noch Bayern. Das ist ein Duell auf Augenhöhe – mit leichten Vorteilen für Dortmund, weil der BVB zwei Punkte vorne liegt. Auf der anderen Seite haben die Bayern oft genug bewiesen, dass sie in solchen Spielen einen raushauen können. Da ist alles möglich, ich tippe 2:2.
Köhler: Einen wie Kahn gibt es heute nicht mehr
Es ist in der Vergangenheit ja öfter mal emotional zugegangen, 1999 etwa mit Oliver Kahns Kung-Fu-Tritt. Erwarten Sie auch diesmal einen echten Fight?
Ich sehe bei Dortmund und beim FC Bayern nicht so emotionale Typen, wie Oliver Kahn einer war. Der hat sich immer wieder gepusht, um außergewöhnliche Leistungen zu bringen. Es werden andere Charaktere auf dem Platz stehen.
Vermissen Sie heute Typen wie Kahn in solchen Spielen?
Wir sind ja selbst daran Schuld, weil wir in Deutschland lieber Spieler haben, die gleich gegelt und gleich geformt sind. Deshalb sterben die etwas anderen Spielertypen aus. Der vielleicht letzte dieser Art ist Max Kruse von Werder Bremen, der ein bisschen aus der Reihe fällt. Der bringt aber trotzdem immer seine Leistung.
Ist Marco Reus, der gerade zum ersten Mal Vater geworden ist, Dortmunds Schlüsselspieler am Samstag?
Das kann schon sein. Reus hat es bisher in den ganz großen Spielen noch nicht so oft gezeigt, aber er ist ein außergewöhnlich guter Fußballer, wahrscheinlich einer der besten in der Bundesliga. Außer dem Pokalsieg 2017 fehlen ihm noch die Titel. Wenn Reus gesund und fit ist, hat er große Qualitäten. Die Geburt seines ersten Kindes wird ihn beflügeln. Jetzt hat er nicht mehr nur für sich selbst Verantwortung, sondern auch für zwei andere Menschen.
Wie wichtig ist beim BVB Axel Witsel im Mittelfeld?
Er war auf jeden Fall ein sehr guter Einkauf. Witsel und Thomas Delaney sind im zentralen Mittelfeld ganz wichtig. Denn gerade im Abwehrbereich ist Dortmund anfällig, da gibt es keine Topspieler. Jetzt sind auch noch Achraf Hakimi und Abdou Diallo verletzt. Was für Dortmund spricht, ist das Durchschnittsalter und dass sich diese Spieler noch entwickeln können.
Köhler: Javi Martínez kann der Schlüssel sein
Wen sehen Sie bei Bayern in der Innenverteidigung am stabilsten: Niklas Süle, Mats Hummels oder Jérôme Boateng?
Der stabilste von allen ist im Moment Süle. Boateng und Hummels sind schon ein paar Jahre älter geworden, sie gehören für mich aber nicht zum alten Eisen. Jeder Spieler durchlebt mal Schwächephasen in seiner Karriere. Boateng und Hummels können noch immer auf einem hohen Level spielen. Für Samstag erwarte ich, dass Süle gesetzt ist und von einem der Weltmeister unterstützt wird.
Was halten Sie eigentlich von Lucas Hernández, den die Bayern für 80 Millionen Euro verpflichtet haben?
Er ist Weltmeister geworden mit Frankreich, bei Atlético Madrid hat er aufgrund seiner Verletzung leider lange nicht gespielt. Ein hochinteressanter Spieler, der sich in Deutschland aber auch erst mal beweisen muss. Da haben sich schon andere Spieler schwergetan.
Erwarten Sie, dass für Hummels oder Boateng am Saisonende bei Bayern Schluss ist?
Das ist gut möglich. Beide haben natürlich noch Verträge. Die Frage ist auch, welche Alternativen Boateng und Hummels haben.
Noten zum FC Bayern: Zwei Mal die Sechs für ganz wilde Bayern
Auf welchen Bayern-Spieler kommt es gegen Dortmund besonders an?
Javi Martínez hat in diesen großen Spielen oft bewiesen, dass er der Abfangjäger im Mittelfeld sein kann. Er und Hummels waren im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Liverpool wirklich sehr, sehr gut. Die können ein Brett raushauen, einen super Tag haben. Das gilt bei Dortmund aber auch für Reus, Mario Götze und Paco Alcácer. Es wird ein enges Duell.
Robert Lewandowski wird oft vorgeworfen, dass er in den großen Spielen nicht überzeugt.
Zumindest in der Bundesliga stimmt das nicht, da hat Lewandowski überragende Jahre hinter sich. Er gehört immer zu den Top-3-Torjägern mit seiner Qualität. Aber Bayern hat ihn natürlich nicht nur geholt, um deutscher Meister oder Pokalsieger zu werden. Man will den großen Wurf in der Champions League landen, das hat in dieser Saison leider wieder nicht geklappt. Lewy ist ein besonderer Stürmer. Dass er in den vergangenen Jahren immer wieder mit seinem Abschied kokettiert hat, hat mir allerdings nicht gefallen.
Muss Niko Kovac Meister werden, um mit Ruhe in die neue Saison gehen zu können?
Ich glaube schon. Der Anspruch bei Bayern ist, die Nummer eins in Deutschland zu sein. Daran wird auch Kovac gemessen.
Alles zum Bundesliga-Kracher finden Sie in unserem AZ-Newsblog
Lesen Sie auch: Niko Kovac bemängelt Einstellung der Mannschaft
Lesen Sie auch: FC Bayern mit wackliger Defensive - Lewandowski mahnt vor Spitzenspiel