Jerome Boateng: Der Weltklasse-Hallodri
Jerome Boateng erlebt wie kaum ein anderer Nationalspieler das Auf und Ab eines Fußball-Profis. Vor wenigen Wochen galt er noch als gereift, jetzt meldet mancher Experte schon wieder Zweifel an.
München – Es war nur eine knappe, mal eben so dahingesagte Bemerkung, doch sie säte wieder diese altbekannten Zweifel. "Ein Weltklasseverteidiger", stichelte Sky-Experte Stefan Effenberg, "nimmt den mit links." Jerome Boateng entschied sich gegen Mainz 05 in der fraglichen Szene für den rechten Fuß, traf den Ball nicht richtig – und schon stand's 0:1. Dass es sein einziger Fehler in diesem Spiel war, das Bayern München am vergangenen Samstag noch 4:1 gewann, änderte nichts an den schlechten Kritiken für Boateng.
"Typisch", raunten die Fans an den Stammtischen, und nicht nur Effenberg stützte dieses Urteil. Da war er wieder, der bayerische Bruder Leichtfuß, der Hallodri der Hintermannschaft. Dabei waren sich die Beobachter doch noch wenige Wochen zuvor einig gewesen, dass Boateng diese Phase seiner Karriere längst hinter sich gelassen hat. Das Fachmagazin kicker sah Boateng Ende September "stärker als sein Image". Der 25-Jährige habe "seine Kritiker widerlegt".
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Tatsächlich präsentierte sich Boateng in der zweiten Halbserie der Triple-Saison sowie zu Beginn der aktuellen Spielzeit deutlich ruhiger am Ball als noch am Anfang seiner Bayern-Zeit. Auch fiel er nicht mehr mit ungestümen Grätschen auf. Boateng spiele "verlässlich auf hohem Niveau", sagte Sportvorstand Matthias Sammer, der "Anlagen auf Weltklasse-Niveau" beim gebürtigen Berliner ausmachte.
Bundestrainer Joachim Löw beorderte Boateng in jedem der letzten vier WM-Qualifikationsspiele in die Startelf. Der Bayern-Profi sei seit sechs Monaten "so gut wie selten zuvor", begründete Löw seine Wahl. Und Bayern-Präsident Uli Hoeneß sah in Boateng sogar den "mit Abstand besten Innenverteidiger Deutschlands". Boateng selbst sagte, er mache sich selbst "nicht mehr so viel Druck wie früher". Die neue Gelassenheit sei der Schlüssel zur spielerischen Konstanz.
Großen Anteil daran habe der neue Bayern-Coach Pep Guardiola. Es war das beste Spiel der Münchner in dieser Saison, doch Boateng trübte den Rausch. Er flog vom Platz, am Mittwoch gegen Viktoria Pilsen war er gesperrt.
Als Boateng in Manchester auf den roten Karton blickte, fühlten sich einige an den 5. Dezember 2012 erinnert. Damals flog er in der Königsklasse gegen Bate Borissow nach einem überflüssigen Foul vom Platz. "Völlig unnötig. Er muss daraus lernen", schimpfte Trainer Jupp Heynckes. Boateng nahm sich das zu Herzen, kam stärker zurück und hatte großen Anteil am Triple-Triumph. Borissow und Manchester sind nicht vergleichbar. Der Platzverweis gegen City war nicht Folge unbeholfenen Einsteigens, sondern ein Opfer im Dienste des Teams.
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Jedoch: Bereits in seinem letzten Pflichtspiel vor Mainz machte Boateng nicht den besten Eindruck. Beim 5:3 der Nationalmannschaft in Schweden trat er an der Seite des Dortmunders Mats Hummels alles andere als überzeugend auf. Seine nächste Bewährungsprobe muss er am Samstag gegen seinen früheren Klub Hertha BSC bestehen. Das Spiel sei "etwas Besonderes", sagt Boateng, aber nicht wegen Mainz, sondern wegen der Verbundenheit zur alten Heimat.
Gut möglich, dass ein souveräner Boateng dann wieder seinen Teil zu einem überzeugenden Bayern-Sieg beiträgt. Boateng erlebt wie kaum ein anderer Nationalspieler das ewige Auf und Ab eines Profis. Für die Münchner Verantwortlichen steht gleichwohl fest, dass Fehler wie gegen Mainz die Ausnahme sind, die die Regel bestätigen, dass "Boa" Klasse hat. Sie werden seinen 2015 auslaufenden Vertrag verlängern.