FC-Bayern-Legende Lothar Matthäus wird in der AZ emotional: "Habe selten so viel geweint"
AZ-Interview mit Lothar Matthäus. Der frühere Weltfußballer (62) spielte zwölf Jahre für den FC Bayern, gewann 14 Titel. Heute ist er als Sky-Experte tätig.
AZ: Herr Matthäus, der FC Bayern und Trainer Thomas Tuchel trennen sich im Sommer, zunächst soll die Saison noch möglichst erfolgreich zu Ende gespielt werden. Kann das gelingen in der aktuellen Krise?
LOTHAR MATTHÄUS: Die einvernehmliche Trennung ist auf jeden Fall die beste Lösung für beide Seiten. Man hat es vielleicht von Anfang an nicht richtig eingeschätzt, es hat nicht gepasst. Wenn die Mannschaft jetzt aber weiter so spielt wie zuletzt und noch zwei weitere Spiele verliert, könnte ich mir vorstellen, dass man sich doch schon vorher trennt und noch einen Interimstrainer bis Saisonende präsentiert.
Xabi Alonso ist der Hauptkandidat beim FC Bayern
Im Sommer soll dann ein Neuanfang erfolgen. Wer würde als Tuchel-Nachfolger am besten passen?
Da gibt es aktuell nur einen Hauptkandidaten: Xabi Alonso, der mit Bayer Leverkusen die Liga rockt. Er kennt den FC Bayern aus seiner Zeit als Spieler und würde perfekt passen. Es ist ja zurzeit für jeden Topklub eine Verpflichtung, Alonso auf dem Zettel zu haben. Leverkusen ist für mich das überragende Team in ganz Europa. Die Mannschaft spielt attraktiv und selbstbewusst, hat noch kein Spiel verloren.
Aber neben Bayern bemüht sich auch der FC Liverpool intensiv um Alonso.
Das stimmt, die Premier League ist auch sehr attraktiv, die finanziellen Möglichkeiten sind groß. Aber: In Liverpool würde Alonso Nachfolger von Jürgen Klopp werden, der extrem verehrt wird. Ähnlich ist es bei Real Madrid und Carlo Ancelotti. Bei Bayern hingegen würde er auf Thomas Tuchel folgen, der nicht ganz so verehrt wird. Der Einstieg bei Bayern wäre also einfacher. Ich denke auch, dass Alonso bei Bayern einen erfolgreichen Umbruch vollziehen könnte, wie es ihm bei Bayer Leverkusen gelungen ist.

Lothar Matthäus: Es muss alles beim FC Bayern hinterfragt werden
Wie kompliziert wird die Aufgabe in der aktuellen Lage eigentlich für Max Eberl, der Anfang März als Sportvorstand bei Bayern anfangen soll?
Wichtig ist, dass der Verein zusammensteht und eine klare Linie vorgibt. Das ist die Hauptaufgabe von Max Eberl im sportlichen Bereich. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind nicht mehr ganz vorne dabei, daher lautet die Frage nun: Wer bestimmt in Zukunft? Max Eberl allein? Oder zusammen mit Christoph Freund? Die beiden müssen sich auch erst finden. Zu meiner Zeit hatte man immer eine Einheit bei Bayern – vom Schatzmeister bis zum Präsidiumsmitglied. Vom Gefühl her ist es aktuell keine geballte Kraft beim FC Bayern.
Muss es im Sommer einen Umbruch in der Mannschaft geben?
Es muss nicht nur die Mannschaft hinterfragt werden, sondern alles. Es ist ja nicht so, dass nur die Spieler Schuld sind. Die Spieler sind vielleicht auch nicht so geführt worden, wie sie es erwartet haben. Das war in den Jahren davor ein bisschen anders. Man musste sehr viel einstecken, sehr viel hören von Seiten der Verantwortlichen - das schmeckt keinem Spieler. Mir hat es früher auch nicht geschmeckt, wenn ich öffentlich in Frage gestellt worden bin. Es ist beim FC Bayern aktuell recht einfach, Baustellen zu finden, weil sie diese Baustellen auch aufgemacht haben. Ich glaube, das erkennen sie auch selber, Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge sind ja lange genug dabei. Aber vielleicht haben Uli und Kalle auch zu früh das Lenkrad losgelassen. In den vergangenen Jahren ist man in eine Richtung gesteuert mit sehr teuren Transfers. Ich denke vor allem an die Innenverteidigung, die fast 300 Millionen Euro gekostet hat mit Lucas Hernández, Benjamin Pavard, Min-Jae Kim, Dayot Upamecano und Matthijs de Ligt.

