Wie einst beim FC Bayern: Folgt Nagelsmann auch beim DFB auf Hansi Flick?

Gelsenkirchen - Ratlos und mit versteinerter Miene ging Hansi Flick nach der 0:2-Niederlage seiner Nationalelf in Richtung der kolumbianischen Trainerbank. Ein obligatorisches Händeschütteln und es hieß einmal mehr: Dem Gegner zum Sieg gratulieren. Die deutsche Nationalmannschaft steckt in einem tiefen Loch. Und Bundestrainer Hansi Flick? Der ist derzeit nur noch ein Schatten seiner erfolgreichen Bayern-Zeit!
Pfiffe und "Flick raus!"-Schilder: Fans haben die Schnauze voll
In der Veltins-Arena, in der normalerweise der FC Schalke 04 auftritt, lieferte das DFB-Team einmal mehr eine blutleere Leistung ab und ist mit der 0:2-Niederlage gegen den Außenseiter aus Südamerika noch gut davongekommen.
Dass die mittlerweile leidgeprüften Fans inzwischen genug von der Nationalmannschaft haben wurde bereits während und vor allem nach der Partie deutlich: Laute Pfiffe hallten schonungslos durch die Arena, sogar einige "Flick raus!"-Schilder waren im Publikum zu sehen. Zeichen, die deutlich machen, wie groß die Unzufriedenheit mit der DFB-Elf und Flick ist.
Einige Fans fordern schon den Rauswurf von Flick
Nach der nächsten Pleite geht es nun sogar schon so weit, dass einige Fans die Entlassung des Bundestrainers fordern. Auch die Tatsache, dass die deutsche Nationalmannschaft die Arena auf Schalke nicht voll bekam und nur 50.000 Zuschauer das Spiel im Stadion mitverfolgen wollten, spricht Bände.
All die Empörung – verständlich! Und das nach einer Niederlage gegen Kolumbien, einem Team, das bei der vergangenen Weltmeisterschaft gar nicht erst dabei war. Sie zeigten der DFB-Elf klar ihre Schwachstellen auf und hätten sogar noch höher gewinnen können. Auf der anderen Seite: Eine Nicht-Leistung, die sich nahtlos in die vergangener Wochen und Monate einreiht. Und das unter der Leitung von Hansi Flick, dem Trainer, der dem DFB eigentlich wieder Euphorie, Glanz und vor allem Erfolg verschaffen sollte.
Hansi Flick: Vor drei Jahren noch Triple-Held, jetzt das Sinnbild der DFB-Misere
Nicht einmal drei Jahre sind vergangen, da war Hansi Flick am Ziel seiner Träume angelangt und einer der erfolgreichsten Trainer überhaupt. Glücklich reckte er mit seinem Team – dem FC Bayern – den Henkelpott in den Nachthimmel von Lissabon, nachdem der deutsche Rekordmeister Paris-Saint-Germain im Champions-League-Finale mit 1:0 besiegte und zum ersten Mal seit 2013 wieder die Champions League gewinnen konnte.

Im Anschluss an eine abermals enttäuschendes Abschneiden bei einer Endrunde war Jogi Löw nach der EM 2021 beim DFB-Geschichte. Nach internen Differenzen mit der Führungsriege des FC Bayern kristallisierte sich zudem heraus, dass auch Flicks Zeit in München ein Ende nehmen wird. Und schnell war klar: Flick wollte zum DFB und neuer Bundestrainer werden. Flick – der neue starke Mann an der Seitenlinie – sollte Fußball-Deutschland mit einem Sextuple im Gepäck in Euphorie versetzen. Immerhin findet die nächste Europameisterschaft 2024 im eigenen Land statt.
Katastrophale Bilanz: Flick zweitschlechtester Trainer in DFB-Historie
Doch etwas mehr als zwei Jahre später ist davon nichts mehr zu sehen. Die Niederlage gegen Kolumbien war die mittlerweile fünfte aus den vergangenen 16 Spielen. Damit haben Joshua Kimmich und Co. im besagten Zeitraum öfter verloren als gewonnen (4 Mal) und gingen ganze sieben Mal mit einem Remis vom Feld. Auch der Blick auf seine gesamte DFB-Zeit ist erschreckend: Mit einem Punkteschnitt von 1,79 Punkten pro Spiel ist Hansi Flick der zweitschlechteste DFB-Trainer aller Zeiten.

