FC-Bayern-Aufsichtsrat Edmund Stoiber: Das wäre noch wichtiger als ein EM-Triumph

Exklusiv in der AZ spricht FC-Bayern-Aufsichtsrat Edmund Stoiber über die Heim-EM, Nagelsmanns Mut, Beckenbauers Verdienste, die AfD und das Sommermärchen: "Unser Land war 2006 nicht so gespalten wie jetzt."
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Seit 2007 nicht mehr Chef der CSU, aber Edmund Stoiber hat immer noch viel zu sagen: über die Heim-EM, die AfD und natürlich seinen FC Bayern.
Seit 2007 nicht mehr Chef der CSU, aber Edmund Stoiber hat immer noch viel zu sagen: über die Heim-EM, die AfD und natürlich seinen FC Bayern. © imago

AZ: Herr Stoiber, in knapp zwei Wochen startet die Heim-EM mit dem Eröffnungsspiel der deutschen Mannschaft gegen Schottland, es ist das größte Sportereignis hierzulande seit der WM 2006. Wenn Sie an das Sommermärchen 2006 denken: Was kommt Ihnen zuerst in den Sinn?
EDMUND STOIBER: Spontan eine besondere Begegnung. Ich war damals zu einer Veranstaltung auf der Fanmeile in Berlin eingeladen und habe gesehen, wie ein bestens gekleideter Manager mit Aktenkoffer einen Bauarbeiter umarmt hat, der noch seine Arbeitskluft anhatte. Beide haben sich über ein Tor der deutschen Mannschaft gefreut, sie waren sich völlig einig – und haben zusammen gefeiert. Das ist mir bis heute in Erinnerung geblieben. Welche Ereignisse gibt es sonst noch, die Menschen, die sonst vielleicht nie miteinander zu tun haben, so emotional zusammenbringen? Das kann nur der Fußball. Und ich hoffe, dass es bei der EM wieder so sein wird. Das Sommermärchen zu wiederholen, ist sicher ein sehr hoher Anspruch. Es war ja damals wie in Italien, vier Wochen lang Sonne. Ich freue mich jedenfalls auf ein großes und friedliches Turnier.

Edmund Stoiber, hier mit AZ-Chefreporter Maximilian Koch (l.) bei sich zu Hause in Wolfratshausen, war von 1993 bis 2007 Ministerpräsident Bayerns. Er ist Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzender des Verwaltungsbeirats beim FC Bayern.
Edmund Stoiber, hier mit AZ-Chefreporter Maximilian Koch (l.) bei sich zu Hause in Wolfratshausen, war von 1993 bis 2007 Ministerpräsident Bayerns. Er ist Aufsichtsratsmitglied und Vorsitzender des Verwaltungsbeirats beim FC Bayern. © privat

Werden Sie selbst im Stadion sein?
Zum Eröffnungsspiel in München habe ich eine Einladung, ich weiß aber noch nicht, ob ich hingehen kann. Ich bin regelmäßig mit meiner Frau bei den Heimspielen des FC Bayern, als Aufsichtsrat gehört das für mich dazu. Insgesamt spielt Fußball eine große Rolle in unserer Familie, wir freuen uns auf die EM. Meine Enkelin war neulich mit mir im Stadion bei Bayern, davon hat sie dann am Montag in der Schule ganz glücklich erzählt.

FC-Bayern-Aufsichtsrat Stoiber hält große Sport-Turniere für extrem wichtig

Inwiefern würde eine erfolgreiche EM das Image Deutschlands beeinflussen?
Was so ein Turnier bedeuten kann, hat vor vielen, vielen Jahren schon Walter Jens, der große Vordenker, auf den Punkt gebracht. Jens hat gesagt, dass der deutsche WM-Sieg 1954, das "Wunder von Bern", die zweite Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland nach 1949 war. Und da hatte er Recht. In ganz Deutschland sind die Menschen damals aus ihren Häusern gekommen, um zu feiern, Tausende haben den Helden von Bern zugewunken, als der Zug aus der Schweiz nach Deutschland zurückgefahren ist. Dieser Erfolg 1954 hat den Deutschen viel Zuversicht gegeben. Und auch andere Sportereignisse hierzulande hatten sehr positive Auswirkungen.

An welche denken Sie konkret?
Die Olympischen Spiele 1972 haben uns in der ganzen Welt Respekt verschafft, da hat sich das demokratische, das neue Deutschland gezeigt. Genauso die WM 1974 in Deutschland mit dem Sieg im Endspiel in München gegen die Niederlande. Beides waren äußerst wichtige Ereignisse, aber 2006 hat das dann noch mal getoppt. Die WM hat das Image des Landes verändert und Deutschland insgesamt unheimlich weitergebracht. Die Deutschen haben sich vor allem an dem Turnier an sich erfreut, an den Fans aus aller Welt, an dem friedlichen, fröhlichen Miteinander. Es wurde ja ein Märchen, auch wenn die deutsche Mannschaft gar nicht Weltmeister geworden ist, sondern "nur" Dritter. Man hat in Deutschland plötzlich wieder die Fahnen geschwungen – und das hatte nichts mit nationalistischen Beweggründen zu tun. Es herrschte ganz einfach eine heitere Stimmung.