Matthäus kritisiert die Aufstellung von Thomas Tuchel gegen Bochum
Und man hat trotzdem keine Stabilität in die Defensive bekommen.
Ja. Man hat auf einigen Positionen trotzdem Probleme und nicht mehr solche Spieler wie Mats Hummels oder Jérôme Boateng gefunden, die den Laden früher zusammengehalten haben. Aus meiner Sicht haben die Probleme schon nach Hansi Flick angefangen. Hansi hatte ein Problem mit Hasan Salihamidzic (Ex-Sportvorstand, d.Red.), weil es bei den Transfers nicht nach Hansi gegangen ist. Das ist auch verständlich, weil der Verein über allem steht. Da hatte Hasan eben eine andere Position. Hansi hätte gerne andere Transfers gesehen – und ich sage mal einen Namen: Hansi hatte vor vier Jahren schon ein Auge auf Florian Wirtz geworfen. Den hat er damals nicht durchboxen können.
Wie sehen Sie die Entwicklung von Mathys Tel, der in der Schlussphase am Sonntag gegen Bochum viel Schwung reingebracht hat, aber nur noch selten zum Einsatz kommt?
Ich habe vor dem Bochum-Spiel darüber nachgedacht, warum dieser junge Spieler, der immer performt hat, wenn er reingekommen ist, eigentlich nicht mehr Einsatzzeit bekommen hat. Tel ist viel gelobt worden von Tuchel, aber Lob allein ist nicht das, was der Spieler haben will, er will Einsatzzeit. Wenn ich die Aufstellung in Bochum gesehen habe, dann habe ich mich gewundert. Serge Gnabry und Kingsley Coman sind verletzt, Leroy Sané angeschlagen, ich brauche Geschwindigkeit auf dem Flügel und auf einmal spielen Jamal Musiala und Thomas Müller außen - dabei wäre das doch ein Spiel für Tel gewesen. Wenn drei Spieler ausfallen, ist es für einen jungen Spieler ein Schlag ins Gesicht, wenn dann der zweite Mittelstürmer (Eric Maxim Choupo-Moting, d.Red.) vorgezogen wird und Musiala und Müller auf Positionen spielen, auf denen sie vielleicht gar nicht unbedingt spielen wollen.
Lothar Matthäus: Mathys Tel hat die "FC-Bayern-DNA"
Tuchel hat sich trotzdem so entschieden.
Das ist gar nichts gegen Thomas Tuchel, er hat manchmal einfach eine andere Einstellung als ich zu Spielern und Positionen, aber nach meinem Fußballverstand hätte Tel nicht erst in der letzten Viertelstunde spielen sollen. Denn Tel ist für mich einer, der die Bayern-München-DNA hat. Er hat zu wenig Einsatzzeit bekommen – nicht nur in Bochum, sondern auch am Anfang der Saison, als er viele Tore gemacht hat, wenn er reingekommen ist. Er möchte ja nicht immer nur Joker sein.
Beim Spiel gegen Leipzig am Samstag wird der FC Bayern Andreas Brehme gedenken, Ihrem langjährigen Mitspieler und Freund, der in der Nacht auf Dienstag mit nur 63 Jahren verstorben ist. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?
Ich habe selten so viel geweint wie an diesem Morgen, als ich die Nachricht erhalten habe. Es nagt noch immer an mir. Andy war für mich nicht nur ein Mitspieler und Freund, sondern ein Familienmitglied. Wir haben unzählige Nächte als Zimmerkollegen zusammen verbracht, vier Jahre bei Inter Mailand, auch bei der Nationalmannschaft. Da lernt man einen Menschen kennen. Und Andy war natürlich ein überragender Fußballer mit einer hohen Spielintelligenz, er hat alles richtig gemacht auf dem Platz, war beidfüßig stark - das gibt es auf diesem Niveau ganz selten.