Auch hier zeigt der Blick auf seine erfolgreiche Bayern-Zeit, wie groß die Lücke zwischen dem Vereins-Flick und dem Nationalmannschafts-Flick ist. Beim deutschen Rekordmeister glänzte der heute 58-Jährige mit einem Punkteschnitt von 2,45 Punkte pro Spiel. Bis heute hält er den Rekord für die höchste Siegquote eines Bayern-Trainers (81 Prozent). Umso mehr muss man sich mit Blick auf seine bisherigen Ergebnisse beim DFB die Augen reiben.
Ein großes Problem: Große Verunsicherung im Spiel
Doch woran liegt's, dass Flick mit der DFB-Elf einfach nicht ins Rollen kommt? Setzte er beim FC Bayern noch auf das 4-2-3-1-System und spielte nahezu jedes Spiel mit den identischen Spielern, so sehr würfelt er die deutsche Nationalelf ein ums andere Mal komplett durch. Gerade in der Abwehr experimentiert der Bundestrainer seit seinem Antritt wie wild herum. Gegen Kolumbien schickte Flick die 21. verschiedene Abwehr aufs Feld – wohlgemerkt im 24. Spiel. Die große Frage, die sich wohl nicht nur die Fans stellen dürften: Wie soll sich bei so vielen Wechseln ein Team einspielen und mit Sicherheit in Richtung Heim-EM gehen können?
Beim deutschen Rekordmeister konnte Flick kontinuierlich auf seine Leistungsträger setzen: Manuel Neuer im Tor, David Alaba als klarer Abwehrchef in der Defensive und nach vorne auf jeder Linie mit Kimmich, Thomas Müller und Robert Lewandowski drei weitere gesetzte Spieler, die für eine eingespielte Mannschaft sorgten. Beim DFB ist das Gegenteil der Fall. Weniger als ein Jahr vor dem Start der Euro 2024 rätselt Fußball-Deutschland vergebens, wer denn dieses Mal beispielsweise im Sturm oder Abwehrzentrum aufläuft.

Zu den gescheiterten Experimenten sagte der Nationaltrainer nach der Niederlage gegen Kolumbien: "Wenn wir es auf den Punt bringen, ist es in die Hose gegangen. Das, was wir ausprobiert haben, hat in dieser Form nicht geklappt." Dass ein so erfahrener Mann erst nach 24 Spielen zu einer solchen Erkenntnis kommt, gibt Anlass zur Sorge...
Jürgen Klopp keine Option, Nagelsmann wäre nur der Zweitjüngste beim DFB
Trotz all der öffentlichen Rückdeckung wird Medienberichten zufolge intern bereits über mögliche Flick-Nachfolger diskutiert. Dessen Glück könnte sein, dass es aktuell nur wenige Optionen gibt, die das Land mitreißen und überzeugen würden. Jürgen Klopp – ein Trainer, der definitiv Euphorie entfachen könnte – ist weiterhin an den FC Liverpool gebunden. Unwahrscheinlich, dass ihm die "Reds" erlauben, parallel zu seinem Job im Verein auch noch die Nationalmannschaft zu trainieren.
Bleibt noch Ex-Bayern-Trainer Julian Nagelsmann, der nach der Niederlage gegen Kolumbien erstmals von Fans ins Spiel gebracht wurde. Zuletzt soll Nagelsmann bei PSG im Gespräch gewesen sein, mittlerweile ist die Causa aber nicht mehr ganz so heiß.

Seit seiner Freistellung beim FC Bayern ist Nagelsmann auf dem Markt – und daher auch eine Option als Bundestrainer. Sollte die Situation tatsächlich eintreten, müsste der DFB dem FC Bayern allerdings eine Ablöse im zweistelligen Millionenbetrag zahlen. Nagelsmann wäre der zweite Trainer in Folge, den die Nationalmannschaft vom Rekordmeister holt.
Beim DFB wäre der ehemalige Bayern-Coach übrigens nur der zweitjüngste Bundestrainer aller Zeiten. Otto Nerz übernahm den damaligen Posten des Reichstrainers am 31. Oktober 1926 im Alter von 34 Jahren und neun Tagen. Nagelsmann hingegen feiert am 23. Juli seinen 36. Geburtstag. Dennoch würde er einen großen Namen auf Platz 3 verdrängen: Franz Beckenbauer wurde, nach der EM 1984, im Alter von 38 Jahren und ohne jegliche Trainererfahrung ins Amt berufen.
Flick denkt nicht an Rücktritt beim DFB
DFB-Sportdirektor Rudi Völler jedenfalls wollte die Spekulationen rund um den Nationaltrainer-Posten gar nicht erst in Fahrt kommen lassen und bezeichnete Flick "als die ärmste Sau", der "alles" versuche. Auch die Spieler halten allem Anschein nach zu ihrem Trainer. So bekräftigte beispielsweise Torhüter Marc-André ter Stegen nach der Kolumbien-Pleite: "Wir haben absolutes Vertrauen in ihn!"
Zumindest offiziell muss Flick (noch) keine Konsequenzen des DFB befürchten: "Ich habe mit Hansi Flick telefoniert. Er selbst, aber auch die Spieler, sind sehr selbstkritisch. Der Bundestrainer hat mir versichert, dass wir im September eine Mannschaft sehen werden, die anders auftritt als zuletzt", sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf dem SID am Mittwoch.
Und Flick selbst? Der hatte bereits am Dienstagabend einen Rücktritt unmissverständlich ausgeschlossen. Sein Weg sei für die Mannschaft der richtige, betonte der 58-Jährige. Flick versicherte, "die richtigen Schlüsse zu ziehen". Dass es dieses Jahr nicht funktioniert habe, habe "mehrere Gründe". Diese wird er mit seinem Stab aufarbeiten und dabei "genau hinschauen, wer die Erwartungen erfüllt hat und wer nicht". Dabei müsse sich "jeder überprüfen, was er für die Mannschaft einbringen kann".
Sollte der DFB weiterhin an Flick festhalten, so haben er und seine Mannen im September gegen Japan (9. September) und Frankreich (12. September) die Chance, die Kehrtwende zu schaffen. Nicht nur die Fans in den Stadien und vor dem TV-Bildschirm dürften dann hoffen, dass Flick endlich an seine erfolgreiche Zeit beim FC Bayern anknüpft.