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Kann es bei der Heim-EM nun wieder so werden wie 2006?
Ich würde es mir wünschen – aus mehreren Gründen. Zunächst wäre eine erfolgreiche EM politisch gut. Die AfD profitiert ja vor allem dann, wenn es schlecht läuft. Wenn nun ein positives Bild erzeugt wird mit Menschen, die zusammen mitfiebern und feiern, beim Public Viewing oder zu Hause mit Freunden, Jung und Alt gemeinsam, dann kann das Miteinander in unserem Land gestärkt werden. Die AfD schürt ja eine negative Stimmung mit Hass, Häme, Gegeneinander, sie lebt vom Misserfolg, den sie selbst anprangert, ohne Alternativen zu nennen. Ein Erfolg der deutschen Mannschaft würde von einem Großteil der Bevölkerung positiv und mit Freude begleitet werden. Das ist nicht das Klima, in dem der Weizen der AfD blüht. Vielleicht entsteht durch die EM ein positives Momentum, das würde auch wirtschaftlich helfen.

Edmund Stoiber über Sicherheit bei der EM: "Eine abstrakte Gefahr besteht immer"

Inwiefern?
Heute stehen wir wirtschaftlich schlechter da als 2006, auch wenn die Lage damals sicher nicht super war. Wir sind so ein starkes Land, aber 2023 haben wir beim Wirtschaftswachstum sogar ein Minus gemacht. Die Prognosen für 2024 und 2025 sind nur leicht im Plus. Das ist für Deutschland eigentlich unvorstellbar. Gerade in einer solchen Zeit, in der es wirtschaftlich oft schlechte Nachrichten gibt, kann die EM uns helfen. Zuversicht wäre jetzt gut, um nach schwierigen Jahren – inklusive der Pandemie – wieder stark zu werden.

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Haben Sie Bedenken, was das Thema Sicherheit angeht? Die Lage in Europa ist eine andere als 2006, wie kürzlich erst das schlimme Attentat auf den slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico gezeigt hat...
Eine abstrakte Gefahr besteht immer, doch ich sage deutlich, dass ich auf die Sicherheitsbehörden vertraue. Bislang sind sie mit allen Herausforderungen gut fertig geworden, etwa mit den Reichsbürgern. Unsere Sicherheitsbehörden sind sehr wachsam, und sie wissen, was auf sie zukommt. Zugleich muss man festhalten, dass die äußeren Bedingungen andere sind als 2006. Wir haben die schlimmen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die Emotionen kochen vielerorts hoch, es gibt auf der ganzen Welt wachsenden Antisemitismus. Ich hoffe, dass wir ein friedliches Turnier erleben werden nach all den schlimmen Ereignissen in den vergangenen Monaten. Ein friedliches Fest wäre wichtiger als ein deutscher EM-Triumph – auch für unsere Gesellschaft.

Stoiber: Franz Beckenbauer als OK-Chef der WM "fast aufgetreten wie ein guter Kanzler"

Wieso?
Unser Land war 2006 nicht so gespalten wie jetzt. Wir erleben heute oft ein Gegeneinander und Grenzüberschreitungen. Gerade auch bei Social Media, wo Menschen anonym attackiert werden. Mobbing wird geradezu kultiviert. Ich wünsche mir buchstäblich mehr Nächstenliebe. Das sollte doch mit die größte Tugend sein! Vielleicht kann diese Europameisterschaft wieder für ein stärkeres Miteinander in Deutschland sorgen. Der Fußball ist für die deutsche Bevölkerung zweifellos ein Identifikationsmerkmal, er hat weite gesellschaftliche Auswirkungen. Die EM kann für einen Aufschwung sorgen.

Die WM 2006 wird für immer mit dem verstorbenen Franz Beckenbauer in Verbindung bleiben, der das Turnier als Chef des Organisationskomitees nach Deutschland geholt hat. Welchen Anteil hatte Beckenbauer am Sommermärchen?
Eine WM ist noch mal etwas anderes als eine EM. Und sicher ist: Ohne Beckenbauer hätten wir die WM nie bekommen. Südafrika war doch der klare Favorit. Franz hat mit seiner hohen Reputation auf der ganzen Welt für dieses Sommermärchen gesorgt, er ist elegant, eloquent und werbend aufgetreten, fast wie ein guter Kanzler (lacht).

