Dusel oder Können? Die Bayern als Last-Minute-Monster

Berlin - Dieses Tor gehört Kingsley Coman. Der Franzose hatte mit seinem Antritt über Linksaußen den Freistoß in der sechsten Minute der Nachspielzeit herausgeholt.
Es war die letzte Chance auf das 1:1 bei Hertha BSC. Dieses Tor gehört aber ebenso Thiago, der den überraschenden Pass in den Rückraum auf Arjen Robben spielte. Dem gehört der Treffer natürlich auch, denn Robbens Schuss konnte Robert Lewandowski schließlich im Getümmel über die Linie drücken. Mit dem letzten Ballkontakt im Spiel.
"Später geht's nicht"
"Später geht’s nicht", freute sich der Pole über seinen Emotionsauslöser, "es war ein bisschen wie beim Tischtennis. Ich war zum Glück zum richtigen Moment am richtigen Ort." Auch wegen Thomas Müller und Manuel Neuer. Müller hatte den Weg frei gemacht und einen Hertha-Verteidiger geblockt, damit Robben freie Schussbahn hatte. Und Torhüter Neuer, als Ablenkung im giftgrünen Torwartdress, stiftete erfolgreich Verwirrung: "Es ist immer eine komische Situation für die gegnerische Mannschaft, wenn der Torhüter vorne mit dabei ist." Bayerns Kollektiv-Tor verhinderte die zweite Saisonpleite nach dem 0:1 im November bei Borussia Dortmund.
Alles nur Glück? Das x-te Comeback der Dusel-Bayern? Viele Fans und Experten benutzen den Begriff, als wäre "Dusel" Bayerns zweiter Vorname. Doch die Häufung der Last-Minute-Treffer (sechs in dieser Saison, vier in 2017) beweist: Dusel kommt von Können. In den fünf Partien nach der Winterpause waren die Last-Minute-Treffer der Münchner fünf Punkte wert. Zum Jahresauftakt beim 2:1 in Freiburg (auch durch Lewandowski) und vergangenen Samstag beim 2:0 in Ingolstadt, als Arturo Vidal und Robben für die späten Tore gesorgt haben.
"Innere Stärke"
Reine Mentalität? Ja, auch. Und Qualität. Bayerns Markenbotschafter und Ex-Kapitän Paul Breitner meinte unter der Woche: "Das ist eine innere Stärke. Wir haben seit jeher eine Mannschaft, in der diese Kraft steckt. Und das leben wir." Es ist die Überlebensstrategie eines Vereins, Bestandteil der DNA. Als hätte sie "Opa" Katsche Schwarzenbeck, Europapokalfinal-Wiederholungserzwinger von 1974 gegen Atlético, gelehrt und "Onkel" Patrik Andersson, der Last-Minute-Meistermacher von Hamburg 2001, weiter verfeinert. Der Wahnsinn hat Methode.
"Es ist ja nichts Neues bei uns, dass wir einen ausgeprägten Siegeswillen im Gepäck haben", sagte Müller, "wir probieren es immer bis zur letzten Sekunde." Und woher kommt der stete Hunger der Bayern, der auch dann da ist, wenn der Körper nicht wirklich in Schuss ist, also die Qualität des eigenen Spiels zu wünschen übrig lässt? Müllers Erklärung: "Bei uns haben sehr viele Spieler schon sehr viel gewonnen in ihrer Karriere, sie sind aber trotzdem noch heiß auf weitere Erfolge. Auch der Trainer glaubt immer daran."
Es ist diese Konsequenz, dieser Wille und die Effizienz, die dann die Gegner verzweifeln lässt, auch wenn Bayern sich "die Zähne am Gegner ausgebissen" hat, wie es Neuer formulierte. "Aber wir glauben eben daran, dass wir immer ein Tor erzielen können." Seine Warnung lautet: "Das soll aber auch nicht heißen, dass wir darauf eine Garantie haben." Lewandowski, zum Zwecke der Schonung eine gute Stunde auf der Bank, meinte nach seinem Retter-Tor als Joker: "Das macht uns stärker, unser Selbstbewusstsein geht nach oben. Aber du kannst nicht jedes Spiel bis zum Ende warten." Damit sich ein Remis nicht "wie ein Sieg anfühlt". Neuer blickte irritiert: "Ungewohnt!"