Dieter Hoeneß: „Vidals Aggressivität tut den Bayern gut“
AZ: Herr Hoeneß, aktuell steht Pep Guardiola so heftig in der Kritik wie nie zuvor. Können Sie, der selber jahrelang bei Bayern spielte und dessen Bruder Uli den Verein ja wie kein Zweiter prägte, das nachvollziehen?
DIETER HOENESS: Nein, es wird zu sehr in Extremen gedacht, positiv wie negativ. Am Anfang war ein Riesenhype da, jetzt ist es genau das Gegenteil.
Was sagt ihr Gefühl nach den jüngsten öffentlichen Auftritten Guardiolas? Bleibt er oder geht er?
Das ist reine Spekulation. Klar ist aber, dass die Entscheidung über seine Zukunft nicht allzu spät fallen sollte. Falls Guardiola geht, braucht Bayern genügend Zeit, um einen Nachfolger zu finden. Das wird auch Guardiola so sehen.
Welche Rolle kann Neuzugang Arturo Vidal spielen?
Ich glaube, er wird der Mannschaft gut tun. Vidal bringt eine gesunde Aggressivität mit, er provoziert, setzt Zeichen, gewinnt Zweikämpfe. Er geht einfach da hin, wo es entscheidend ist. Außerdem ist er ein sehr guter Fußballer.
Im Supercup gegen Wolfsburg war zu sehen, dass er schon nach wenigen Minuten die Gelbe Karte bekommen hat. Könnte ihm sein schlechter Ruf bei den Schiedsrichtern zum Verhängnis werden?
Absolut, Vidal muss sehr aufpassen, das hat der Supercup gezeigt. Mir ging das mit der Gelben Karte auch zu schnell. Es scheint so, dass die Schiedsrichter ihn auf dem Kieker haben. Aber sie sollten objektiv sein, auch wenn Vidal natürlich kein Kind von Traurigkeit ist.
Auf welcher Position sehen Sie ihn? Kann er Xabi Alonso, dem alleinigen Sechser, gefährlich werden?
Die Saison ist so lang, der FC Bayern hat so viele Spiele, da brauchst du nicht nur elf Top-Spieler. Vidal und Alonso werden beide häufig zum Einsatz kommen. Vidal kann sicher auch die Position von Alonso auf der Sechs spielen oder weiter vorne auf der Acht.
Stimmen Sie in den Chor der Alonso-Kritiker ein, die ihn für zu langsam halten?
Ich denke nicht, dass er in dem einen Jahr bei Bayern langsamer geworden ist. Auch bei ihm ist mir das zu extrem: Am Anfang wurde er in den höchsten Tönen gelobt, jetzt wird er scharf kritisiert. Wir neigen dazu, Dinge zu überhöhen. Das ist nicht gut. Aber gar keine Frage: Alonso muss fit sein, um Bayern helfen zu können.
Trotzdem fällt auf, dass die Bayern weniger anfällig für Konter waren, als Javi Martínez noch auf dieser Position gespielt hat.
Ich bin ein großer Fan von Javi Martínez. Er ist vielleicht nicht so der Passspieler wie Alonso, hat aber in der Defensivbewegung und der Balleroberung große Qualitäten. Als die wichtigen Titel an die Bayern vergeben wurden, stand Martínez auf dem Platz. Das ist kein Zufall. Er kann verschiedene Positionen spielen: auf der Sechs, zentral in der Viererkette, auch in der Dreierkette. Ich sehe ihn aber auf der Sechs am stärksten.
Kommen wir zu Mario Götze. Kann die Konstellation Götze/Guardiola überhaupt noch funktionieren?
Es liegt an Götze selbst. Er muss gut spielen, wenn er auf dem Platz ist. Er muss seinen Wert in jedem Spiel demonstrieren. Dann wird auch Guardiola von ihm überzeugt sein. Eigentlich ist er der ideale Spieler für Guardiola.
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Warum schafft er es nicht, konstant zu überzeugen?
Es ist für ihn eine ganz andere Situation als in Dortmund. Der psychische Druck bei den Bayern ist ein anderer. Aber ich setze weiter auf Götze, weil er ganz einfach die fußballerischen Voraussetzungen mitbringt. Es ist bei Bayern eigentlich ganz simpel: Du bekommst die Wertschätzung, wenn du die Leistung bringst. Das muss Götzes Weg sein.
Auch der Nachwuchs der Bayern wurde zuletzt kritisiert. Wann sehen wir wieder ein Talent aus der Jugend, das sich bei den Profis durchsetzt?
Das geht nicht von heute auf morgen. Man braucht Zeit und Geduld. Das wird drei, vier, fünf Jahre dauern, bis die Arbeit von Heiko Vogel und den anderen Verantwortlichen im Jugendbereich sichtbar wird. Klar ist aber, dass der Nachwuchs sehr wichtig ist für Bayern. Man hat ja die Diskussion kürzlich mitbekommen.
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Können Sie darauf genauer eingehen?
Bayern braucht die Mischung aus Top-Spielern und Talenten aus der eigenen Jugend. Das hat diesen Verein in der Vergangenheit groß gemacht. Andere Klubs sind austauschbar, weil sie sich mit viel Geld eine Mannschaft zusammenkaufen. Bayern war nie austauschbar. Und das wird den Verein auch in Zukunft auszeichnen.
Ihr Bruder Uli wirkt im Nachwuchsbereich mit.
Das ist gegenwärtig eine ganz willkommene Geschichte für ihn. Es geht schließlich um das Thema, das ihn am meisten interessiert: Und das ist der FC Bayern, die Zukunft des Klubs.
Ist es vorstellbar, dass er irgendwann wieder eine andere Rolle übernimmt, vielleicht sogar wieder Präsident wird?
Die Frage stellt sich aktuell nicht.