Auch die Fans der Nationalmannschaft verabschieden sich vom Kaiser Franz Beckenbauer.
Auch die Fans der Nationalmannschaft verabschieden sich vom Kaiser Franz Beckenbauer. © imago

Später gab es dann heftige Kritik wegen der Vergabe der WM, von schwarzen Kassen beim DFB und dubiosen Zahlungen war die Rede...
Die Hintergründe sind ja nie ganz aufgeklärt worden. Selbst Joschka Fischer oder Otto Schily haben in der Beckenbauer-Doku gesagt, dass es bei der Fifa andere demokratische Maßstäbe gibt als etwa in Deutschland. Das war kein Geheimnis. Trotzdem wollte Deutschland, wollten die Deutschen diese WM. Und wenn man sieht, welche Leistung Franz dafür erbracht hat, war die Kritik zu hart. Das war nicht mehr verhältnismäßig. Man hat Franz allein gelassen, das bedauere ich sehr. Franz Beckenbauer war und bleibt ein großer Deutscher, wohl der bekannteste Deutsche in der Welt. Und das wurde er auch wegen der WM 2006.

Edmund Stoiber über die EM-Chancen der DFB-Elf: "Ich traue der Mannschaft den Titel zu"

Was trauen Sie der deutschen Mannschaft denn zu bei Ihrem Heim-Turnier?
Unsere Hoffnung stützt sich vor allem auf die beiden überzeugenden Siege in den Länderspielen gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) im März, zuvor lief es enttäuschend. Es wurde zu viel ausprobiert und gewechselt. Aber ja: Ich traue der Mannschaft den Titel zu. Im eigenen Land, mit diesen Persönlichkeiten in der Mannschaft wie Manuel Neuer im Tor, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah in der Abwehr, Toni Kroos im Mittelfeld und Florian Wirtz und Jamal Musiala in der Offensive ist alles möglich. Ich fand es clever von Julian Nagelsmann, Kroos zurückzuholen. Jetzt baut er sein Team um Kroos herum auf. In den Champions-League-Halbfinals gegen den FC Bayern war er überragend. Nach der WM 2014 hat er sich noch einmal eindrucksvoll weiterentwickelt. Er ist der erfolgreichste deutsche Fußballer und spielt seit Jahren in der bedeutendsten Mannschaft Europas.

"Ich fand es clever von Julian Nagelsmann, Toni Kroos zurüczuholen": Edemund Stoiber ist ein Fan der Personalpolitik des Bundestrainers.
"Ich fand es clever von Julian Nagelsmann, Toni Kroos zurüczuholen": Edemund Stoiber ist ein Fan der Personalpolitik des Bundestrainers. © imago

Schmerzt es aus Bayern-Sicht, dass Leon Goretzka und Serge Gnabry nicht im deutschen EM-Kader stehen?
Es ist schade, dass Gnabry nicht dabei ist. Er ist genauso wie Leroy Sané ein Unterschiedsspieler. Gnabry und Sané hatten über Monate Verletzungsprobleme, zumindest Sané hat es glücklicherweise noch in den Kader geschafft. Generell muss ich sagen, dass mich Nagelsmann mit seiner Klarheit überrascht hat. Er hat gesagt, dass er die Spieler einlädt, die am besten zusammenpassen, nicht unbedingt die besten Einzelspieler. Damit kann er begründen, dass er Mats Hummels nicht mitnimmt – und Leon Goretzka auch nicht. Das wird für beide immer eine Enttäuschung bleiben, bei diesem Turnier im eigenen Land nicht dabei zu sein. Das kommt nur einmal im Leben. Für Goretzka tut es mir besonders leid, weil er die Herausforderung in den vergangenen Wochen angenommen hat. Schon in seiner Zeit bei Schalke hat er mir enorm imponiert. Er wusste, dass es eng wird mit einer Nominierung, aber er hat gesagt: Ich kämpfe! Hummels war vielleicht sogar noch stärker in der Rückrunde. Der Bundestrainer hat sich anders entschieden, er honoriert, was die Leverkusener und Stuttgarter für eine starke Saison gespielt haben. Das gilt es, zu respektieren.

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  • Leo99 am 03.06.2024 23:53 Uhr / Bewertung:

    Im großen und ganzen teile ich die Aussagen von Herrn Stoiber. Allerdings sollte er sich im Falle Franz Beckenbauer ganz fest an die eigene Nase fassen, dass auch er, Herr Stoiber ihn letzlich im Stich gelassen hat, als die Anschuldigungen gekommen sind, es wäre Bestechungsgeld geflossen, um damals die WM 2006 zu bekommen. Ja, warum hat denn der Herr Stoiber nicht rechtzeitig mutig den Mund aufgemacht, Beckenbauer energisch verteidigt und ihn aus der Schusslinie genommen? Jetzt ist es zu spät. Beckenbauer hat unter den Verdächtigungen gelitten wie ein Hund und ist letztlich daran zerbrochen. Ja, da wäre es auch an Herrn Stoiber gelegen, ihn rechzeitig in Schutz zu nehmen. Aber leider ging er damals auf Tauchstation, so wie es die meisten Politiker tun, wenn etwas brenzlig wird. Schade.

  • am 03.06.2024 09:22 Uhr / Bewertung:

    Politik im Sport ist wie Krebs und Krätze gleichzeitig.

  • Himbeer-Toni am 03.06.2024 15:08 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von

    Richtig. Aber leider, leider untrennbar miteinander verbunden.

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