Friede, Freude, Stammplatz: Nagelsmann vermisst, was Flick hatte
München - Noch heute sprechen Bayern-Fans mit glänzenden Augen vom Champions-League-Triumph 2020 in Lissabon. Nicht nur, weil das Team von Cheftrainer Hansi Flick mit dem 1:0 im Endspiel gegen Paris St.-Germain den Henkelpott gewinnen konnte, sondern auch, weil die Kaderbreite damals der pure Luxus war - aus heutiger Sicht umso mehr.
Zur Erinnerung: Im Finale 2020 konnte Flick bereits in der ersten Halbzeit den angeschlagenen Jérôme Boateng ohne Qualitätsverlust durch Niklas Süle ersetzen, später kamen die Inter-Leihgabe Ivan Perisic, die Barcelona-Leihgabe Coutinho und kurz vor Schluss noch Corentin Tolisso in die Partie. Ohne Einsatz auf der Ersatzbank: die französischen Weltmeister Lucas Hernández und Benjamin Pavard (nach vorheriger Verletzung) sowie Routinier Javi Martínez und Real-Leihgabe Alvaro Odriozola. Welch' Überfluss an Stars!
FC Bayern: Schon zwei Ausfälle führen zu Problemen
Und heute? Gibt es diese qualitative Vielfalt nicht mehr, solch eine gehobene Kadertiefe fehlt. Allein die langfristigen Ausfälle zweier Stammspieler mit Leon Goretzka (anhaltende Patellasehnen-Probleme) und Alphonso Davies (Herzmuskelentzündung) führen zu Problemen. Wegen des Ausfalls von Offensiv-Linksverteidiger Davies kann Trainer Julian Nagelsmann nicht seine Wunschformation mit einem asymmetrischen 4-2-3-1 aufbieten, schwankt zwischen einer Dreier- und Viererkette - was schließlich auch einer der Gründe für die 2:4-Pleite in Bochum war. Abgesehen von der allgemein laschen Einstellung im Ruhrstadion.
In der Startformation finden sich meist kaum mehr als 13, 14 Profis. Der Rest darf bei komfortablem Vorsprung in den letzten zehn oder 20 Minuten Spielpraxis sammeln. Duelle um Stammplätze gibt es kaum, noch weniger seit Mittelfeld-Allrounder Jamal Musiala vor einer Woche positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Friede, Freude, Stammplatz?
Nagelsmann deutet Wunsch nach breiterem Kader an
Ehrenpräsident Uli Hoeneß (70) hat da so ein Gespür, wie er am Montagabend beim österreichischen Sender "ServusTV" anmerkte: "Ich glaube, das Problem ist, dass unsere Spieler, wenn sie die Zeitung aufschlagen, immer lesen, dass sie unschlagbar sind. Ich habe gehört, dass die Stimmung in der Mannschaft sehr gut ist - vielleicht zu gut, es gibt zu wenig Reibung!"
Am Tag vor dem Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei RB Salzburg (Mittwoch, 21 Uhr/DAZN und im AZ-Liveticker) erklärte Nagelsmann dazu: "Ich gebe dem Uli absolut Recht! Das mit der Reibung haben wir am Ende als Klub selbst in der Hand..."
Ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Vereinsführung mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic sowie Vorstandsboss Oliver Kahn. Nagelsmann, der laut eigener Aussage ein "großer Fan von Winter-Transfers" ist, meinte dazu: "Reibung im Team können wir am Ende selbst herstellen, indem man auf dem Transfermarkt aktiv ist. Klar, dafür gibt es bestimmte Rahmenbedingungen."
Julian Nagelsmann wollte wohl Neuzugänge im Winter
Und weiter: "Natürlich kann man auch intern Reibung herstellen, aber dafür musst du immer ein einheitliches Niveau über die gesamte Kaderstruktur haben. Wir haben einfach ein paar Ausfälle mit Jamal, Leon und Phonzy. Deswegen kann sich der ein oder andere auch ziemlich sicher sein, dass er spielt. Es entsteht dann nicht immer die nötige Reibung."
In der Winterpause hat man keinen Transfer getätigt. Nagelsmann klingt so, als hätte er durchaus Kandidaten vorgeschlagen: "Es muss ein gemeinschaftlicher Konsens bei allen beteiligten Personen herrschen, der war aber im Winter nicht da und deshalb haben wir nichts gemacht. Es bringt nichts, wenn der Brazzo einen Spieler will, aber ich nicht. Oder wenn ich einen Spieler will, aber der Oli nicht."
Es war die Rede von Sergino Dest (FC Barcelona) und Denis Zakaria (Mönchengladbach), der im Januar zu Juventus Turin wechselte.
Aktuell gehören die Talente Paul Wanner (16) und Malik Tillman (19) regelmäßig zum Kader. Top-Leihgaben wie Perisic oder Coutinho hat Nagelsmann nicht als Joker in der Hinterhand.